# taz.de -- Energiewende gerät ins Stocken: Laues Lüftchen | |
> Das Zugpferd der Energiewende, der Windkraftausbau, hat sich 2018 mehr | |
> als halbiert. Für neue Windräder fehlt die Fläche. | |
Bild: Oh, ein einsames kleines Windrädchen: Der Ausbau der Windkraftanlagen bi… | |
Dieser Satz gehört noch immer zu den schönsten in der turbulenten | |
Geschichte deutscher Energiepolitik: „Regenerative Energien wie Sonne, | |
Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als vier Prozent | |
unseres Strombedarfs decken.“ Das war 1993. Die großen Energieversorger | |
hatten in Zeitungsanzeigen und auf Plakaten für Atomkraft geworben. Heute, | |
25 Jahre später, decken erneuerbare Energien nicht 4, sondern 40,4 Prozent | |
des Strombedarfs. Ein Meilenstein. 2003 waren es noch 8,5 Prozent. 15 Jahre | |
später fast fünfmal so viel. Bis zur Jahrhundertmitte sollen es mindestens | |
80 Prozent sein. Vor allem die Windkraft hat eine erstaunlich dynamische | |
Entwicklung hingelegt. Mit 59.000 Megawatt entspricht die installierte | |
Leistung – die allerdings bei Flauten sehr viel weniger Strom erzeugt – | |
etwa 60 großen Atommeilern. | |
Betrachtet man die tatsächliche Stromerzeugung, ist die Windkraft in | |
Deutschland nach der Braunkohle der wichtigste Energieträger. Vergangenes | |
Jahr produzierten Windräder an Land und auf dem Meer zusammen 113 | |
Milliarden Kilowattstunden. Damit deckten sie über 80 Prozent des | |
Strombedarfs aller Privathaushalte. | |
Doch das Arbeitspferd der Energiewende lahmt. 2018 ist der Zubau | |
eingebrochen. Statt der im Schnitt der vergangenen Jahre üblichen 4.000 | |
Megawatt Onshore-Wind kamen nur knapp 2.500 MW dazu, nicht einmal die | |
Hälfte des Vorjahrs, als neue Windparks mit 5.300 MW aufgestellt wurden. | |
„Der Markteinbruch ist dramatischer als erwartet“, sagt Hermann Albers, | |
Präsident des Bundesverbands Windenergie. In diesem Jahr dürfte die Kurve | |
noch stärker knicken. | |
Gründe für den Niedergang gibt es viele. Der wichtigste: Für neue Windräder | |
fehlt schlicht die Fläche. Ohne genehmigte Standorte werden die Ausbauziele | |
der Bundesregierung aber zur Farce. Die will mit ihren Auktionen in den | |
nächsten Jahren einen Umfang von jeweils 4.000 MW ausschreiben. Angesichts | |
der dramatisch eingeschränkten Flächenkulisse könnten es Luftbuchungen | |
bleiben. Die Flächenverfügbarkeit ist zum Nadelöhr geworden. So wurden in | |
den ersten drei Quartalen 2018 nur für 330 Anlagen und 1.100 MW | |
Genehmigungen erteilt – ein Drittel der Bewilligungen früherer Jahre. „In | |
den kommenden Ausschreibungsrunden könnte mangels genehmigter Standorte | |
kein ausreichender Wettbewerb zustande kommen“, warnte schon vergangenen | |
Sommer die Regierungskommission zur Begleitung der Energiewende. | |
## 2020 fallen erste Anlagen aus der Förderung | |
Seitdem hat sich die Lage noch verschärft. Bundesländer wie Bayern oder | |
Sachsen-Anhalt stehen heftig auf der Bremse und weisen kaum noch Flächen | |
für neue Windflügler aus. In Schleswig-Holstein sind die Windvorranggebiete | |
vom Gericht kassiert worden, mit neuen Flächen ist nicht vor 2020 zu | |
rechnen. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) will den | |
Windrädern landesweit über eine Bundesratsinitiative die seit 1997 im | |
Baugesetzbuch festgeschriebene „privilegierte Zulässigkeit“ streichen. Der | |
CDU-Bundesparteitag forderte im Dezember ebenfalls ein Ende der | |
Privilegierung. Und die mit mehreren windkraftkritischen Abgeordneten | |
besetzte „Arbeitsgruppe Akzeptanz“ der Bundesregierung droht mit weiteren | |
Ausbaurestriktionen wie Höhenbegrenzungen, Mindestabständen und neuen | |
Planungsvorgaben. | |
Auch die Klagen häufen sich. Dort wo Anwohner, Bürgerinitiativen oder | |
Vogelschützer die Gerichte anrufen, hindert dies die Projektierer, sich an | |
den Ausschreibungen zur Förderung zu beteiligen. Nach Branchenschätzungen | |
sind mehr als 200 geplante Anlagen durch Rechtsstreitigkeiten blockiert. | |
Doch die eigentliche Zeitenwende kommt nächstes Jahr. Ende 2020 fallen die | |
ersten Anlagen aus der Förderung. Auf 20 Jahre wurde die Einspeisevergütung | |
angelegt, als mit der Jahrhundertwende die Energiewende Fahrt aufnahm. Auch | |
die in den 1990er Jahren gebauten Windturbinen werden großzügigerweise bis | |
2020 gefördert. Dann ist Schluss. Das Wendejahr könnte zum Horrorjahr der | |
Branche werden, weil einer ganzen Armada an Windrädern mit rund 4.000 | |
Megawatt Gesamtleistung das Förderende bevorsteht. In den Folgejahren sieht | |
es nicht besser aus. Bis 2025 fallen 16.000 Megawatt aus dem Fördersystem, | |
das sind fast 30 Prozent der heute installierten Onshore-Windkraft. | |
Der Weiterbetrieb dieser mindestens 20 Jahre alten Dinos wird für die | |
Betreiber schwierig. Viele ihrer Windräder sind nicht nur alt, sondern auch | |
technisch überholt. Ohne Förderung sind sie nur an sehr windreichen | |
Standorten auskömmlich – bei einem Börsenstrompreis von mindestens 5 Cent | |
pro Kilowattstunde. 5 Cent, das ist die Schätzung der Stromgestehungskosten | |
für Windräder durch die Bundesnetzagentur. In den letzten Jahren lag der | |
Börsenpreis oft weit darunter, weil Überkapazitäten die Preise drücken und | |
der Markt bei den CO2-Kosten versagt. | |
## 40 Prozent der Altanlagen sind nicht zu erneuern | |
Anreize, um die Auslaufmodelle weiterzubetreiben oder durch moderne | |
Neuanlagen mit höherer Stromausbeute zu ersetzen, sind nicht in Sicht. Im | |
Gegenteil: Auf investitionswillige Betreiber, die weitermachen wollen, | |
warten zusätzliche Kalamitäten. Wollen sie ihr Windrad am gleichen Standort | |
durch ein größeres und effizienteres Modell ersetzen – das sogenannte | |
Repowering –, müssen sie ein komplett neues Genehmigungsverfahren | |
durchlaufen, was eine am Standort zwischenzeitlich angesiedelte Vogelart | |
schnell zunichtemachen kann. Das Aufstellen einer besseren Windmaschine am | |
alten Ort ist für die Betreiber auch deshalb attraktiv, weil die | |
Infrastruktur bereits erschlossen ist und die Anwohner sich mit den Anlagen | |
arrangiert haben. | |
Inzwischen haben sich die Voraussetzungen für den Bau neuer Windanlagen | |
erheblich verschärft. Nach Aussagen der Fachagentur Windenergie an Land | |
werden sich mindestens 40 Prozent der Altanlagen nicht repowern lassen. | |
Strengere Abstandsregeln für Windräder zu Wohnhäusern gelten zwar nicht für | |
bestehende Anlagen, aber für „Modernisierungen“ am gleichen Standort. Dabei | |
wäre ein Repowering flächen- und umweltschonend, weil bereits erschlossene | |
Standorte und Infrastrukturen weitergenutzt werden. Auf den vorgeprägten | |
Flächen könnten Neuanlagen zudem deutlich mehr Strom erzeugen. | |
Mit dem absehbaren Stilllegungsszenario dürfte die Energiewende, deren | |
wichtigste Säule die Windkraft ist, in den kommenden Jahren heftig ins | |
Stocken geraten. Ein Ausgleich für die Windflaute durch Solar ist kaum | |
möglich. Den Zuwachs für die Photovoltaik hat die Bundesregierung klar | |
begrenzt. Zudem fallen Solarpanels nachts aus, sie kommen nur auf ein | |
Drittel der Volllaststunden der Windräder. Ab 2020 könnte erstmals der | |
Abriss alter Windräder den Zubau übertreffen. Eine Umfrage der Fachagentur | |
bestätigt die finsteren Aussichten der Branche. Rund die Hälfte der | |
Anlagenbetreiber sieht nach dem Auslaufen der Förderung das Ende ihrer | |
Windräder kommen. | |
## Erneuerbare Energien schultern ab 2038 die Hauptlast | |
Einige Windmüller suchen noch nach alternativen Vermarktungsmodellen. Sie | |
wollen die Energie nicht mehr nur als „Graustrom“ ins Netz einspeisen, | |
sondern direkt den Ökostromanbietern verkaufen oder auch an Großunternehmen | |
wie Ikea, die ihr Image mit Grünstrom aufpolieren. Doch eine rentierliche | |
Direktvermarktung ist wohl nur für eine Minderheit der Anlagen möglich. | |
Und die Politik? Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gilt als Bremser | |
der Erneuerbaren. Den Staatssekretärsposten für die Energiewende, die | |
politische Schlüsselstelle zur Umsetzung, ließ er über ein Jahr vakant, | |
bevor sie am 1. Februar mit dem Chef der Wuppertaler Stadtwerke besetzt | |
wird. Bei der weltgrößten Windmesse in Hamburg im vergangenen Herbst | |
wartete die Branche, die mehr als 160.000 Menschen in Deutschland | |
beschäftigt, vergebens auf den Minister. Altmaier schickte einen | |
Abteilungsleiter. | |
Am Dienstag zieht die Branche Bilanz. Nach dem Windjammer der | |
Offshore-Betreiber vergangene Woche wird auch der zehnfach größere Sektor | |
an Land die Alarmtaste drücken. Dabei hat erst am Wochenende die | |
Kohlekommission vorgeschlagen, spätestens 2038 den letzten Kohlemeiler | |
abzuschalten. Dann müssen die erneuerbaren Energien die Hauptlast der | |
Stromversorgung schultern. Doch dazu braucht es deutlich mehr Anlagen. | |
29 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Manfred Kriener | |
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