| # taz.de -- Einflussnahme in der Kultur Italiens: Ciao, Sprezzatura! | |
| > Die Regierung der Postfaschistin Meloni verschaft sich kulturell mehr | |
| > Einfluss. Dabei nutzt sie machiavellistische Kniffe. | |
| Bild: Die Kultur soll Touristen anziehen: Italienische Ministerpräsidentin Mel… | |
| Sprezzatura, das ist so ein Wort, das es im Deutschen nicht einmal gibt – | |
| und um das wir Italien immer nur beneiden konnten. Das [1][am ehesten noch | |
| mit „Nonchalance“] übersetzt wird, also mit einer weiteren aus einer | |
| romanischen Sprache entliehenen Vokabel. | |
| Der italienische Renaissance-Autor Baldassare Castiglione beschreibt die | |
| Sprezzatura in „Der Hofmann“ (1528) als die Fähigkeit, selbst Tätigkeiten, | |
| die viel Mühe erfordern, noch lässig aussehen zu lassen. Es reicht nicht, | |
| etwas perfekt zu beherrschen, für den guten Stil müssen alle Anstrengungen | |
| beiläufig hinter dem Genuss der Ausübung verschwinden. | |
| Die Sprezzatura bildet den Kern des von Castiglione entworfenen | |
| Menschenbildes, das dem „Fürsten“ von Macchiavelli diametral entgegensteht. | |
| Wo der „Fürst“ – ein Ausbund an kriegerischer Macho-Attitüde – sich f… | |
| belanglose Tätigkeiten loben und bewundern lässt, zeigen sich Gentleman und | |
| Hofdame diesem Krawallbruder durch die „Sprezzatura“ überlegen. Sie ist die | |
| Vorstufe zur „grazia“, zur Grazie. Und dafür lieben alle anderen Nationen | |
| Italien. | |
| Nicht wegen der blühenden Zitronen. Nicht wegen Lido, Pizza, Eis, Wein. | |
| Sondern weil Italien das internationale Bewusstsein wachhält, dass | |
| sichtbare Anstrengungen und Liebenswürdigkeit Antagonismen sind. Dass | |
| Bemühtheit in der Mode, der Kunst, beim Essen und beim Anbandeln nur | |
| schadet. Wer den Rest Europas und vor allem Deutschland satthatte, war | |
| daher meist schon halb unterwegs über den Brenner – nicht nur [2][die | |
| Pariser Existenzialismus-Ikone Simone de Beauvoir,] die in der „Ewigen | |
| Stadt“ Rom ihr liebstes Sommerdomizil fand. | |
| ## Kulturpolitik ans Ende der Liste | |
| Wie jetzt mehrere Medien, darunter der österreichische Standard, berichten, | |
| ist im Sommer 2023 mit der „Sprezzatura“ aber erst mal Schluss. | |
| Fast buchstäblich ließ die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni | |
| die Kulturpolitik zur Fußnote werden, indem sie sie im Wahlprogramm ihrer | |
| rechtslastigen Koalition weit hinter Infrastruktur, Familie und | |
| Verteidigung platzierte. Ausgerechnet der italienischen Kultur kommt | |
| plötzlich nur noch die Rolle zu, Touristen anzuziehen – was vorher Beifang, | |
| aber nie Selbstzweck war. | |
| Wo die Kultur den Einfluss der Regierung vergrößert, darf’s dagegen gern a | |
| bisserl mehr sein. Durch eine macchiavellistische Volte brachte Meloni den | |
| Staatssender RAI in ihren Einflussbereich. Die TV-Gruppe, die ein Dutzend | |
| Sender umfasst, könnte ihr mehr Macht verleihen als „Mediaset“ ihrem | |
| Bunga-bunga-Vorgänger Berlusconi. | |
| Im Frühsommer trat der RAI-Senderchef Carlo Fuortes entnervt zurück. Eine | |
| Alternative hatte die Regierung Meloni längst im Köcher: Sie wollte Fuortes | |
| als Intendanten des Theaters San Carlo in Neapel installieren, auf dem | |
| Chefsessel der RAI lieber ihren Gefolgstreuen Giampaolo Rossi. | |
| ## Bio-Italiener auf hohen Posten | |
| Um den bisherigen Neapolitaner Intendanten, den Franzosen Stéphane Lissner, | |
| in den Ruhestand zu zwingen, erweiterte Meloni die Altersgrenze von 70 | |
| Jahren, die bis dato für italienische Intendanten galt, auf Ausländer. | |
| Lissner klagte, Fuortes schmiss hin – er könne so kein Fernsehen machen! – | |
| und Meloni hatte ihr Ziel erreicht. Ihr Schachzug hatte nebenbei den Weg | |
| geebnet, zeitnah weitere Kulturinstitutionen mit Bio-Italienern bestücken | |
| zu können, die bisher von Menschen ohne italienische Staatsangehörigkeit | |
| nahe der neuen Altersgrenze geleitet werden – wie die Mailänder Scala. | |
| Wie es für Eike Schmidt, den erst 55-jährigen deutschen Direktor der | |
| Uffizien, oder für Gabriel Zuchtriegel, den 42-jährigen Leiter der | |
| Ausgrabungsstätte von Pompeji weitergeht – ungewiss. | |
| Rossi, der „Neue“ an der Spitze der RAI, setzt derweil alles daran, die | |
| „Dauerpräsenz der Linksintellektuellen“ im Kulturprogramm der RAI-Gruppe zu | |
| beenden. | |
| Ciao, Sprezzatura, hoffentlich für kurze Zeit. Ci vediamo. | |
| 27 Jul 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Johanna Schmeller | |
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