| # taz.de -- Egon Flaigs Buch über Flüchtlingspolitik: Gegen „unsere Werte“ | |
| > Egon Flaig kritisiert die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland. Er | |
| > behauptet, AfD-Wähler würden im Namen des „Gemeinsinns“ handeln. | |
| Bild: Im Oktober 2015 an der deutsch-österreichischen Grenze | |
| Der Sloterdijk-Schüler und AfD-Hausphilosoph Mark Jongen hat Gesellschaft | |
| bekommen. Egon Flaig hat ein Buch geschrieben, in dem es heißt, AfD-Wähler | |
| folgten nicht ihren privaten Interessen, sondern dem „Gemeinsinn“, dem | |
| zufolge die Gefahr der Islamisierung zu bannen ist. „Flüchtlinge“ nennt der | |
| Althistoriker aus Greifswald und Rostock, wo er 1998 im Zuge der Abwicklung | |
| der DDR-Wissenschaft Professor wurde, gern „Eindringlinge“, die es nur auf | |
| Diebstahl, Raub, Vergewaltigung und „unsere Werte“ abgesehen hätten. | |
| In elf Kapiteln und auf 400 Seiten hat es Flaig mit einem einzigen Thema zu | |
| tun, der Aufnahme von Flüchtlingen 2015/16. Aber selbst der redseligste | |
| Professor könnte mit diesem Thema nicht 400 Seiten füllen. Er motzt deshalb | |
| das Thema auf zur „Niederlage der politischen Vernunft“, wie der Titel des | |
| Buchs lautet. Untertitel: „Wie wir die Errungenschaften der Aufklärung | |
| verspielen“. | |
| Dramaturgisch folgen die elf Kapitel dem Szenario des Unterrichts ganz | |
| alter Griechisch- und Lateinlehrer, die notorisch die ganze Weltgeschichte | |
| mit ein paar Lebkuchenversen aus Thukydides’ „Peloponnesischem“ oder | |
| Caesars „Gallischem Krieg“ endgültig erklären möchten. In Flaigs Buch | |
| wiederholt sich alles elfmal nur leicht variiert, denn es geht immer um | |
| dieselben idées fixes und eine durchlaufende Marotte des Autors: Abgrenzung | |
| gegen und Ausgrenzung von Menschen aus anderen Kulturen mit anderen | |
| Sprachen und anderen Religionen, namentlich Anhängern des „Scharia-Islam“. | |
| Den Rest besorgen pädagogische Rechthaberei und verbale Zuspitzung ohne | |
| Rücksicht auf das Abgleiten ins völlig Absurde. So unterstellt Flaig der | |
| Kanzlerin, die auf eine Notsituation mit Augenmaß reagierte: „Wer | |
| Grenzenlosigkeit zum Ideal erhebt, macht Selbstverdummung zur moralischen | |
| Pflicht.“ Als ob irgendjemand die dauerhafte Aufhebung aller Grenzen | |
| gefordert und in Kauf genommen hätte. Flüchtlinge beziehungsweise | |
| „Eindringlinge“ möchte Flaig „exterritorial unterbringen“. Im Nicht-St… | |
| Libyen, auf dem Meeresboden oder auf dem Mond? | |
| ## Wer zum Feind wird | |
| Flaig führt seinen Kampf gegen von ihm selbst erfundene Phantasmen im Namen | |
| seiner Privatversion politischer Vernunft, die im Unterschied zu Kants | |
| kategorischem Imperativ („Handle so, dass die Maxime deines Willens | |
| jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten | |
| könne“) keine Pflichtlehre sei (keine „deontologische“ Lehre). Das hinde… | |
| ihn nicht, ein paar Zeilen weiter so fortzufahren: „Da die politische | |
| Vernunft in historischen Situationen und Gegebenheiten agieren muss, wird | |
| sie verschiedenartige Imperative formulieren.“ | |
| Ferner meint Flaig, Kants praktische Vernunft gelte nicht für Kollektive. | |
| Da ist er freilich auf dem Holzweg. Denn Kant sah in der staatlichen | |
| Souveränität eine „barbarische Freiheit“ und ein Hindernis auf dem | |
| steinigen Weg zum einem „weltbürgerlichen Zustand“ und einem | |
| zwischenstaatlichen Gewaltverbot. Für Flaig dagegen sind „Kriege nicht zu | |
| vermeiden; es ist daher geboten, uns auf sie vorzubereiten“. | |
| Carl Schmitt definierte Politik noch als Kriegsfähigkeit. Flaig spült diese | |
| Parole zu „Entscheidungsfähigkeit“ weich, meint aber in etwa dasselbe. Denn | |
| um „Eindringlinge“ aller Art fernzuhalten, muss der Staat, „die | |
| Opferbereitschaft der Bürger“ stärken, das heißt „die Bereitschaft, ihr | |
| Leben einzusetzen“. Über weite Strecken bietet der Autor nur | |
| griechisch-römische Allgemeinplätze und Spruchweisheiten zum Krieg und zum | |
| sprichwörtlich „süßen Tod“ fürs Vaterland. | |
| Flaig mag es nicht nur im metaphorischen Sinne polemisch („polemos“ heißt | |
| im Griechischen „Krieg“) sondern auch im wörtlichen: Feinde sind vom | |
| „Territorium eines Gemeinwesens zu verbannen“, und das gilt nicht nur für | |
| Gewalttäter, sondern schon im „vorbürgerkriegsähnlichen Zustand“ – dann | |
| nämlich, wenn „kulturelle Divergenzen explosiv“ werden und „die | |
| Verhaltensweisen kollidieren […] in Schulen, in Unternehmen, auf den | |
| Straßen, überall“. Wer zum Feind wird, obliegt rechtsfreier Willkür. | |
| ## Missionar des fanatischen Abendländertums | |
| Der Autor unterscheidet feinsinnig zwischen „kultureller Differenz“ und | |
| „kultureller Divergenz“. Differenz kommt von „differe“, „verschieden … | |
| von Gleichartigem. Divergenz dagegen stammt von „vergere“, „sich neigen�… | |
| ab. „Kulturelle Divergenz“ zielt also auf eine Gefälle oder ein | |
| hierarchisches Verhältnis zwischen den Kulturen. Flaig ist ein Missionar | |
| des fanatischen Abendländertums, das von einer grundsätzlichen | |
| Überlegenheit der griechisch-römischen Kultur ausgeht und von der | |
| gegenseitigen feindlichen Abstoßung der Kulturen, was er für eine | |
| „historische Wahrheit“ hält. | |
| Zu den „griechischen Grundlagen unserer Kultur“ zählt Flaig die politische | |
| Gleichheit und die Gleichheit gegenüber dem Gesetz. Diese bleiben auch in | |
| der modernen Demokratie und im Rechtsstaat maßgebend. Allerdings verheddert | |
| sich Flaig auch hier in heillosen Widersprüchen und Konfusionen. So wirft | |
| er etwa Habermas’ Demokratietheorie vor, sie plädiere für eine | |
| „Nomokratie“, also eine „Herrschaft des Gesetzes“, gesichert durch Rich… | |
| und Gerichte. Flaig verabschiedet sich von der Voraussetzung, dass Recht | |
| und Verfassung die Grundlagen der Demokratie bilden und setzt lieber auf | |
| „gemeinsame Werte“. | |
| Dabei ist der Preis für Werte nicht finanzieller Natur, sondern | |
| „kultureller, politischer und militärischer Art“. Für labile Werte und | |
| nicht etwa für fixierbare justiziable Rechte hält Flaig selbst die | |
| Volkssouveränität oder die Gewaltenteilung. Ihr Wert bemisst sich daran, | |
| was Bürger bereit sind, an „Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß“ für sie … | |
| opfern. | |
| ## Bornierter Dogmatismus | |
| Die rechtsstaatlich-demokratisch verfasste Gesellschaft verwandelt sich | |
| unter der Hand in eine Wertegemeinschaft, die nur Bestand hat, wenn sie | |
| kulturell und religiös möglichst homogen ist. Gegen die empirische Evidenz | |
| des EU-Parlaments oder des schweizerischen Parlaments hält er politische | |
| Debatten nur für möglich, „wenn alle dieselbe Sprache sprechen“ und | |
| „dieselben grundlegenden Werte teilen“. | |
| Ganz abgesehen davon, wie man ohne Gesinnungsprüfungen, Repression oder | |
| Folter die kulturellen und religiösen Wertorientierungen von Menschen | |
| beurteilen kann, stellt sich die Frage, welches Ausmaß an borniertem | |
| Dogmatismus nötig ist, um sich homogenisierte Gesellschaften zu wünschen. | |
| Fast alles, was Flaig jetzt auf 400 Seiten auswalzt, war in kondensierter | |
| Form bereits [1][am 13. Juli 2011 in der FAZ] und im Frühjahr 2016 in der | |
| „Historischen Zeitschrift“ zu lesen. Flaig belegt einmal mehr die | |
| Durchlässigkeit der Grenze zwischen den Konservativen und den intellektuell | |
| vernagelten Rechten. | |
| 13 Aug 2017 | |
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