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# taz.de -- Flüchtlinge in Nordafrika: Fragen ohne Antworten
> Einige fordern, gerettete Geflüchtete zurück nach Libyen zu bringen. Doch
> dort herrscht schwere Gewalt – und Sigmar Gabriel entdeckt sein Gewissen.
Bild: Die Überquerung des Mittelmeeres ist für die Flüchtlinge gefährlich
Sigmar Gabriel hat eine Frage. Es geht um Menschenrechte. Für einen
Außenminister ist das ein wichtiges Thema. Gabriel hat mit dem Kölner
Stadt-Anzeiger über seine Frage gesprochen, es dürfte vor ein paar Tagen
gewesen sein, das Interview ist am Dienstag erschienen.
„Wenn jetzt zum Beispiel viele in Europa und auch in Deutschland fordern,
wir sollten doch die auf dem Mittelmeer geretteten Flüchtlinge zurück nach
Libyen bringen und dort anständig versorgen, wirft das doch die Frage auf:
Wer schützt diese Menschen dort? Wer bekämpft die gewalttätigen und
verbrecherischen Milizen, die heute jeden Tag in den Flüchtlingslagern die
Menschen schinden?“
Gut, dass ein deutscher Außenminister mal darüber nachdenkt.
Und Gabriel weiß, wovon er redet. Er war schließlich neulich erst da. Acht
Wochen ist es her, da hat Gabriel eines dieser Lager in Libyen besucht. Es
war „wie ein Gefängnis“, war zu lesen. „30 bis 40 Leute schlafen in einem
Raum, es gibt kaum Sanitäranlagen, es riecht, überall sind Fliegen.“
Gabriel wusste, dass man ihm „noch eines der besten Lager im Land“ gezeigt
hat. Dort, wo Schmugglerbanden und nicht die Regierung das Kommando haben,
seien die Zustände nämlich noch schlimmer: „Dort gibt es richtig finsteren
Menschenhandel. Dort gibt es schwere Gewalt, es gibt immer wieder Tote“,
sagte Gabriel. „Das ist der Sklavenhandel der Neuzeit.“
Gabriel wusste alles das so genau, weil seine eigenen Diplomaten einen
Bericht darüber geschrieben hatten. In diesen Lagern, stand darin,
herrschten „KZ-ähnliche Zustände“. Viele fanden die Wortwahl unangemessen.
Manche beschwerten sich. Denen begründete das Auswärtige Amt die
Formulierung: Es gebe in diesen Lagern feste Erschießungszeiten, bei denen
Lagerinsassen getötet würden, um Terror zu verbreiten, bekamen die
Beschwerdeführer zu hören. Wenn man das weiß, erscheint die Wortwahl nicht
mehr so abwegig.
Gut also, dass ein deutscher SPD-Außenminister darüber nachdenkt, wer die
Leute dort schützen soll. Sonst könnte es noch passieren, dass die
Bundesregierung und die EU selbst auf die Idee käme, jemand „sollte[n] doch
die auf dem Mittelmeer geretteten Flüchtlinge zurück nach Libyen bringen“.
Sie könnten dann glatt versuchen, den Libyern Geld zu geben, damit sie das
tun. Sie könnten versuchen, sie dazu „auszubilden“ und sie dabei zu
beraten, wie sie es am besten anstellen. Es könnte passieren, dass die
libyschen Milizen merken, dass Unsummen für sie drin sind, wenn sie die
Leute, die sie bislang auf die Boote Richtung Italien gesetzt haben, wieder
einfangen und zurückholen. Sie könnten merken, dass Europa gerade wirklich
tief in die Tasche zu greifen bereit ist, damit weniger Flüchtlinge
ankommen.
Es könnte passieren, dass sie die Menschen, die vor Versklavung, Erpressung
und sexualisierter Gewalt aus Libyen fliehen, wieder zurückbringen und ihr
Martyrium von vorn losgeht. Es könnte passieren, dass die Milizen Teile des
Mittelmeeres ihrer Kontrolle unterwerfen, um dort Seenotretter zu
vertreiben. Es könnte so sein, dass der letzte der Weg über das Mittelmeer,
für die, die vor Boko Haram, dem IS, vor der Hungerkatastrophe in Ostafrika
oder der Diktatur in Eritrea fliehen, sich schließt. Es könnte womöglich
passieren, dass dann in diesem Jahr genauso viele ertrinken wie im letzten,
sodass ihre Zahl zusammen höher liegt als die aller Toten im
Ukraine-Konflikt.
Nicht auszudenken.
Gut, dass sich ein deutscher SPD-Außenminister darüber rechtzeitig Gedanken
macht. Es ist auch nicht so schlimm, dass er bis jetzt noch keine Antwort
hat.
Es ist ja noch nichts passiert.
15 Aug 2017
## AUTOREN
Christian Jakob
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Schwerpunkt Flucht
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Lesestück Meinung und Analyse
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