# taz.de -- Doku „Christo – Walking on Water“: Hübsch verschwiegen | |
> Der Film thematisiert die Installation „Floating Piers“ von Jeanne-Claude | |
> und Christo. Die Dramatik des Projekts kann sich im Film nicht richtig | |
> entfalten. | |
Bild: Christo und die „Floating Piers“: Im Film über die Installation lieg… | |
Der Mann ist mit einem Motorboot der Marke Riva, dem Inbegriff maritimen | |
Luxus, über den Iseosee zur Insel Monte Isola gekommen, darauf macht er | |
Christo extra aufmerksam. Aber den interessiert Riva nicht. Der Mann möchte | |
eine Zeichnung vom Projekt „The Floating Piers“ erwerben und ist bestürzt, | |
dass das Format, für das er kürzlich noch 220 Euro zahlen sollte, nun 440 | |
Euro kostet. Christo erklärt ihm, dass die Bilder während der 16-tägigen | |
Kunstaktion eben jeden Tag teurer werden. Da er kompromisslos weder | |
Subventionen noch Sponsoren und andere Wohltäter mit Interessen akzeptiere, | |
finanzierten sich seine Projekte ausschließlich über den Verkauf seiner | |
Kunst. | |
Der Mann windet sich und argumentiert. Schließlich zieht er seine Gattin | |
telefonisch zurate. Nun darf er kaufen – und verschwindet mit Vladimir, | |
Christos Neffen und Projektmanager, vor die Tür, wo die Kaufmodalitäten von | |
der Kamera unbeobachtet vonstatten gehen. Nach kurzer Zeit kommen sie | |
zurück. Aber dann fällt dem Mann noch eine ungeklärte Sache ein, und | |
schwups sind die beiden wieder außer Sichtweite. | |
Obwohl wirklich hübsch ironisch, ist die Szene leider symptomatisch für den | |
ganzen Film. Was wirklich entscheidend ist, alles das, wo es zur Sache | |
geht, fällt zwischen den Schnitten unbesehen ins Bodenlose der | |
Verschwiegenheit. Egal ob es um die heiklen Verwicklungen zwischen Kunst | |
und Politik geht, die der Pressetext ankündigt, oder die technischen | |
Herausforderungen und die logistischen Albträume, die damit einhergehen. Da | |
gibt es den Streit darüber, wie die orange-goldene Stoffplane auf dem Steg, | |
der sich aus weißen Kunststoffwürfeln zusammensetzt, befestigt werden soll. | |
Vladimir will Holzleisten, was Christo vehement ablehnt. Stattdessen | |
plädiert er für Klettverschluss. | |
Als die Plane dann verlegt wird, teils bei stürmischem Wetter, sind es | |
Karabiner, die sie halten. Und da hätte man nun zu gerne gewusst, wie es | |
dazu kam, ob es ihre Lösung war oder ob der Vorschlag von außen kam. Das | |
mag nicht rasend wichtig erscheinen, aber die Fehlstelle trägt zur | |
Atmosphäre des Films bei, in der sich die Dramatik des Projekts nie | |
wirklich entfalten kann. | |
Könnte es daran liegen, dass Andrey Paounov seinen Film aus 700 Stunden | |
Material destillierte, das ohne sein Zutun von zehn verschiedenen Crews im | |
Verlauf eines Jahres aufgenommen worden war? Dass der Regisseur des Films | |
also nur sein Schnittmeister war? Paounov hat sich wohl dafür entschieden, | |
das Material aus der Sicht Christos aufzubereiten. Was heißt, dass die 240 | |
Anker und 50 Gegengewichte des drei Kilometer langen Piers schon im Wasser | |
versenkt sind, als der Film mit Christo am Lago d’Iseo ankommt. | |
## Schwimmende Stege | |
Nun sind wir – und ganz konkret ist der Künstler – im Bilde. Wir sehen, wie | |
die ersten Abschnitte der Promenade verlegt werden. Sie führt von der | |
Uferstadt Sulzano zum Dorf Peschiera Maraglio auf der Insel Monte Isola | |
und von dort aus weiter auf die kleine Insel San Paolo. Schwimmende Stege | |
imaginierten Jeanne-Claude und Christo erstmals 1969 für den Rio de la | |
Plata in Argentinien. Doch daraus wurde so wenig wie 1996 in Tokio, wo es | |
fast so weit war, dass sie mit ihrem schwimmenden Steg zwei Inseln | |
verbanden. 2014 endlich lassen sich die Floating Piers am Lago d’Iseo | |
realisieren. Die Kunstaktion lockt zwischen dem 18. Juni und dem 3. Juli | |
mehr als 1,2 Millionen Menschen an. Jeanne-Claude ist nicht mehr dabei. | |
2009 war sie in New York verstorben. | |
In Christos Rede, wenn er über das Projekt spricht, ist sie freilich immer | |
anwesend. Und das sind dann auch die großartigen Momente des Films, wenn | |
Christo für das Konzept wirbt, nicht nur bei Sammlern, sondern auch bei | |
Schulkindern, die seine Geduld für das Projekt bewundern, eine Geduld, die | |
er Leidenschaft nennt. Diese Leidenschaft, die auch in heftiger Ungeduld | |
und bösem Zorn zum Ausdruck kommt, trägt denn auch den knapp zweistündigen | |
Film. Und natürlich die großartigen Bilder, wie das rotgoldene Tuch über | |
dem Wasser flattert und die Menschen darauf wirklich übers Wasser zu gehen | |
scheinen. | |
Diese Bilder hatte Christo schon vor den Kindern beschworen: „Unsere Werke | |
sind alle komplett nutzlos. Wir schaffen sie nur, weil wir sie gerne | |
anschauen möchten.“ Und Letzteres geht nicht nur ihm so. | |
12 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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