| # taz.de -- Documenta 14 in Athen: Die Errettung der Welt durch die Kunst | |
| > Was wir aus Athen lernen: Die documenta, die weltweit wichtigste Schau | |
| > für zeitgenössische Kunst, wird eröffnet. Sie geriert sich sehr radikal. | |
| Bild: Rebecca Belmores Marmorskulptur auf dem Filopappou-Hügel in Athen. | |
| Die Kunst und die Politik, sie sind kein einfaches Paar. Sie haben schon | |
| viele Krisen durchlebt. Wir erinnern uns an Epochen, in denen totalitäre | |
| Regime Kunst und Kultur propagandistisch funktionalisierten und | |
| kontrollierten. Und dies geschieht in vielen Staaten außerhalb der | |
| westlichen Demokratien bis heute noch. | |
| Wir erinnern uns auch an eine aktivistische Linke, die ästhetisch | |
| eigenständige Sprachen häufig als „bourgeois“ einschätzte. Subkulturen u… | |
| Kunstavantgarden galten als unzuverlässig. Für ein plurales, minoritäres | |
| und individualistisches Sprechen konnten sich auch links nicht viele | |
| begeistern. Eher gelitten als gemocht hatte sich die Kunst der Politik | |
| meist unterzuordnen, was ihr nur selten gut bekam. | |
| Nach 1968 und mit 1989 schien allerdings die Forderung nach eindeutiger | |
| sozialer Parteigängerschaft von Kultur und Kunst erledigt. Es schien so, | |
| als hätten sich zumindest auf linker Seite die demokratischen Konzepte von | |
| Mehrdeutigkeit, das Anerkennen unterschiedlicher und auch popkultureller | |
| Sprachen durchgesetzt. Daran muss man heute allerdings wieder verstärkt | |
| zweifeln, sofern man den Beiträgen zur Eröffnung der documenta 14 in ihrem | |
| Außenposten Athen dieses Wochenende beiwohnte. | |
| ## Phrasen des Bewegungsesperantos | |
| So waberte bei der Eröffnungspressekonferenz vor Hunderten von Zuhörern | |
| eine ungute Mischung aus altbacken hochkulturellen Anrufungen – „wie | |
| Sokrates schon sagte: ‚Ich weiß, dass ich nichts weiß‘ “ (Marina Fokidi… | |
| durch den Theatersaal in der Athener Konzerthalle Megaro Mousikis, welche | |
| sich mit Phrasen eines antikapitalistischen Bewegungsesperanto verbanden. | |
| Diese wollen in den griechischen Staatsschulden vor allen eine | |
| „neoliberale“ und von Deutschland angeführte ausländische Verschwörung | |
| sehen (Paul B. Preciado). Man verschweigt dabei die Probleme des schlechten | |
| nationalen Regierens und der nicht auf Nachhaltigkeit beruhenden Ökonomien. | |
| In der Rhetorik von documenta-Chef Adam Szymczyk geht das so: „Eine der | |
| gewichtigsten unter den Katastrophen, denen wir bei der Arbeit an der | |
| documenta 14 begegneten, war die wirtschaftliche Gewalt, die der | |
| Bevölkerung Griechenlands offenbar beinahe in einem Großversuch auferlegt | |
| wurde. Die Sparmaßnahmen, die die internationalen Finanzinstitutionen im | |
| Einklang mit den führenden PolitikerInnen der Europäischen Union in | |
| aufeinander folgenden Phasen verhängten, hatten den De-facto-Verlust der | |
| Souveränität der aktuellen wie jeder zukünftigen griechischen politischen | |
| Wählerschaft zur Folge sowie den Verlust der individuellen Freiheit der | |
| BürgerInnen Griechenlands.“ | |
| ## Umstellt von Katastrophen | |
| Die Perspektive der documenta-14-Macher ist umstellt von „Katastrophen“ und | |
| wird bestimmt von der Sehnsucht nach einfachen Wahrheiten. Lustig wird das, | |
| wenn sich Szymczyk und sein Team beim Situationismus Guy Debords bedienen. | |
| Im Katalog „documenta 14: daybook“ zitieren sie den Großmeister des | |
| künstlerischen Aktivismus und dessen Kritik an massenmedialer Manipulation | |
| in den modernen Industriegesellschaften: „Besser die Gesamtheit dessen | |
| begreifen, was getan wurde und was zu tun bleibt, als der alten Welt des | |
| Spektakels und der Erinnerungen weitere Ruinen hinzuzufügen.“ | |
| Klingt gut. Doch Debord hätte sich vermutlich über die kurzfristige | |
| Schließung des griechischen Staatsfernsehsenders ERT 2013 gefreut. Und eher | |
| nicht, wie die documenta-Macher jetzt in Athen von einem „neoliberalen | |
| Angriff“ (Hila Peleg) auf den Staatssender gesprochen, um mit ihm | |
| spätnachts ein gemeinsames Filmprogramm zu senden. | |
| ## Befindlichkeiten zur Schau stellen | |
| Es ist die Crux der documenta-14-Macher, soweit wie möglich vom | |
| „kapitalistischen Staat“ und seinen Institutionen entfernt sein zu wollen | |
| und gleichzeitig so nah wie möglich an dessen wohlfahrtsstaatlichen | |
| Segnungen geparkt zu haben. Immerhin wird die Kunstschau mit etwa 20 | |
| Millionen Euro aus öffentlichen Mitteln in Deutschland gefördert, dazu | |
| werden Einnahmen aus Sponsoring und eigenen Erlösen in etwa gleicher Höhe | |
| erwartet. Ein weltweit einmaliges Budget. | |
| Ein erweiterter Kunstbegriff und eine Haltung im Geiste eines Mainstreams | |
| der Minderheiten, Transgender, Queerness, Internationalität oder „Learning | |
| from Athens“ sollte heute für solch eine Schau selbstverständlich sein. | |
| Doch warum diese permanente ideologische Engführung, das Zurschaustellen | |
| von Befindlichkeiten, die so oft in Betroffenheit münden? | |
| ## Ein Haufen Oliven | |
| Bleibt die Hoffnung auf die Kunst, die sich mitunter anders verhält, als | |
| Chefideologen sich das vorstellen. Zumal documenta-14-Chef Szymczyk als | |
| erfahrener Ausstellungsmacher gilt. Also Klappe zu und Augen auf. Rundgang | |
| durch den Hauptort der documenta in Athen, dem Museum für zeitgenössische | |
| Kunst (EMST). Stilgerecht symbolisiert ein Haufen Oliven in der | |
| Eingangslobby des wuchtigen Baus das angeblich hoffnungslose Unterfangen, | |
| die Griechen mögen für ihre Staatsverschuldung selbst aufkommen. | |
| Rund 150 Künstler sind in Athen vertreten. Viele mit Werken im Museum, | |
| einige wie die Kroatin Sanja Iveković mit Installationen in der Stadt. | |
| Iveković hat ein Dauerabo bei der documenta. Dieses Mal hat sie | |
| Lautsprecher am Avdi-Platz aufstellen lassen und versoundet dort | |
| Revolutionäres von Rosa Luxemburg und mexikanischen Feministinnen. | |
| ## Sortiert nach Accessoires | |
| Im EMST reichen die Positionen von abstrakter Konzeptkunst, etwa Nairy | |
| Baghramians „Drawing table (Hommage an Jane Bowles)“, über Büchervitrinen | |
| zur Kolonialgeschichte Biafras und zu Hitlerporträts, die mit den Namen | |
| ermordeter Homosexueller überschrieben sind; historische Buch- und | |
| Bildzitaten von Pierre Klossowski/Pierre Zucca und Charles Fouriers sind | |
| zu sehen; frühe ethnografisch und geschlechtlich entgrenzende Fotografie | |
| aus den Tropen. | |
| Es gibt harmlose und weniger harmlose Werke zu betrachten. Interessante | |
| zeitgenössische Porträtserien von Hans Eijkelboom, der in „The street & | |
| modern life in Birmingham“ die Fotografierten in einer digitalen | |
| Endlosabfolge nach Kleidungsstücken und modischen Accessoires sortiert. | |
| Die Künstlerin Ashley Hans Scheirl ist mit einer Gemäldeserie vertreten, | |
| die sich einer zertrümmerten surrealistischen Formsprache bedient, wobei | |
| der Katalogtext von Pierre Bal-Blanc weniger auf die Kunst als ihre | |
| Geschlechtsumwandlung abhebt. Wang Bing zeigt dem Publikum in einer 450 | |
| Minuten (!) langen Videoprojektion den Arbeitstag asiatischer Näherinnen. | |
| ## Pure Propaganda | |
| Breiten Raum nehmen in der Eingangshalle Beau Dicks geschnitzte Holzmasken | |
| ein, die in ihren Motiven und Farben von der Mythologie der | |
| nordamerikanischen Kwakw’ala-Kultur erzählen. Es gibt sie noch, die vom | |
| Kapitalismus unberührten Kunstobjekte – die den modernen Menschen | |
| faszinieren, da sie ein Versprechen enthalten, welches sich nicht auf einen | |
| Satz reduzieren lässt. | |
| Weniger harmlos ist die Kunst der documenta immer dann, wenn sie zu | |
| großpolitischen Statements schreitet. Michael Auders 60-minütige | |
| Videomontage „War in the gulf“ sagt nichts zum Überfall Saddam Husseins | |
| 1990 auf Kuwait. Dafür wirkt Auders Zusammenschnitt von Nachrichten aus | |
| US-Medien bei der Befreiung Kuwaits 1991 plump antiamerikanisch. | |
| Einen eigenen Raum hat auch Ahlam Shibli für ihre Fotografien bekommen, um | |
| flankiert von langen Texttafeln die israelische Politik gegenüber den | |
| Palästinensern anzuprangern. Schade, pure Propaganda. Eine Fotoserie über | |
| die inneren Widersprüche, den extremen palästinensischen Nationalismus oder | |
| die Einstellung der palästinensischen Gesellschaft(en) zu Kunstfreiheit, | |
| Homosexualität, Frauen – sie schiene angebrachter, um wie von den Machern | |
| behauptet, Kunst von „radikal persönlichen Standpunkten aus sprechen“ zu | |
| lassen. | |
| 8 Apr 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
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