# taz.de -- Die Zehnerjahre in der Kultur: Gönnerhafte Zuwendung | |
> Refeudalisierung, patriarchale Superstrukturen und die Debatte um die | |
> Freiheit der Kunst. Das war das Jahrzehnt, kunstkritisch betrachtet. | |
Bild: „Histoires de Tripes – Volume 006“ von Ghizlane Sahli auf der Kunst… | |
Wenige Galerien, Kunsthändler und Auktionshäuser dominierten in der | |
vergangenen Dekade den Kunstmarkt. Das sagt der Tefaf Report, der | |
Marktbericht der European Fine Art Fair in Maastricht, einer der | |
international wichtigsten Kunstmessen. Vergangenes Jahr tätigten 30 | |
Galerien weltweit ein Drittel der Verkäufe, bei den Auktionshäusern waren | |
20 Häuser für 70 Prozent der Umsätze verantwortlich. Dem Art Basel & UBS | |
Report zufolge entfielen im gleichen Jahr 84 Prozent des globalen | |
Gesamtumsatzes von 60 Milliarden Euro auf die drei größten Märkte USA, UK | |
und China. Entscheidende Käuferschaft sind laut Report 200 Topsammler. | |
Öffentliche Museen finden sich nicht darunter. Ihnen fehlen die | |
Ankaufsetats. Daher ist es ihr Anliegen, von den Sammlern bedacht zu | |
werden, sei es mit Schenkungen, in Deutschland vor allem mit Leihgaben. Die | |
Sammlungspolitik der Museen ist also die der ihnen gewogenen Sammler und | |
Sammlerinnen. Den einen oder anderen Wunsch dürfen die | |
Museumsverantwortlichen dabei sicher auch äußern. | |
Die kanondestruierende Neueinrichtung, die das Museum of Modern Art (MoMA) | |
in New York anlässlich der Eröffnung ihres Erweiterungsbaus präsentierte, | |
ließe sich unter Umständen als Versuch sehen, die eigene Machtlosigkeit | |
subversiv zu unterlaufen. | |
Pablo Picassos kubistisches Schlüsselwerk „Les Demoiselles d’Avignon“ | |
(1907) mit den Alpträumen der afroamerikanischen Künstlerin und | |
Bürgerrechtsaktivistin Faith Ringgold („American People Series #20: Die“, | |
1967) zu konfrontieren, ist nach gängigen Maßstäben ein starkes Stück. | |
Modellhaft dafür, wie man mit Minderheitenpositionen die Fetische des | |
Marktes gegen den Strich bürsten kann. | |
Freilich hilft das wenig, solange im Aufsichtsrat des Museums mit Larry | |
Fink, Gründer und Chef von BlackRock, dem global führenden | |
Vermögensverwalter, weiterhin einer der Topsammler sitzt, die den | |
Kunstbetrieb beherrschen. Fink ist dazu zweitgrößter Investor der | |
US-amerikanischen Gefängnisindustrie, weswegen 220 Künstler, Kuratoren und | |
Wissenschaftler ihn in einem offenen Brief aufforderten, dieses Investment | |
aufzukündigen, wolle er länger im Direktorium des MoMA sein. | |
Die Ungereimtheiten des Kunstbetriebs fallen mit dessen Refeudalisierung, | |
die der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich anhand der oben genannten | |
Machtverschiebung konstatiert, erst richtig auf. | |
Die Demokratisierungs-, Solidarisierungs- und Teilhabeforderungen, die die | |
Kunst im 20. Jahrhundert noch als grundlegend für ihren Anspruch | |
betrachtete, ästhetische wie gesellschaftliche Avantgarde zu sein, | |
verfangen im durchkommerzialisierten Kunstbetrieb des 21. Jahrhunderts | |
nicht mehr, weswegen er endlich als patriarchale Superstruktur kenntlich | |
wird: absolut unzeitgemäß sexistisch, rassistisch, kriminell und immer | |
autoritär. | |
Der Maler Neo Rauch etwa antwortet auf eine ihm unliebsame Bemerkung von | |
Wolfgang Ullrich [1][mit dem Scheißbild „Der Anbräuner“] (2019), das ein | |
Immobilienfritze dann für 750.000 Euro ersteigert. | |
## Die intrinsischen Qualitäten des Kunstwerks | |
Währenddessen beklagen die Freunde der Kunst die Preisgabe des Kriteriums | |
der intrinsischen Qualität des Kunstwerks. Die Freiheit der Kunst ist dann | |
also dort gefährdet, wo die Annahme, das Kunstwerk sei immer größer als | |
sein Schöpfer, auf Skepsis stößt. | |
Wo man womöglich wie Michel Foucault der Meinung ist, „das Privatleben | |
eines Individuums, seine sexuelle Vorliebe und sein Werk hängen eng | |
miteinander zusammen, weil das Werk das gesamte Leben ebenso einschließt | |
wie den Text“ oder eben das Kunstwerk. | |
Josef Beuys ist das „Zeige deine Wunde“ (1974/75) erlaubt, einer sexuell | |
belästigten Künstlerin nicht. Hier ist sehr schnell von Tugendterror die | |
Rede. Den gibt es, keine Frage. Der autoritären Versuchung erliegen auch | |
jene, die Tabus brechen, Gewaltstrukturen benennen, Teilhabe und/oder | |
Respekt einfordern. | |
Sie erliegen womöglich der identitären Versuchung und bezichtigen am Ende | |
andere der schuldhaften „kulturellen Aneignung“, paradigmatisch der Fall | |
der Künstlerin Dana Schutz, weiße Frau malt unerhörter Weise schwarzes | |
Opfer. Ein Aufreger. Immerhin. Denn nur noch Starkünstler, Topgalerien und | |
Übersammler – dann werden wir über die kommenden 20er Jahre in der Kunst | |
als die Jahre sprechen müssen, in denen wir vor Langeweile gestorben sind. | |
31 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zeit.de/2019/32/neo-rauch-der-anbraeuner-versteigerung-auktion-… | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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