| # taz.de -- Die Linke und die Bayern-Wahl: Das erste Mal | |
| > Im bayerischen Landtag waren die Linken bisher noch nie. Doch bei dieser | |
| > Wahl stehen die Chancen für den Einzug gut. Ein Besuch in der Oberpfalz. | |
| Bild: Wird die Linke bald im Landtag in Bayern sitzen? | |
| Oberpfalz taz | Eine Frechheit! Da hängt doch tatsächlich die Natascha | |
| Kohnen! Mit zwei resoluten Bewegungen reißt Eva Kappl das Plakat der | |
| SPD-Kandidatin herunter, ratsch, ratsch, knüllt es zusammen und stopft es | |
| in den Papierkorb an der Bushaltestelle. So jetzt hat alles wieder seine | |
| Ordnung, hier in Wackersdorf in der Mittleren Oberpfalz in Bayern. Hinter | |
| der Kohnen ist wieder ihr Plakat zu sehen: Eva Kappl, eine junge Frau mit | |
| schwarzer Bluse und goldenem Nasenring. Daneben das Logo: Die Linke. | |
| Etwa 3.400 Mitglieder hat die Linke in Bayern, das macht einen pro 4.000 | |
| EinwohnerInnen. Die CSU im Land hat vierzig Mal mehr Mitglieder. Die Linke | |
| ist hier so etwas wie der Krümel auf dem blau-weiß karierten Tischtuch. | |
| Aber jetzt will die Krümelpartei in den Bayerischen Landtag und [1][kurz | |
| vor der Wahl sieht es plötzlich so aus, als könnte es tatsächlich klappen]. | |
| Zwischen 4 und 5 Prozent sagen die Umfragen der Linken voraus. Wenn sie es | |
| schafft, würde dass die Mehrheitsbildung im auf 180 Sitze gedeckelten | |
| Landtag so richtig erschweren. | |
| Selbst in der Berliner Parteizentrale glauben sie eigentlich nicht daran, | |
| dass es die bayerischen GenossInnen hinbekommen. Eine Sensation wäre das, | |
| sagen sie, und verweisen lieber auf Hessen, wo zwei Wochen später gewählt | |
| wird und die Linke voraussichtlich stabil ins Landesparlament einziehen | |
| wird. | |
| Doch die Eva Kappl aus der Oberpfalz, die glaubt daran, dass sie einziehen | |
| werden, und der Marius Brey auch. 20 und 21 Jahre sind sie alt, er trägt | |
| den Seitenscheitel links, sie rechts, beide bebrillt, der Kleidungsstil | |
| existenzialistisch dunkel. Es ist ihre erste Landtagswahl – als | |
| WählerInnen, aber auch als KandidatInnen. | |
| ## Die Angst vor den Linken nehmen | |
| Die beiden Kreisverbandssprecher für die Mittlere Oberpfalz – das ist eine | |
| mit der Bahn schwer erreichbare Region entlang der tschechischen Grenze – | |
| touren seit zweieinhalb Monaten nonstop durch ihren Wahlkreis. Über 10.000 | |
| Kilometer haben sie inzwischen zurückgelegt, 2.000 Plakate aufgehängt, an | |
| die 60 Mal den roten Pavillon und die Klapptische aus- und zugeklappt und | |
| in ihren Opel Corsa gestapelt. | |
| An diesem Donnerstag sind sie morgens auf dem Marktplatz in Burglengenfeld. | |
| Der rote Pavillon ist schon aufgestellt, darunter breitet Kappl die | |
| Unterschriftenlisten für das Volksbegehren „Stoppt den Pflegenotstand“ aus, | |
| das die Linke gemeinsam mit Verdi und der SPD initiiert. „Haben Sie schon | |
| unterschrieben?“, fragt sie einen Mann, der seinen Hund Gassi führt. Der | |
| Mann schaut auf den Flyer mit dem Bild von der Eva und stutzt. „Der | |
| Landarzt Kappl, ist das …“, sagt er. „… ja, mein Vater“, ergänzt Eva… | |
| Der Mann unterschreibt. | |
| „Noch einen Schreibblock?“, fragt Marius Brey, und der Mann nimmt auch den | |
| Block und dazu zwei Wahlkampfflyer. Das muss reichen, als Wink, die Linke | |
| zu wählen. „Es geht ja zunächst mal darum, den Leuten die Angst zu nehmen�… | |
| meint Kappl. Und wenn der Papa als allgemein geachteter Landarzt die | |
| goldene Brücke ist, über die die Leute in der CSU-Hochburg sich zum | |
| Wahlkampfstand der Linken leiten lassen, dann stellt man sich als | |
| 20-Jährige, die eigentlich längst in Berlin studiert, eben auch gern mal | |
| wieder als die Tochter vom Papa vor. | |
| Mit den Grünen vom Stand nebenan ist sie per Du. Dem CSU-Bürgermeister, der | |
| vorbeikommt und sich erkundigt, wie es läuft, schüttelt sie die Hand – | |
| Berührungsängste gebe es nicht; wenn es gegen die AfD ginge, dann seien sie | |
| froh über jeden Demokraten. Und das Ordnungsamt genehmige inzwischen all | |
| ihre Anträge für Wahlkampfstände „ohne Auflagen wegen guter Erfahrungen“. | |
| Kappl und Brey, die jungen bayerischen Linken, sind vor allem: pragmatisch. | |
| Eva Kappl trat 2015 in die Linkspartei ein, im gleichen Jahr wie Marius | |
| Brey. Sie war gerade siebzehn, er achtzehn. „Kann es nicht wenigstens die | |
| Grüne Jugend sein?“, fragten Kappls Eltern die Tochter. | |
| Aber damals stimmten die Grünen im Bundesrat gerade für neue sichere | |
| Herkunftsländer und für Eva Kappl, die in ihrem Schwandorfer Gymnasium | |
| Flüchtlingen Nachhilfe in Deutsch gab, kam nur noch die Linke in Frage. Den | |
| Marius Brey kannte sie vom Bündnis gegen TTIP, der war gerade bei den | |
| Piraten ausgetreten und suchte nach einer neuen Partei. „Komm, lass uns das | |
| zusammen machen“, schlug er vor. | |
| Und so traten sie einem Kreisverband bei, der vor drei Jahren nicht einmal | |
| genug aktive Mitglieder für einen Vorstand zusammenbekam. 71 Kreistage gibt | |
| es in Bayern, in gerade mal vier davon ist die Linke vertreten. Eine breite | |
| kommunale Verankerung sieht anders aus. | |
| Im 200 Kilometer entfernten Schweinfurt dagegen, da ist die Linkspartei | |
| schon fast ein Institution. Hier sitzt man seit zehn Jahren in | |
| Fraktionsstärke im Kreistag, hier hat der einstige Bundesvorsitzende Klaus | |
| Ernst sein Wahlkreisbüro. | |
| Schweinfurt ist die Wiege der bayerischen Linkspartei. Sie trafen sich 2004 | |
| zu Siebt im Naturfreundehaus, der Klaus Ernst war dabei, der Gerd Lobodda, | |
| der Thomas Hähnel, alle gestandene Gewerkschaftler, alle Männer, und weil | |
| ihnen Letzteres auch auffiel und es sonst blöd ausgesehen hätte, brachte | |
| der Händel noch seine Freundin mit zum Gründungstreffen. Sie nannten sich | |
| Initiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit und kritisierten die SPD, in | |
| der sie noch Mitglieder waren. Die SPD fand das nicht lustig und schmiss | |
| sie raus. Da gründeten sie eben einen neuen Verein. | |
| ## Solide wie ’ne Trachtentruppe | |
| Der ging 2007 in der neu gegründeten Linken auf. Auf dem neuen Parteinamen | |
| bestanden vor allem die Bayern, denn mit den Spinnern von der hiesigen PDS | |
| wollten sie nicht in Verbindung gebracht werden. Mit denen ärgerten sie | |
| sich auf Parteitagen herum, stritten stundenlang um | |
| Geschäftsordnungsanträge. Heute sind nur noch wenige Ex-PDSler dabei. | |
| „Solide wie ’ne Trachtentruppe“, sei die Partei heute, findet Ernst, der | |
| längst nach Berlin gegangen ist und seit 2009 im Bundestag sitzt. | |
| Von Berlin ist er Anfang Oktober nach Bayern gebraust, um für seinen | |
| Landesverband Wahlkampf zu machen. Tags zuvor war er in Schweinfurt, wieder | |
| im Naturfreundehaus, zusammen mit Gregor Gysi. „Rappelvoll war es“, sagt | |
| Ernst und seufzt. „Wenn es überall so laufen würde …“ | |
| Jetzt ist er in Regensburg, 14 GenossInnen warten in einem Sportclub. „Bist | |
| mit dem Porsche gekommen?“, fragt einer den Ernst. Der schüttelt den Kopf. | |
| Nein, mit dem Audi. | |
| Regensburg, das ist die Linke von vor zehn Jahren. Der Regensburger | |
| Linken-Stadtrat Richard Spieß ist der Mann, der hier alle hinter sich | |
| versammelt, ein Linken-Urgestein, Gründungsmitglied wie Ernst. Er wollte | |
| auf der Liste für den Wahlkreis Oberpfalz auf Platz 1, aber statt ihn | |
| wählten die GenossInnen lieber den 21-jährigen Marius Brey zum | |
| Spitzenkandidaten. Spieß ist nun auf Platz 13 gelistet. | |
| Gerade erlebt die Bayern-Linke nämlich ihre nächste Generalüberholung, seit | |
| einigen Monaten treten verstärkt junge Leute ein, 800 sollen es allein seit | |
| der Bundestagswahl sein. Seit der Bayernwahl vor fünf Jahren ist der | |
| Altersdurchschnitt der Parteimitglieder um 10 Jahre gesunken. „Eigentlich | |
| bin ich ein Auslaufmodell“, sagt Klaus Ernst und zwinkert. Jetzt, wo die | |
| ganzen Jungen kämen, die nicht über Gewerkschaften politisiert worden | |
| seien. „Na, nicht ganz“, korrigiert er sich. „Wir brauchen alle, die | |
| Gewerkschaftler und die Jungen.“ | |
| Der Interessenausgleich klappt ganz gut. Die Bundespartei schickt ihre | |
| Promis nach Bayern auf Wahlkampftour: Die Oberpfälzer konnten wählen | |
| zwischen Bernd Riexinger und Sahra Wagenknecht. „Straubing hat die Sahra | |
| nicht gewollt, da haben wir den Riexinger abgegeben“, berichten die | |
| Regensburger. Beim Thema Einwanderung, da denken sie auch ähnlich. | |
| ## Die Linken in Bayern ernst nehmen | |
| Nun spricht Sahra Wagenknecht am Mittwoch auf dem Regensburger Haidplatz. | |
| Nach Schwandorf oder Cham, den Stimmkreisen von Eva Kappl und Marius Brey, | |
| kommt sie nicht. Kappl winkt ab. „Muss ja nicht sein.“ Die Äußerungen der | |
| Fraktionsvorsitzenden zur Einwanderung kommen bei den jungen Linken nicht | |
| gut an, die über Flüchtlingsinitiativen und soziale Bewegungen sozialisiert | |
| sind. | |
| Der Kreisverband Mittlere Oberpfalz, den Brey und Kappl seit diesem Jahr | |
| gemeinsam leiten, hat inzwischen 60 Mitglieder, also doppelt so viele wie | |
| vor zwei Jahren. Eine solid-Gruppe, so etwas wie die Jugendorganisation der | |
| Linken, formiert sich gerade über Instagram. Evas Schwester ist | |
| Gründungsmitglied. Wenn man jung ist und ein bisschen rebellisch, ist die | |
| Linke in der Oberpfalz die erste Anlaufstation. [2][Die Junge Union | |
| scheidet per se aus], und die Grünen, die seien schon zu tief drin im Arsch | |
| der CSU, finden sie. | |
| Die solid-Gruppe in Gründung kommt am Abend zur Wahlkampfveranstaltung in | |
| die Wackersdorfer Rathausstuben, sieben Mädchen mit Kapuzenpullis oder | |
| kajalumrandeten Augen, die alle noch zur Schule gehen. Auch Kappls Eltern | |
| sitzen an einem der Wirtshaustische. Ja, sagt die Mutter, natürlich haben | |
| sie es anfangs gewöhnungsbedürftig gefunden, als die älteste Tochter bei | |
| der Linken eintrat. Nach kurzem Schweigen setzt sie nach: „Aber inzwischen | |
| habe wir uns sehr gut damit arrangiert.“ | |
| Es kann gut sein, dass Kappl und Brey es dieses Jahr nicht in den Landtag | |
| schaffen. Aber sie haben ja Zeit. In 30 Jahren wird Kappl so alt sein wie | |
| Natascha Kohnen heute. Auch der Ärger über die SPD, die ihr Plakat | |
| überklebt hat, ist inzwischen verraucht. Im Grunde täten ihr die | |
| Sozialdemokraten leid, sagt Kappl. Beschweren will sie sich trotzdem. Aus | |
| Prinzip. | |
| Die Sozialdemokraten müssen sich so langsam mal daran gewöhnen, die Linken | |
| in Bayern ernst zu nehmen. | |
| 10 Oct 2018 | |
| ## LINKS | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Lehmann | |
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