# taz.de -- Die Landesmedienanstalten gegen Pornos: Andere Pornos braucht das L… | |
> Bisher wird ein ineffizienter Kampf gegen kostenlose Pornoplattformen | |
> geführt. Dabei braucht es keine Verbote, sondern gute Alternativen. | |
Bild: Trailer von „FF MM Straight Queer Doggy BJ Oral Orgasm Squirting Royale… | |
Vor wenigen Wochen war es so weit: Eine der in Deutschland | |
meistaufgerufenen Webseiten war plötzlich für einen Großteil der | |
Nutzer*innen nicht mehr verfügbar. Die Landesmedienanstalten hatten eine | |
Netzsperre, also eine Blockade durch die Internet-Provider, der | |
Pornoplattform „xHamster“ durchgesetzt. Insbesondere die Behörde in | |
Nordrhein-Westfalen trieb die Sperre unter Berufung auf fehlende | |
Altersverifikationssysteme voran. Nutzer*innen, so die Forderung, sollen | |
sich beispielsweise über ein Ausweisdokument als volljährig ausweisen | |
müssen. | |
Paulita Pappel, selbst Pornografin und Gründerin der Amateur-Plattform | |
„Lustery“, kritisiert das Vorgehen scharf: „Man versucht de facto, den | |
Diskurs über Pornografie in der Öffentlichkeit zum Schweigen zu bringen und | |
versteckt sich dabei hinter dem Jugendschutz.“ Der Verdacht, dass es den | |
Behörden eigentlich um Zensur gehe, rührt vor allem daher, dass derartige | |
Blockaden als ineffizient gelten: „Die Idee, dass diese Netzsperren | |
sinnvoll wären, ist komplett absurd. [1][Ein Zwölfjähriger kann sie | |
innerhalb kürzester Zeit mit einem VPN umgehen]“, führt Pappel aus. | |
Tatsächlich war „xHamster“ nur wenige Stunden später wieder problemlos zu | |
erreichen. Schlicht, indem die Betreiber*innen die Landeskennung von | |
„de“ zu „deu“ abwandelten. Rebecca Richter, Rechtsanwältin und Gründe… | |
der auf Medienrecht spezialisierten Kanzlei „DUNKEL RICHTER“, geht davon | |
aus, dass sich die Landesmedienanstalten der Vergeblichkeit der Methode | |
durchaus bewusst sind. Vielmehr gehe es ihnen wohl darum, ein Exempel zu | |
statuieren. | |
Obwohl sowohl Pappel als auch Richter das Vorgehen der Behörden | |
kritisieren, halten beide das Agieren von kostenlosen Pornoplattformen wie | |
„xHamster“, „Pornhub“ und „YouPorn“ für problematisch und sehen du… | |
Handlungsbedarf. „Das Geschäftsmodell dieser Webseiten basiert auf dem | |
Verkauf von Werbung und Daten, es geht darum, Traffic zu generieren. | |
Darunter leidet nicht nur die Qualität, auch Piraterie spielt eine große | |
Rolle“, bemängelt Pappel. | |
## Einmal online, immer da | |
Dass dort regelmäßig geklautes Material verbreitet wird, schädigt nicht nur | |
die Produzent*innen der Filme, denen so Einnahmen entgehen. Die laxe | |
Kontrolle bei den Videos führt auch bei denjenigen, die unfreiwillig darin | |
zu sehen sind, zu großem Leid, wie Richter erklärt: „Neben den | |
nicht-einvernehmlich entstandenen Pornos, gibt es auch Situationen, in | |
denen Mandantinnen – wie meist bei sexualisierter Gewalt, sind die Opfer | |
hauptsächlich Frauen – einvernehmlich einen Porno gedreht haben, der dann | |
aber gegen ihren Willen hochgeladen wird.“ | |
Einmal online gestellt, werden die Inhalte immer wieder kopiert und sind | |
kurz darauf an anderen Stellen wiederzufinden: „Das Problem ist, dass man | |
an die Betreiber*innen, die größtenteils im Ausland sitzen, kaum | |
herankommt. Ebenso wenig an die Personen, die das Material uploaden. Dafür | |
gibt es rechtlich nicht genug Handhabe.“ | |
Als vielversprechendster Vorstoß galt [2][der „Digital Services Act“], ein | |
von der Europäischen Kommission entworfenes Gesetzespaket, das einheitliche | |
rechtliche Rahmenbedingungen für digitale Plattformen schaffen soll. Das | |
EU-Parlament sprach sich zunächst dafür aus, den Vorschlag um eine Regelung | |
zu ergänzen, wonach sich künftig alle Nutzer*innen, die Inhalte [3][auf | |
Porno-Webseiten] stellen wollen, vorher mit E-Mail-Adresse und Handynummer | |
registrieren müssen. Vergangenes Wochenende einigten sie sich allerdings | |
lediglich darauf, die Betreiber*innen großer Pornoplattformen zu einer | |
unverzüglichen Sperre gemeldeter Inhalte zu verpflichten. Selbst wenn die | |
neuen Regulierungen ein Fortschritt im Kampf gegen digitale Gewalt und | |
Piraterie sein könnten, lösen sie diese Probleme nicht: Da Seiten, die | |
keinen EU-Sitz haben, davon unberührt bleiben, kann das Material nach wie | |
vor weiterverbreitet werden. | |
## Es braucht ein Gegengewicht | |
Auch deswegen ist sich Richter sicher: „Einen Ansatz, der alles in einem | |
Abwasch löst, wird es nicht geben.“ Pappel plädiert dafür– statt auf | |
weitere potenziell stigmatisierende, explizit auf ihre Branche | |
zugeschnittene Regulierungen zu setzen – lieber Barrieren für | |
Produzent*innen, die andere Geschäftsmodelle verfolgen, abzubauen. Für die | |
begännen die Hürden bereits mit den Zahlungsdienstleistern: „Wir können | |
beispielsweise Dienste wie ‚Paypal‘ nicht benutzen, da sie die Abrechnung | |
von erotischen Inhalten in ihren AGBs verbieten.“ So werde ausdrücklich | |
eine [4][alternative Pornoszene], die für qualitativ hochwertigere und | |
vielfältigere Filme steht, immer weiter vom Markt gedrängt. | |
Ein Vorschlag, der ein Gegengewicht darstellen könnte, wurde kürzlich | |
[5][im „ZDF Magazin Royale“ vorgebracht]. Darin imaginierte Moderator Jan | |
Böhmermann ein öffentlich-rechtliches Angebot für ethisch-unbedenkliche | |
Erotikfilme und produzierte nach eigenen Angaben den ersten | |
„gebührenfinanzierten“ Porno. Pappel, welche die Regie übernahm, kam es v… | |
allem auf Diversität an: „Ich wollte nicht nur weiße Darsteller*innen | |
zeigen, Praktiken abseits des Heteronormativen abbilden. Zeigen, dass Sex | |
mehr als Penetration ist.“ Die Idee ist nicht neu: Bereits vor vier Jahren | |
folgte die Berliner SPD einem Antrag der Jusos, der feministische | |
Pornografie fördern wollte, um den Mainstreamproduktionen, die mitunter | |
sexistische und rassistische Stereotype bedienen, etwas entgegenzusetzen. | |
Entsprechende Inhalte könnten beispielsweise über die Mediatheken von ARD | |
und ZDF angeboten werden, hieß es damals. Der Vorstoß blieb bislang | |
allerdings folgenlos. Dabei hätte er das Potenzial: Neben der | |
Normalisierung feministischer Perspektiven auf Sexualität und einer | |
Konkurrenz zur Marktmacht der kostenlosen Plattformen, würde sich auch das | |
Verhältnis zu Pornografie verändern, wenn sie plötzlich nicht mehr auf | |
dubiosen Webseiten, sondern inmitten der Gesellschaft stattfinden würde. | |
## Raus aus der Schmuddelecke | |
Für Pappel hätte das viele positive Effekte: „Pornografie zu konsumieren | |
würde nicht mehr mit etwas Schmuddeligem assoziiert werden. Menschen wären | |
dadurch freier von Schuldgefühlen, die Kommunikation um Sexualität | |
womöglich offener. Was vielleicht sogar Übergriffen vorbeugen könnte.“ | |
Angesichts der ohnehin hitzig geführten Debatte um die angemessene | |
Verwendung von Rundfunkbeitragszahlungen scheint die Umsetzung | |
beitragsfinanzierter Pornografie weit entfernt. Rein rechtlich sei sie laut | |
Richter aber durchaus möglich: „Es gibt den öffentlich-rechtlichen | |
Rundfunkauftrag, eine Grundversorgung an Information, Bildung, Unterhaltung | |
und Beratung zu liefern. Darin soll Vielfalt ausdrücklich abgebildet | |
werden, die im Mainstream der Privaten nicht dargestellt werden kann.“ | |
Ein Telemedienkonzept könnte den Aufbau eines eigenen Bereichs innerhalb | |
der Mediatheken nach vorab definierten Kriterien vorsehen: „Der | |
Bildungsauftrag könnte beispielsweise erfüllt werden, indem die gezeigten | |
Filme veranschaulichen, wie Konsens, Kommunikation und echte Lust | |
funktionieren. Damit wäre ein entsprechender Rahmen gesetzt, der diese | |
Grundversorgung umsetzt.“ Der Ansatz, so den großen kostenlosen | |
Pornoplattformen den Rang streitig zu machen, müsste sogar den | |
Landesmedienanstalten gefallen – sofern es ihnen tatsächlich um den | |
Jugendschutz geht. Schließlich nimmt man bei ARD und ZDF bereits jetzt die | |
Alterskontrolle sehr ernst. | |
1 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Pornos-sperren-fuer-den-Jugendschutz/!5817663 | |
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[3] /Film-ueber-das-Pornofilmgeschaeft/!5825259 | |
[4] /Aktivistin-ueber-feministische-Pornos/!5453942 | |
[5] /Jan-Boehmermann-im-ZDF-Hauptprogramm/!5726806 | |
## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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