# taz.de -- Film über das Pornofilmgeschäft: Das Geschäft ohne Vergnügen | |
> Regisseurin Ninja Thyberg seziert in ihrem Langfilmdebüt die | |
> Pornoindustrie. Mit dokumentarischer Präzision zeigt sie misogyne | |
> Mechanismen. | |
Bild: Im Zeichen der Schaulust: Linnéa (Sofia Kappel) in „Pleasure“ | |
Filme wie „Pleasure“ hat es eigentlich schon unzählige Male im Kino | |
gegeben. Eine junge Protagonistin bricht in ein fremdes Land auf, um ihren | |
Traum zu verfolgen. Der stellt sich allerdings jäh als ein Trugbild heraus. | |
Verbissen versucht sie dennoch daran festzuhalten, es bis ganz an die | |
Spitze zu schaffen. Selbst wenn ihre Seele auf dem Weg dorthin Schaden | |
nimmt. | |
So lässt auch die 20-jährige Linnéa (Sofia Kappel) die schwedische Heimat | |
hinter sich, um in Los Angeles durchzustarten. Allerdings sucht sie die | |
berufliche Erfüllung am Sehnsuchtsort an der Westküste der USA nicht etwa | |
als Tänzerin, Sängerin oder Schauspielerin, sondern als Pornodarstellerin. | |
Radikale Selbstermächtigung ist die wahrscheinlichste Motivation hinter | |
ihrem Ziel. Dass sie die Spießigkeit ihrer Landsleute hasst, erklärt sie an | |
einer Stelle. Dass sie „Schwänze“ liebt, an einer anderen. Das eine trägt | |
sie mit jugendlicher Überheblichkeit, das andere mit jugendlicher Lust an | |
der Provokation vor. | |
Auf mehr Introspektion verzichtet die schwedische Regisseurin Ninja Thyberg | |
in ihrem erstaunlichen Langfilmdebüt – so ist ihre Protagonistin im Prinzip | |
die typische Heldin des Coming-of-Age-Genres, die nach einem ureigenen Weg | |
im Leben sucht. Und dennoch ist „Pleasure“ weit davon entfernt, ein | |
typischer Vertreter besagten Genres zu sein. | |
## Abrechnung mit der Pornoindustrie | |
Vielmehr ist das Drama, in seiner wütenden, aber gleichsam sehr zielgenauen | |
Kritik, eine Abrechnung [1][mit der Pornoindustrie]. Zielgenau deshalb, | |
weil es erkennen lässt, dass es sich darüber im Klaren ist, dass es [2][die | |
Sexfilmbranche eigentlich gar nicht gibt]. Wütend deswegen, weil auf dem | |
Massenmarkt ausbeuterische Strukturen dominieren. Trotz einiger | |
begrüßenswerten Veränderungen, wie einer wachsende Nische an feministischen | |
Produktionen, in denen Performer*innen selbstbestimmt agieren. | |
Mit dokumentarisch anmutender Präzision seziert Thyberg, die gemeinsam mit | |
Peter Modestij auch das Drehbuch verfasste, Mechanismen und Logiken der | |
Industrie. So gelingt es, sowohl die formalen Verbesserungen der | |
Arbeitsbedingungen, mit denen sich die Branche gerne brüstet, als auch | |
ihren inhärent demütigenden, meist misogynen Charakter zu transportieren. | |
Bei Linnéas erstem Dreh etwa dokumentiert der Produzent, wie er sie nach | |
Alter, Alkohol- und Drogeneinfluss, Vorlieben und Tabus fragt, das | |
vereinbarte Gehalt (900 Dollar) nennt. Dann wird ihr vom Co-Darsteller ein | |
Fläschchen gereicht, mit dem sie nicht umgehend etwas anzufangen weiß. Dass | |
das eine Vaginaldusche ist, erklärt er ihr. Damit „deine Muschi schön | |
frisch ist für mich“, ergänzt er. | |
Im Gegensatz zu Frauen sind die männlichen Kollegen nicht mit dem Stigma | |
behaftet, schmutzig zu sein, besondere hygienische Vorbereitungen für sie | |
daher nicht notwendig. Beinahe beiläufige und dennoch enorm treffsichere | |
Verweise auf derlei Doppelstandards finden sich immer wieder im Film. | |
## Würdeloses Casting | |
In einem von allerhand Körperflüssigkeiten getränkten Gewaltmarsch | |
durchläuft „Pleasure“ im weiteren Verlauf degradierende Casting-Prozesse, | |
macht sein Publikum auf ein System aufmerksam, in dem Agenten als | |
Vermittler die Basis bilden – deren Gebaren sich dabei nur marginal von dem | |
von Zuhältern unterscheidet –, und gibt – meist traumatische – Eindrücke | |
von der Arbeit am Set. | |
Die Kamera fängt stets genug ein, um nichts zu beschönigen, bleibt aber | |
zurückhaltend genug, um nicht selbst voyeuristisch zu wirken. So ist etwa | |
der entwürdigende „Cumshot“ zwar selbst nicht zu sehen, dafür aber, wie | |
Linnéa wenige Augenblicke später mit beschmiertem Gesicht für Instagram | |
posiert. | |
Dass das Gezeigte so glaubhaft wirkt, liegt auch daran, dass die | |
Regisseurin nach der Premiere ihres gleichnamigen Kurzfilms in Cannes 2013 | |
mehrere Jahre in der Branche recherchierte und nicht nur die erlangten | |
Kenntnisse, sondern auch Bekanntschaften in die Langfassung einfließen | |
ließ. Außer Kappel, die mit dieser herausfordernden Rolle ein nicht minder | |
beeindruckendes Debüt abliefert, sind alle vorkommenden Personen | |
tatsächlich in der Branche tätig. | |
So taucht neben dem Pornostar-Agenten Mark Spiegler, dessen Klientinnen zur | |
Porno-Elite zählen, unter anderem Evelyn Claire als Ava auf, die zur | |
zentralen Kontrahentin Linnéas, ihrem Fixpunkt wird. Mit dem Ziel vor | |
Augen, selbst ein „Spiegler Girl“ zu werden, geht sie über enttäuschte | |
Erwartungen hinweg, bietet sexuelle Praktiken an, die sie eingangs noch | |
abgelehnt hat. | |
## Korrumpiert vom Erfolg | |
„Pleasure“ beweist feines Gespür für den charakterlichen Verfall, den die… | |
Kompromisse gegenüber dem eigenen Wohlbefinden bedeuten. Aufmerksam | |
zeichnet der Film nach, wie seine Heldin vom unbedingten Erfolgswillen | |
korrumpiert wird, eigens Kolleginnen ausbeutet und so letztlich selbst zum | |
Teil des Problems wird. Das Urteil scheint klar: Es gibt kein richtiges | |
Handeln in der falschen Branche. | |
Beinahe zumindest. Dass es auch anders geht, demonstriert Thyberg bei einem | |
hauptsächlich von Frauen organisierten SM-Dreh: Dort gehören genaue | |
Absprachen, „Safe Words“ und die anschließende Fürsorge zur Regel. | |
Es ist wohl der einzige Moment, in dem Linnéa so etwas wie Vergnügen oder | |
Lust empfindet. Aber das ist nun mal Nische. | |
13 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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