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# taz.de -- Porträtfilm über Erica Jong: All die schrecklichen Versuchungen
> Der Porträtfilm „Erica Jong – Breaking the Wall“ begegnet der
> US-amerikanischen feministischen Schriftstellerin voller Respekt und ohne
> Kritik.
Bild: Die Schriftstellerin Erica Jong
Dem Spiegel blieb der Mund offen stehen: „Sie sagt „Schwanz“ und „Möse…
konstatierte man leicht irritiert in einer Rezension von 1976 über Erica
Jongs „Angst vorm Fliegen“. Der Debütroman der „Dame, die im herkömmlic…
Wortsinn offenkundig keine sein will“, hieß es weiter, sei „überwürzt mit
einem obszön-intellektuellen Smalltalk“.
Dabei hatte das Werk den „Frauenroman“, in dem es bis dato viel, wenn auch
nicht nur, um romantische Liebe ging, in den 70ern eigentlich vor allem
durchgeschüttelt, und ihn mit – zu dieser Zeit – als drastisch geltenden
Worten versetzt.
Aber das war ein Riesenverdienst der damals 34-Jährigen: Sie fand Bilder
für das weibliche Begehren – und konnte sie tief im Mainstream verankern.
Frauen, das schien ein Teil der Gesellschaft erst mit [1][Jongs Buch] zu
akzeptieren, erleben die gleichen Fantasien, die gleiche Lust wie Männer.
Zuweilen haben sie, Schockschwerenot, sogar spontan Sex.
## Fleckenlose Huldigung
Für diese überfällige Erkenntnis möchte der Dokumentarfilm „Erica Jong –
Breaking the Wall“ der mittlerweile knapp 80-Jährigen Respekt zollen. Und
Regisseur Kaspar Kasics hat viel Respekt: Sein größtenteils während des
Lockdowns in den USA entstandenes Werk ist eine fleckenlose Huldigung.
Kasics durfte sich ausgiebig in der wunderschönen, mit Erinnerungen
vollgestopften Wohnung Jongs in Manhattan umschauen; er dokumentiert
zugewandte Besuche von ihrer Tochter samt Enkelkind, sitzt bei Gesprächen
mit Erica Jongs Schwester mit am Tisch und lässt ihren vierten Ehemann, den
Scheidungsanwalt Ken Burrows, von der Beziehung schwärmen. Bei einem Besuch
auf dem Land ist er dabei, ebenso wie bei einer Reise nach Venedig.
Dass Jong sehr gern – und fast ausschließlich – von sich erzählt, was auf
den bereits in „Angst vorm Fliegen“ von ihr selbst diagnostizierten
Narzissmus hinweist – es ist nicht ungewöhnlich, dass Narzist:innen den
Terminus umarmen –, klingt im Film eher zufällig durch: „Es ist
interessant, dass ich aufgehört habe zu malen“, befindet Erica Jong,
während sich im Hintergrund ein Alexander-Calder-Mobile dreht.
Sie genießt es, wie angehende Autorinnen bei einem Schreibworkshop an ihren
Lippen hängen. Und „stell dir vor“, sinniert sie angesichts eines akuten
Haushaltsproblems, „stell dir vor, Thomas Mann hätte sich um eine kaputte
Waschmaschine kümmern müssen!“. Ja, nicht auszudenken, dass ein:e
Künstler:in in das profane Leben einsteigt.
## Aussagestarke Talkshow-Ausschnitte
Aussagestark in Bezug auf Jongs Bedeutung für die Gesellschaft sind dabei
vor allem die Talkshow-Ausschnitte, die Kasics zusammengesucht hat: In
einer Fernsehsendung von 1984 prangert Jong den „pay gap“ zwischen Frauen
und Männern an – im Film konstatiert sie, dass es aktuell trotz eines
veränderten Images noch immer Ungerechtigkeiten gibt. Andere Talkshow-Hosts
gickern in den 80ern über den „Spontanfick“ – und demonstrieren damit die
eigene Verklemmtheit.
1994 befragt ein Showmaster Jong zu ihren „selbstzerstörerischen Phasen“ �…
als junge, erfolgreiche Autorin sei es einfach ungemein schwer gewesen,
erklärt Jong, all den schrecklichen Versuchungen zu widerstehen. Welchen
denn, will der Reporter wissen. Zum Beispiel dem Schreiben eines Drehbuchs
in Hollywood, antwortet Jong.
Diese an Hybris grenzende Ambivalenz bleibt im Film unkommentiert. Jong
bestimmt stattdessen die Inhalte und diktiert der Regie ihre eigene
Laudatio charmant, aber entschlossen in den Stift.
Dabei hat sie selbstredend das Lob verdient, für ihr wichtiges Buch, das
Diskussionen anstieß, für Bonmots wie „Man muss sich Gleichberechtigung
vorstellen können“. Oder „Geschichte ist in der Sprache eingebettet“. Do…
hätte [2][eine starke Autorin wie Jong] genau darum mehr Kritik vertragen.
24 Mar 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Literatur
Feminismus
Sexualität
USA
Dokumentarfilm
Porträtfilm
Digitale Medien
Film
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