Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Schwedischer Bestseller "Bitterfotze": Keine Angst vor bitteren Lip…
> Maria Sveland hat das Kunststück geschafft, den feministischen
> Entwicklungsroman der Siebziger zu modernisieren: In "Bitterfotze" geht
> es um Fremdbestimmung in der Mutterschaft.
Bild: Trotz des Titels geht es in "Bitterfotze" eher um Feminismus statt Körpe…
Nein, es ist kein neues Feuchtgebiet, das hier unter dem nicht wirklich
appetitlich klingenden Titel "Bitterfotze" erschlossen wird. Maria Svelands
Roman, in Schweden viel diskutiert, ist mehr feministischer als
körperpolitischer Hardcore. Doch um Rückeroberung von Terrain geht es
schon.
"Man braucht sich nicht dafür entschuldigen, dass man seine eigene Seele
besitzen will", schreibt Erica Jong 1973 in "Angst vorm Fliegen". Den
Bestseller der Frauenbewegung hat 2007 Maria Svelands Romanheldin Sara im
Gepäck. Parallel zu Jongs Hauptfigur unternimmt sie eine Reise, um darüber
nachzudenken, wie das Patriarchat ihre Seele okkupieren konnte - bis zum
Kollaps.
Das allein lässt aufmerken. Eine junge Schwedin von heute und der alte
Schinken über eine Frau, die darum ringt, sich nicht nur über Männer zu
definieren? "Alter Feminismus" revisited - das konnte wohl nur einer
Schwedin einfallen.
Maria Sveland ist das heikle Vorhaben gelungen, den feministischen
Entwicklungsroman, in den Siebzigern ein gängiges Genre der "neuen
Innerlichkeit", zu modernisieren. Und das ist aus vielen Gründen
bemerkenswert.
Mit einer fremdbestimmten Seele möchte sich in diesen
hyperindividualisierten Zeiten niemand so recht auseinandersetzen - uncool.
Wer sich entfremdet fühlt, ist selbst schuld, lautet die Devise. Bloß nicht
über Diskriminierungen reden, das macht so einen bitteren Zug um den Mund.
Sveland triggert aber genau diese Zielgruppe mit der Situation, in der die
Fremdbestimmung auch heute noch erbarmungslos offenbar wird: Mutterschaft.
Ihre Hauptperson Sara nimmt sich eine Woche Pauschalurlaub auf Teneriffa
als Auszeit von Mann und Kleinkind. Nach der Geburt ihres Sohnes wurde die
Journalistin schwer krank - und ihr Mann, Nachwuchsregisseur, ließ sie
dabei ziemlich hängen.
Sie versucht nachzuvollziehen, wie es kommt, dass sie darüber so unendlich
sauer, bitter, "bitterfotzig" geworden ist. Und trifft auf das Lebensgefühl
einer Generation von Frauen, die mit Gleichheitsversprechen (wir sind in
Schweden) aufgewachsen ist - und immer wieder auf doppelte Standards stößt:
Ihre Eltern haben ihr noch das ganze traditionelle Drama mit demütigendem
Vater und sich duckender Mutter vorgeführt. Die Tochter wächst mit einem
unersättlichen Hunger nach Bestätigung auf - und registriert die Diskrepanz
zu emotional wohlversorgten Jungs mit großem Ego. Als sie mit diesem
Appetit ins Sexualleben eintritt, muss sie feststellen, dass sie damit als
"Hure" gilt - als für jedermann verfügbar. Im Berufsleben ist sie endgültig
im Land der männlichen Hegemonialmacht angekommen: Eine unsichtbare Macht,
die vor allem den Privilegierten selbst nicht auffällt: Chefs sind
begeistert von vagen, aber lässig hingeworfenen Ideen ihrer Günstlinge -
zufällig immer Männer. Während Redakteurinnen noch fleißig Exposés
formulieren, die der Chef leider trotzdem irgendwie nicht versteht - vor
allem wenn es um Frauenrechte geht. Das Ergebnis dieses schleichenden,
unbewussten Prozesses: Sara, mit Preisen ausgezeichnete, anerkannte
Journalistin, bekommt Magen- und Selbstwertprobleme. Sveland stellt
"bitterfotzige" Statistiken zusammen: Dass Männer in Ehen glücklicher sind
als als Singles, bei Frauen ist es umgekehrt. Chronisch kranke Ehemänner
werden weniger häufig verlassen als der Durchschnitt, kranke Ehefrauen
häufiger als der Schnitt.
Dazu die Beobachtungen im Touristenghetto-Pauschalhotel: Unglückliche
Ehefrauen versuchen, Konversation mit ihren schweigsam geradeaus starrenden
Ehemännern zu machen. Mütter jagen entnervt ihren Kleinkindern hinterher,
während der Papa Bier am Pool trinkt und sich entspannt. "Ich will nie
wieder saure Frauen mit angespannten Lippen verachten", schwört sie sich,
"denn hinter jeder blöden Kuh steckt eine gekränkte Frau." Ihr Mann
verlässt den Sohn ohne Schuldgefühle tage- und wochenlang. Sie selbst
verreckt fast vor Schuld. Und die konsultierten Paartherapeuten dichten das
Szenarium ideologisch ab: "In einer Liebesbeziehung Gerechtigkeit zu
fordern, das könnt ihr vergessen."
Erica Jong lässt "Angst vorm Fliegen" offen enden, in den Siebzigern ist
eine Lösung der Geschlechterverstrickung nicht in Sicht. "Im 19.
Jahrhundert heiratete man am Schluss, im 20. lässt man sich scheiden",
sinniert Jongs Hauptfigur. Sveland dagegen wählt ein "heteronormatives
21.-Jahrhundert-Ende", Sara fährt nach Haus und erwartet ein weiteres Kind.
Aber wir leben in selbstreflexiven Zeiten. Es geht zurück in eine
emanzipierte Beziehung.
Was ist anders? Was ist heute anders als in den Siebzigern? Der Mann,
Johan, möchte eine gleichberechtigte Beziehung. Seine Abwesenheiten und
sein Unverständnis unterlaufen ihm unbewusst, er ist aber ansprechbar. (Es
wird übrigens auch eine kompetentere Paarberatung gefunden). Sara sieht
ihre eigene Verstrickung, es sind ihre Schuldgefühle, die sie selbst
überwinden muss. Ohrstöpsel etwa sind dabei unglaublich hilfreich: Nachts
hört man das Kind nicht, und morgens fühlt man sich nicht bemüßigt, mit
einem Morgenmuffel Konversation zu machen. Und sie treibt die
Rollenangleichung aktiv voran: Ihr Mann wird interessanterweise ähnlich
hysterisch wie sie, als er mit der Elternzeit dran ist. Sara kann sich
einen Geschlechterfrieden vorstellen, der immer neu eingefordert werden
muss. Sie wird "Teilzeit-Bitterfotze".
Svelands Buch ist hoch suggestiv: Es liest sich wie eine Autobiografie,
authentische Erfahrungen einer jungen Schwedin. Es ist aber ein Roman,
voller Verdichtung: Es ist nicht "genau so": Erst vergewaltigt der Vater
die Mutter, dann wird man selbst fast vergewaltigt, dann trifft man auf
bescheuerte Chefs, verstockte "Stilltanten" und biologistische Therapeuten.
Aber all diese Erfahrungen kann eine Frau machen. Und sie sind Indizien für
eine Geschlechtermachtordnung, deren Struktur für viele Menschen unsichtbar
bleibt. Sveland hat es geschafft, die condition féminine des 21.
Jahrhunderts zu bebildern. Und das 21. Jahrhundert ist eben nicht die Zeit
des 70er-Jahre-Patriarchats, sondern einer Geschlechterordnung unter der
Hegemonie dominanter Männlichkeit. Dazu muss man ziemlich hellsichtig sein
- und überhaupt auf die Idee kommen, an die Erzählungen der Frauenbewegung
anzuschließen. Und keine Angst vor bitteren Lippen haben.
27 Feb 2009
## AUTOREN
Heide Oestreich
Heide Oestreich
## TAGS
Literatur
## ARTIKEL ZUM THEMA
Porträtfilm über Erica Jong: All die schrecklichen Versuchungen
Der Porträtfilm „Erica Jong – Breaking the Wall“ begegnet der
US-amerikanischen feministischen Schriftstellerin voller Respekt und ohne
Kritik.
"Bitterfotze" von Maria Sveland: Die Wut als Seismograph
Sara, die Ich-Erzählerin in Maria Svelands Roman, begreift ihr persönliches
Leiden als Indikator eines ungerechten Allgemeinzustandes. Trotzdem ist das
Ende vorsichtig versöhnlich.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.