| # taz.de -- Kulturwissenschaftlerin über Pornografie: „Wissen ist der beste … | |
| > Wenn wir über Pornografie reden, tun wir das allzu oft allzu | |
| > alarmistisch, sagt Madita Oeming. Sie plädiert für Ehrlichkeit und | |
| > Entstigmatisierung. | |
| Bild: Viel zu beforschen: Männer wollen im Jahr 1973 in ein Kino, das den Film… | |
| taz: Madita Oeming, was ist das häufigste Missverständnis, dem Sie als | |
| „Pornowissenschaftlerin“ begegnen? | |
| Madita Oeming: Ich finde es auffällig, dass permanent das Genderstereotyp | |
| auf mich projiziert wird, dass Frauen angeblich keine Pornos gucken. Viele | |
| Menschen denken, dass ich meine persönliche Abneigung gegenüber diesen | |
| Inhalten überwinden müsse, um sie zu analysieren. Dabei schaue ich in | |
| Wirklichkeit natürlich auch privat Pornos. Ich denke, wäre ich ein Mann, | |
| würde mir vermutlich permanent unterstellt werden, dass ich das nur mache, | |
| um mich aufzugeilen, mein Hobby zum Beruf gemacht hätte. Ein anderes | |
| häufiges Missverständnis: dass ich von morgens bis abends Pornos gucken | |
| müsse, um meinen Beruf auszuüben. Das amüsiert mich. Eine | |
| Literaturwissenschaftlerin liest ja auch nicht den ganzen Tag Romane. | |
| Wird [1][Ihre Forschung] denn grundsätzlich ernst genommen? | |
| Von vielen werde ich belächelt. Pornos gelten als unterkomplex. Was soll | |
| man da analysieren? Dabei handelt es sich um ein so vielschichtiges Medium | |
| und eine mit etlichen Diskursen verwobene kulturelle Praxis. | |
| Sie nennen in Ihrem Buch Zahlen. Demnach geben 96 Prozent der Männer und 79 | |
| Prozent der Frauen zwischen 18 und 75 Jahren an, schon mal Pornos gesehen | |
| zu haben. Wie sehr unterscheiden sich männlich und weiblich gelesene | |
| Menschen beim Konsum? | |
| Es ist schon eine merklich gegenderte Mediennutzung. Bei Jugendlichen zeigt | |
| sich das besonders deutlich: Männliche Jugendliche kommen früher mit Pornos | |
| in Kontakt, nutzen sie häufiger und regelmäßiger. Bei Erwachsenen verläuft | |
| sich das mehr. Vor allen bei den jetzt 18- bis 30-Jährigen nähern sich die | |
| Zahlen zunehmend an im Vergleich zu den jetzt 50- bis 60-Jährigen. Das ist | |
| ein Prozess: Mehr und mehr Frauen schauen Pornos. Einschlägige | |
| Pornoplattformen sprechen von etwa 30 Prozent Frauenanteil in ihrem | |
| Publikum. Trotzdem bleibt das ein deutlicher Unterschied. | |
| Woran liegt das? | |
| Auf jeden Fall nicht „an der Natur des Mannes“ oder daran, dass Frauen „v… | |
| Natur aus“ weniger Lust hätten, weniger visuell stimulierbar wären oder | |
| derlei. Die Unterschiede im Porno-Nutzungsverhalten werden häufig dazu | |
| genutzt, Geschlechter-Unterschiede nur wieder zu zementieren, zu | |
| biologisieren. Für mich ist eher die fehlende Sozialisation von Frauen als | |
| lustvolle Wesen zentral. Wir haben nicht gelernt, fernab von Reproduktion, | |
| Beziehungsarbeit oder Bedürfnisbefriedigung anderer Sex haben zu dürfen. | |
| Nicht mal mit uns selbst! Zudem haben viele Frauen verinnerlicht, dass | |
| Pornos frauenfeindlich seien. Das steht dann im scheinbaren Widerspruch mit | |
| ihrem feministischen Selbstverständnis. | |
| Schon im Untertitel ist Ihr Buch „eine unverschämte Analyse“, sehr | |
| prominent widmen Sie es allen, „die sich noch schämen“. Welche Rolle spielt | |
| die Scham bei unserem Umgang mit Pornos? | |
| Sie ist erst mal ein sehr großes Hindernis für einen Dialog. Menschen haben | |
| Angst, von anderen für ihre Pornogewohnheiten bewertet zu werden. Sie | |
| verurteilen sich auch oft selbst dafür, denken, mit ihnen stimme etwas | |
| nicht. Der fehlende Austausch verstärkt das nur. Die Scham und das | |
| Schweigen sind ein idealer Nährboden für Fehlannahmen und Ängste. Die | |
| gegenwärtige öffentliche Unterhaltung über Pornografie ist [2][vornehmlich | |
| alarmistisch]: Sie kreist um Pornosucht, verwahrloste Jugendliche, | |
| Frauenfeindlichkeit et cetera und lässt nur wenig Raum für die Potenziale | |
| von Pornos. Es geht immer schnell um Verbote, die für tatsächlich | |
| bestehende Probleme nicht produktiv sind. Ich sehe in der Scham und dem | |
| Stigma einen Dreh- und Angelpunkt. | |
| Wofür? | |
| Für fehlende sexuelle Bildung, für ein schlechtes Gewissen auf | |
| individueller Ebene, für fehlgeleitete Politik auf gesellschaftlicher | |
| Ebene. Allein die fehlende Bereitschaft, für Pornos zu bezahlen. Die hat ja | |
| auch mit Scham zu tun: Ich habe vielleicht Angst, dass mein_e Partner_in | |
| das irgendwie auf der Kreditkartenabrechnung entdeckt. | |
| Welches sind denn heute die Probleme in der [3][Porno-Industrie]? Anders | |
| gefragt: Wie unterscheidet die sich, sagen wir: von der in den | |
| 1970er-Jahren? | |
| Sie hat sich seither maßgeblich verändert. Vor allem durch das Internet und | |
| zuletzt auch noch mal pandemiebedingt. [4][Plattformen wie „Onlyfans“] sind | |
| sehr erfolgreich geworden. Das klassische Studiosystem ist so gut wie tot. | |
| Das hat durchaus Menschen aus Abhängigkeitsverhältnissen gelöst. Eine | |
| Pornodarstellerin braucht nicht mehr zwingend einen Agenten, einen | |
| Produzenten, ein Studio, sondern kann ihre eigenen Inhalte produzieren und | |
| vertreiben. Da sind wir natürlich auch gefragt, unsere Konsummacht zu | |
| nutzen. Und uns nicht nur wahllos Raubkopien auf Pornhub reinzuziehen. | |
| Stattdessen? | |
| Mehr auf Bezahlplattformen bewegen, die wesentlich transparenter gestaltet | |
| sind. Um zu wissen: Wer hat diesen Film gemacht? Wer hat diesen Film | |
| hochgeladen? [5][Wem schaue ich hier gerade beim Sex zu?] So habe ich auch | |
| eine größere Sicherheit, dass das Ganze einvernehmlich passiert ist. | |
| Also so was wie eine Fairtrade-Logik: Ich muss Geld in die Hand nehmen, | |
| wenn ich ethisch korrektere Ware will. | |
| Richtig. Es ist doch eine bigotte Haltung, wenn Leute sagen: Nee, also | |
| diese Industrie ist total problematisch, die ganze Gewalt und so … Aber | |
| für die Produkte bezahlen? Nö. | |
| Gibt es heute aussichtsreiche oder – je nach Perspektive – gefährliche | |
| Bestrebungen, den vermeintlichen Schmuddelkram einfach zu verbieten? | |
| Durchaus! Die [6][Landesmedienanstalten] und die Kommission für | |
| Jugendmedienschutz sind derzeit stark auf dem Vormarsch. Vergangenes Jahr | |
| gab es die erste Netzsperre für ein Pornoportal – das ist ein Mittel | |
| repressiver Staaten. Ich halte das für eine sehr problematische | |
| Herangehensweise. Wenn wir das Jugendschutzgesetz in Deutschland zu Ende | |
| denken und sich die Landesmedienanstalten damit durchsetzen, wird in | |
| Deutschland niemand mehr einen Porno gucken können, ohne den Ausweis in die | |
| Kamera gehalten zu haben. Das ist datenschutztechnisch fragwürdig, erst | |
| recht bei einer derart stigmatisierten Medienpraxis. Menschen können ja | |
| ihren Job verlieren, wenn ihr Browser-Verlauf veröffentlicht oder ihre | |
| sexuelle Orientierung offengelegt wird. Diese Einbuße an sexueller | |
| Freiheit, auch an Netzneutralität, steht nicht im Verhältnis zum Nutzen. | |
| Denn es ist nicht mal ein effektives Mittel zum Jugendschutz. | |
| Warum das? | |
| Jede_r 14-Jährige kann einen VPN-Client installieren und trotzdem auf die | |
| gesperrten Seiten gelangen. Es entsteht eigentlich nur die Illusion, der | |
| Staat hätte seine Aufgabe getan. Dabei wäre der größte Handlungsbedarf in | |
| puncto Jugendliche und Porno: sexuelle Bildung und die Vermittlung von | |
| Pornokompetenz. Der beste Jugendschutz ist Wissen. | |
| 6 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Alexander Diehl | |
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