# taz.de -- Mal öfter wieder masturbieren | |
> Die Amerikanistin Madita Oeming sprach an der Freien Universität über die | |
> Pathologisierung von Porno | |
Von Jan Jekal | |
Nie haben so viele Menschen so viele Pornos geschaut wie heute. Im Internet | |
ist Pornografie kostenlos, anonym, schnell und ständig verfügbar. Die Seite | |
Pornhub hatte nach neunzehn Tagen 50 Millionen Nutzer. So verdeutlichte die | |
Amerikanistin Madita Oeming am Mittwochabend den Mainstream-Status des | |
Pornos, in ihrem Vortrag „The Politics of Pathologizing Porn“, den sie im | |
Rahmen der Ringvorlesung „Popular Culture, Media, and Politics in the US“ | |
an der Freien Universität gehalten hat. | |
Oeming, 33, ist eine Pionierin der deutschen „porn studies“, also der | |
wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Pornografie. Vor einigen Monaten | |
wurde Oeming selbst zum Fallbeispiel der jungen Disziplin. Sie kündigte auf | |
Twitter ihr Uni-Seminar „Porn in the U.S.A.“ an––und die Alarmisten war… | |
alarmiert. Beatrix von Storch erregte sich, dass „die Chinesen Hunderte | |
Millionen Ingenieure“ ausbildeten, während man an deutschen Unis Pornos | |
schaue; ihre Partei nutzte die Nachricht einer Pornowissenschaftlerin für | |
die übliche Propaganda. Oeming erlebte den rechten Backlash, den sie sonst | |
als Wissenschaftlerin untersuchte, nun selbst, wurde zum Politikum des | |
Porno-Diskurses. Sie habe in den Tagen nach von Storchs Tweet Tausende | |
Nachrichten bekommen, erzählte sie, in nicht wenigen wurde ihr Gewalt | |
angedroht. | |
Im Porno-Diskurs, so Oeming, lasse sich eine Doppelbewegung beobachten: Die | |
historisch beispiellose Allgegenwärtigkeit von Pornografie provoziere eine | |
besonders heftige Gegenreaktion. Der diskursive Trick der neuen | |
Pornogegner, argumentierte sie, sei dabei, Pornokonsum nicht länger als | |
moralische Schwäche auszulegen, sondern als Krankheit zu konstruieren. | |
Konservative Hardliner, die früher von Sünde und Schande gesprochen hätten, | |
sorgten sich heute unter dem Deckmantel ärztlicher Autorität um die | |
Gesundheit der Männer, die sie als pornosüchtig diagnostizieren. Und es | |
ginge ihnen wirklich nur um die Männer; Frauen existierten in der Erzählung | |
von der Pornosucht allein als Nebendarstellerinnen, die Männern bei deren | |
therapeutischer Porno-Askese begleitend beistehen. | |
Oeming wies darauf hin, dass es nicht allein die moralisierende Rechte sei, | |
die Pornografie verteufele, sondern ging auch auf die feministische Kritik | |
an Pornografie ein, skizzierte die andauernden porn wars zwischen | |
Feministinnen, die das Produzieren und Konsumieren von Pornografie als | |
potenziell selbstermächtigend beurteilen und jenen, die sie kategorisch als | |
frauenverachtend verstehen. | |
Bemerkenswert ist, dass sich Oeming, die sich immerhin einem wenig | |
erschlossenen und als Gegenstand akademischer Arbeit häufig nicht ernst | |
genommenen Themenfeld widmet, dem Habitus des übermäßig Seriösen | |
verweigerte. Sie nutzte (selbst erstellte) Memes und Emojis zur | |
Veranschaulichung, platzierte Pointen, sprach wie bei einem TED-Talk. Die | |
Performance von wissenschaftlicher Objektivität kann mitunter zur | |
Legitimation von Vorurteilen missbraucht werden – sie erwähnte, dass | |
Homosexualität in der ICD bis 1990 als Krankheit klassifiziert wurde –, | |
dieses Spiel spielte sie gar nicht erst mit. Dass ihr Impetus so offen | |
aktivistisch ist – am Ende prangte “MASTURBATION IS HEALTHY!!!“ auf der | |
Leinwand –, ändert nichts an der Schärfe ihrer Argumentation, allerdings | |
habe ich mich schon gefragt, ob sie moderat kritische Stimmen – wie zum | |
Beispiel jene, die allein einen Zusammenhang zwischen dem Rückgang | |
sexueller Aktivität junger Menschen und ihrem Pornokonsum herstellen – | |
nicht zu beiläufig abgehandelt hat. | |
Beim Rausgehen bekam ich mehrere Unterhaltungen von Studierenden mit, die | |
sich über ihre Porno-Präferenzen austauschten wie über ihre | |
Lieblingsserien. | |
22 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Jan Jekal | |
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