# taz.de -- Paulita Pappel über Pornografie: „Einvernehmen ist wie ein Muske… | |
> Paulita Pappel ist feministische Porno-Produzentin und Buchautorin. Wie | |
> sieht ihre Version von einer sexpositiven Welt aus? | |
Bild: Paulita Pappel im Treppenhaus des Kreuzberger Gewerbebaus, wo ihr Büro l… | |
Ein Kreuzberger Hinterhof, ein alter Gewerbebau aus Backstein. Paulita | |
Pappel führt schnellen Schrittes durch ein helles Treppenhaus und einen | |
dunklen Gang, sie wirkt, als wäre ihr Kopf gerade noch voller Dinge. Dann | |
bittet sie in einen kleinen, nüchtern eingerichteten Konferenzraum, | |
schließt die Tür, setzt sich hin und ist voll da, drei Stunden lang. | |
wochentaz: Paulita, wir haben uns vor etwa fünf Jahren [1][für ein | |
Interview] gesehen. Damals bekam die alternative Pornoszene öffentlich | |
Aufwind. Was hat sich seither getan? | |
Paulita Pappel: Sehr viel, würde ich sagen. Pornos werden immer | |
salonfähiger, es wird auch mehr drüber geschrieben. Und die Fragen haben | |
sich verändert. Früher wurde ich oft gefragt: Warum ist das, was du machst | |
– also feministische Pornografie – besser? Mittlerweile habe ich das | |
Gefühl, die Gespräche sind differenzierter. | |
Was ist an der Frage problematisch? | |
Sie geht von der Prämisse aus, dass alles andere, also das, was oft als | |
Mainstream-Pornografie bezeichnet wird, schlecht, falsch oder schlimm wäre. | |
Aber dieser Gegensatz stärkt nur einen Diskurs, der eine ganze Industrie – | |
mit Ausnahme der Nische, die sich eben als alternativ oder feministisch | |
labelt – in der Schmuddelecke gefangen hält. | |
Mit Schmuddelecke meinst du den Vorwurf, dass Frauen in der Porno-Industrie | |
schlecht behandelt oder gar missbraucht und sexistische Stereotype | |
reproduziert werden? | |
Ja, die Debatte um den Dokumentarfilm „Hot Girls Wanted“ von 2015 ist dafür | |
ein gutes Beispiel. Darin werden ein paar junge | |
Amateur-Pornodarstellerinnen begleitet. Allerdings zeigt die Doku nur einen | |
winzigen Teil der Porno-Industrie, der aber als stellvertretend für die | |
gesamte Branche dargestellt wird – mit der pauschalen Message: „So schlimm | |
ist die Pornoindustrie.“ Das war tendenziös und unfair. Daraufhin gab es | |
viel Protest und so wurde 2017 eine differenziertere Neuauflage für Netflix | |
gedreht. | |
Was wurde bemängelt? | |
Vertreter:innen der Branche, aber auch Journalist:innen haben | |
darauf hingewiesen, dass Ausbeutung und Machtmissbrauch überall | |
stattfinden, auch in der Porno-Industrie – aber nicht mehr als in anderen | |
Branchen auch. Es ist falsch, eine ganze Industrie darauf zu reduzieren und | |
mit zweierlei Maß zu messen. Der Fehler liegt hier im System, nicht in der | |
Branche. | |
Du hast 2016 „Lustery“, eine Online-Plattform für [2][Amateur-Pornografie], | |
und 2020 die Plattform „Hardwerk“ für Hardcore-Porn, also GangBangs, zu | |
deutsch Gruppensex, gegründet. Beide Unternehmen werden in der Branche und | |
den Medien als feministisch bezeichnet. Auf den Webseiten findet sich der | |
Begriff aber allenfalls versteckt. Warum? | |
Feministische Pornografie ist in erster Linie eine Selbstdefinition. Was | |
das dann im Einzelnen konkret bedeutet, ist sehr unterschiedlich. Auf den | |
Seiten vermitteln wir durch das Produkt, was wir machen und nach welchen | |
Grundsätzen. Für mich ist feministische Pornografie, Sexualität zu | |
zelebrieren und dabei kritisch mit gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen | |
und Machtverhältnissen umzugehen. Was die Arbeitsbedingungen angeht, sind | |
es dieselben drei Säulen, die für die gesamte Filmindustrie gelten sollten: | |
Kommunikation, Transparenz und Einvernehmen. | |
Stichwort Einvernehmen am Set: Du hast auch eine Ausbildung zur | |
Intimitätskoordinatorin für „normale“ Filmdrehs gemacht. Was macht man da | |
genau? | |
In der Porno-Filmbranche gibt es diesen Job schon lange, unter dem Namen | |
„Performers Care“. In der konventionellen Filmbranche betreue ich die | |
Arbeit mit intimen Filmszenen künstlerisch und technisch und vermittle | |
dabei zwischen den Interessen der Schauspieler:innen und denen der | |
Regisseur:innen. Ich passe zum Beispiel auf, dass Schauspieler:innen | |
nicht dazu getrieben werden, über ihre Grenzen zu gehen. Dafür machen wir | |
auch Einvernehmlichkeitsübungen. Beim „normalen“ Film ist ja alles | |
simuliert, außer Küssen. Für eine Sexszene wird eine genaue Choreografie | |
ausgearbeitet. Dann werden intime Körperteile abgeklebt. Es gibt Szenen, | |
die im Film total leidenschaftlich aussehen, bei denen sich aber die Körper | |
während des Drehs kaum berührt haben. Allerdings ist dieser Job oft | |
schwierig und das liegt auch am allgemeinen Umgang dort. | |
Wie ist der? | |
Das glaubt immer keiner, aber die Filmbranche erlebe ich als viel | |
sexistischer als die Porno-Industrie. Meine ersten Jobs als | |
Intimitätskoordinatorin habe ich unter meinem Porno-Pseudonym Paulita | |
Pappel gemacht und da wurde ich im Team absolut nicht ernst genommen, | |
teilweise sogar richtig gemobbt. Seitdem ich für diesen Job meinen | |
bürgerlichen Namen verwende, ist es besser geworden. | |
Warum ist das so? | |
Gerade weil Sexualität in der Pornobranche im Zentrum von allem steht, wird | |
sehr bewusst kommuniziert und auch über die Kommunikation selbst | |
gesprochen. In der Filmbranche sind es die meisten Menschen nicht gewohnt, | |
über Sexualität in einem professionellen Kontext zu sprechen. Außerdem | |
sind die Machtgefälle größer. Sexuelle Übergriffe sind Alltag und kaum | |
jemand wagt es, darüber zu sprechen. | |
Diese Einvernehmlichkeitsübungen, wie laufen die ab? | |
Da gibt es ganz viele verschiedene. Wir können eine machen, wenn du magst? | |
Wie, jetzt sofort? | |
Ja, wir machen eine ganz reduzierte Version: Ich frage dich gleich, ob ich | |
dich an einer bestimmten Stelle berühren darf und du sagst Nein. Du sagst | |
mir nicht, warum, du entschuldigst es nicht, du sagst einfach nur Nein. | |
Bist du bereit? | |
Okay. | |
Nora, darf ich dir über den Rücken streicheln? | |
Nein. | |
Okay, danke! Das wäre der Anfang und dann würden wir die Übung ein paar Mal | |
wiederholen mit verschiedenen Ausgangsszenarien. Zum Beispiel könntest du | |
sagen: „Okay, am Rücken, aber wie?“ Und ich würde sagen: „Nur mit zwei | |
Fingern, ganz leicht, drei Sekunden lang.“ So würden wir dann deine Grenzen | |
genau verhandeln. | |
Darüber, was Einvernehmlichkeit genau bedeutet und wie man sie herstellt, | |
wird ja auch immer wieder gestritten … | |
Ja, da gibt es ein großes Missverständnis und Leute, die sagen: „Jetzt darf | |
man sich wohl nicht mal mehr anfassen.“ Da wird man dann in die prüde Ecke | |
gestellt. Dabei geht es ja nicht darum, sich nicht mehr zu berühren, | |
sondern um die Kommunikation drumherum. Und die kann natürlich auch | |
nonverbal über Körpersprache, Mimik, Gestik ablaufen. Da gibt es zum | |
Beispiel Leute – oft sind es Männer –, die von sich denken, sie seien super | |
aufgeklärt, und einen mit „Darf ich dich küssen?“ überfallen, wobei sie | |
schon nur noch einen Zentimeter von deinem Gesicht entfernt sind. Das ist | |
so fucking unsexy. Einvernehmen ist wie ein Muskel. Den muss man | |
trainieren. Am besten von klein auf. | |
Wie steht es um die Jugendlichen und ihre Aufklärung? Welche Rolle spielen | |
Pornos darin? | |
Explizit für diesen Zweck produzierte Pornos könnten sehr gut zu einer | |
lustorientierten Sexualaufklärung beitragen. Aber der Jugendschutz ist | |
kontraproduktiv geregelt und das ist schlecht für die Aufklärung – und für | |
die Branche. In Deutschland sollen etwa nur Volljährige Zugang zu | |
Pornografie haben, in der Schweiz immerhin schon die 16-Jährigen. Aber die | |
Neugierde über den eigenen und fremden Körper fängt ja schon mit 13, 14 | |
Jahren an, und diese Neugierde sollte pädagogisch aufgefangen werden. Ein | |
weiteres Problem ist, dass sich Sexualpädagog:innen strafrechtlich | |
angreifbar machen, wenn sie konkrete Plattformen wie zum Beispiel Pornhub | |
benennen, obwohl gerade dort viele Jugendliche Pornografie konsumieren und | |
Aufklärung da gut ansetzen könnte. | |
Und welchen Einfluss hat der Jugendschutz auf die Branche? | |
Die Kommission für Jugendmedienschutz ist da ein wichtiger Player. Sie | |
überwacht den Vertrieb von Pornografie nach dem Jugendschutzgesetz. | |
Darüber, dass Produkte der Erwachsenenunterhaltung nicht für Minderjährige | |
zugänglich sein sollten, sind wir uns einig. Aber wie sie das Gesetz | |
umsetzen, gleicht einem Geisterfahrer auf der Autobahn. Sie verlangen, dass | |
deutsche Pornoplattformen eine biometrische Altersverifikation haben, das | |
heißt, alle Konsument:innen müssen sich online identifizieren. Weil das | |
aber teuer ist und Kund:innen abschreckt, verlegen die | |
Produzent:innen ihren Firmensitz ins Ausland. So ist rein gar nichts | |
mehr reguliert und es grassiert die Piraterie, die den ökonomischen Druck | |
auf jene Unternehmer:innen verstärkt, die qualitativ hochwertige, fair | |
produzierte Pornos anbieten wollen. | |
Gibt es einen Austausch mit der Kommission darüber? | |
Vor zwei Jahren hat der Berufsverband für die Pornobranche [3][Free Speech | |
Coalition Europe einen offenen Brief] geschrieben, der aber nie beantwortet | |
wurde. Dieses Jahr haben Marc Jan Eumann, der Vorsitzende der Kommission, | |
und ich uns immerhin bei einem Panel auf der Republika (eine Konferenz zur | |
digitalen Gesellschaft, Anm. d. Red.) getroffen und dort unter anderem über | |
die datenschutzrechtlichen Probleme der Altersverifikation diskutiert. Es | |
gäbe aber noch viele andere Streitpunkte zu besprechen … | |
Klingt nach Reibung … | |
Die Kommission für Jugendmedienschutz hat regelrecht eine Atmosphäre der | |
Angst geschaffen in der Branche. Es werden regelmäßig Strafanzeigen mit | |
hohen Geldstrafen gegen Content Creators erlassen, also Soloselbstständige, | |
die Pornos auf Plattformen vertreiben, die keine Altersverifikation haben. | |
Das ist ja mittlerweile die große Mehrheit, die Filme selbst dreht und | |
schneidet, mit dem Handy teilweise. Und selbst die Wissenschaftlerin Madita | |
Oeming, die nur zu Pornografie forscht und bei Twitter ab und zu für ihre | |
Arbeit relevante Screenshots aus Filmen postet, hat so eine Anzeige | |
bekommen. Diese Kriminalisierung ist doch krass! Wo ist da die | |
Verhältnismäßigkeit? | |
Damals hattet ihr auch immer wieder Probleme mit Instagram und Co, die | |
deine Firmenaccounts geblockt oder sogar gelöscht haben, samt der mühsam | |
aufgebauten Followerschaft. Hat sich das gebessert? | |
Wir haben Wege gefunden, die Accounts zu halten und trotzdem Inhalte zu | |
posten. Es gibt da so Tricks: keine Nippel zeigen oder Sex nicht mit x | |
sondern mit zwei gg schreiben, also Seggs. Aber diskriminiert werden wir | |
immer noch. Neulich wollten wir für den Berufsverband ein Spendenkonto bei | |
der Deutschen Bank eröffnen, aber man hat uns abgelehnt, ohne Begründung. | |
Dabei gibt es ein Grundrecht auf ein Konto. Wir versuchen jetzt, dagegen zu | |
klagen. | |
Was könnte die Lösung für das Jugendschutzproblem sein? | |
Wir haben schon viel dazu recherchiert. Eine freiwillige Selbstkontrolle | |
wäre gut, nach dem Vorbild der Filmindustrie. Statt FSK würde es in dem | |
Label dann PSK heißen, „Pornografische Selbstkontrolle“. Ein anderer Weg | |
wäre – und dazu tendieren wir mehr –, die Hersteller von Smartphones, | |
Tablets, Laptops dazu zu bringen, Filter auf ihren Geräten einzurichten, | |
die die Eltern einstellen können. Und da müssen dann alle gemeinsam dran | |
arbeiten, die Inhalte entsprechend zu markieren, also auch die | |
Pornoproduzent:innen, Plattform-Betreiber:innen, | |
App-Programmierer:innen. | |
Und die Politik? | |
Die muss die großen Tech-Konzerne unter Druck setzen. Bei der | |
Vereinheitlichung von Ladekabeln hat das auf EU-Ebene ja auch schon | |
geklappt. Und die Politik müsste ernsthaft gegen illegale Plattformen und | |
Piraterie vorgehen und gleichzeitig jene fördern, die es besser machen | |
wollen. Aber vor allem muss mit gesellschaftlichen Vorurteilen aufgeräumt | |
werden und Leute müssen bereit sein, für gute Pornos einen entsprechenden | |
Preis zu bezahlen. | |
Was für Vorurteile sind das? | |
Es wird zum Beispiel immer wieder das Gerücht gestreut, der Konsum von | |
Pornografie könne süchtig machen. Natürlich können Menschen, egal welchen | |
Alters, einen ungesunden, zwanghaften Umgang mit Pornos haben, so wie mit | |
allen anderen Medien oder Konsumgütern auch, aber es gibt keine | |
wissenschaftliche Basis für die Porno-Sucht-These. Außerdem endet die | |
Debatte oft an diesem Punkt, obwohl noch ganz andere Fragen gestellt werden | |
könnten oder sollten. Zum Beispiel: Was macht es mit uns, in einer | |
Gesellschaft aufzuwachsen, die sagt, die Darstellung von Sexualität sei | |
schmuddelig, falsch, irgendwie gefährlich? | |
Warum hält sich das Tabu so hartnäckig, selbst unter Aufgeklärten? | |
Ich denke, es geht da um ein Verständnis von Geschlechterrollen und | |
Sexualität, bei dem Frauen Opfer sind und Männer triebgesteuerte Tiere, so | |
grob. Und das sitzt einfach unfassbar tief, weil es der Gesellschaft über | |
Jahrhunderte eine feste Ordnung gegeben hat. Natürlich ändert sich das – | |
auch nicht erst seit gestern – durch den Feminismus vor allem. Aber das | |
sind noch die Relikte davon. Außerdem neigen Menschen noch immer dazu, die | |
Gesellschaft zu infantilisieren. | |
Inwiefern? | |
Zum Beispiel beim Thema Gewalt. Da gab es ja die Diskussion um Ballerspiele | |
für Computer oder Konsolen, aus Angst, dass erwachsene Leute, die das | |
spielen, irgendwann auf echte Menschen schießen könnten. Mittlerweile | |
wissen wir, dass das in der Regel Quatsch ist und Menschen sehr wohl | |
zwischen Spiel und Realität unterscheiden können. Aber bei | |
Gewaltpornografie wird noch immer eine willkürliche Grenze gezogen. | |
Die ist in bestimmten feministischen Kreisen bis heute ein rotes Tuch. Was | |
entgegnest du ihnen? | |
Dass nichteinvernehmliche Handlungen niemals okay sind und die natürlich | |
strafrechtlich verfolgt werden müssen. Dafür gibt es auch die | |
entsprechenden Gesetze. Aber auch hier muss man genau hinschauen. | |
Gewaltpornografie ist nicht gleich Vergewaltigung, sondern sie zeigt | |
bestimmte Praktiken, die Gewalt beinhalten und dabei Lust erzeugen – bei | |
allen Beteiligten, einvernehmlich. | |
Die ablehnende Haltung gegenüber Pornografie und Sexarbeit war in der | |
zweiten Welle der Frauenbewegung sehr präsent. Auch deine Mutter war Teil | |
davon. Wie verträgt sich das mit deinem Beruf? | |
Ich war mit meiner Mutter auf Demos mit Schildern, auf denen stand: | |
Pornografie ist die Theorie, Vergewaltigung ist die Praxis. Für mich war da | |
aber schon als Jugendliche diese Ambivalenz. Mich hat Pornografie einfach | |
fasziniert, trotz meiner Sozialisation. Als ich zum Studieren von Madrid | |
nach Berlin zog, habe ich die Anonymität hier sehr genossen und konnte mich | |
dieser Faszination öffnen. | |
Und dann? | |
Ich habe mich im Studium mit queerfeministischer Theorie beschäftigt und | |
eine Pornoproduzentin kennengelernt, die queere Pornos dreht, Marit | |
Östberg. So bekam ich meine erste Rolle. Grundsätzlich passe ich gut in die | |
Kategorie „Mädchen von nebenan“. Leute sagten oft, ich sei so authentisch, | |
was sie gut fanden, dabei war an den Szenen nichts wirklich authentisch, | |
sondern alles stark durchchoreografiert. So kam ich später auch auf die | |
Idee, die Amateur-Plattform „Lustery“ zu gründen, wo sich Paare selbst beim | |
Sex filmen. | |
Wie ist die Einstellung deiner Mutter zu deinem Porno-Entrepreneurship | |
heute? | |
Total positiv. Sie erzählt anderen sogar stolz, dass ich Pornos mache. | |
Immer, wenn ich das mitbekomme, muss ich weinen. | |
Bist du manchmal von Hate-Speech betroffen? | |
Madita Oeming, die Wissenschaftlerin, bekommt viel mehr Hasskommentare als | |
ich. Leute kriegen es nicht zusammen, wie eine Akademikerin sich ernsthaft | |
mit Pornografie auseinandersetzen kann. Ich hingegen bin ja „nur eine | |
Pornodarstellerin“, gesellschaftlich also quasi eh nix wert. | |
Dabei hast du ein abgeschlossenes Studium in deutscher Philologie und | |
vergleichender Literaturwissenschaft und jetzt auch noch ein Buch | |
geschrieben. Hat das Buch etwas verändert? | |
Ja, schon. Ich sage seit zehn Jahren immer wieder dieselben Dinge, aber | |
erst jetzt scheinen mir die Leute richtig zuzuhören. Da ist irgendwie eine | |
größere Kredibilität. Das ist schon verrückt, aber auch lustig. | |
Dein Buch hat den Titel „Pornopositiv“ und eine Kernaussage ist: Es reicht | |
nicht, nur [4][sexpositiv] zu sein. Läutest du da gerade die vierte Welle | |
des Feminismus ein? | |
Der Mainstream-Feminismus greift zu kurz. Da ist zwar eine sexpositive | |
Haltung, aber immer noch eine Leerstelle um die Themen Sexarbeit und | |
Pornografie und mangelnde Solidarität gegenüber Sexarbeiter:innen. Ich will | |
nicht vorschreiben, wie jemand fickt oder ob jemand Pornos guckt. Ich will, | |
dass der Blick auf das gelenkt wird, was die Gesellschaft in Wahrheit | |
unfrei macht, und das sind die Angst vor bestimmten Spielarten der | |
Sexualität und die Vorurteile, die diese Angst schüren. | |
Du schreibst in dem Buch, dass dich die Pornografie auch privat bereichert | |
hat. Inwiefern? | |
Ich habe mich selbst und meine Bedürfnisse besser kennengelernt, ich habe | |
gelernt, diese Bedürfnisse zu äußern und Nein zu sagen. Ich fühle mich | |
freier und selbstbestimmter und ich habe ein gutes Verhältnis zu meinem | |
Körper. Das ist schon eine ganze Menge. | |
Wie sähe eine Welt aus, in der alle sexuell befreit sind? | |
Oh, das wäre eine tolle Welt! Pornografie wäre nur ein weiteres Produkt auf | |
dem Unterhaltungsmarkt. Sexualaufklärung würde auch Kommunikation und | |
Einvernehmen lehren. Es würde mehr Räume geben, in denen die Menschen ihre | |
Sexualität frei ausleben könnten, ohne sich schämen oder verstecken zu | |
müssen. Menschen würden am Sonntag laut darüber nachdenken, ob sie mehr | |
Lust auf das Fußballstadion oder den Sexclub um die Ecke haben. | |
27 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://interactive.spiegel.de/gra/migration/story/v3/009_femporn.html | |
[2] /Dokumentarfilmdebuet-Pornfluencer/!5865575 | |
[3] https://freespeechcoalition.eu/news/12650602 | |
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Nora Belghaus | |
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