| # taz.de -- Frauenbuchladen Lillemor’s in München: Feministische Irritationen | |
| > Die erste feministische Buchhandlung Deutschlands eröffnete 1975. Ein | |
| > junges Team will an die Idee des Ladens anknüpfen, in dem es mehr als | |
| > Bücher gab. | |
| Bild: Mit Funkeln in den Augen übernimmt jetzt ein Kollektiv den Frauenbuchlad… | |
| München taz | An dem Ort, an dem in München feministische Geschichte | |
| geschrieben wurde, ist derzeit Baustelle. Der Laden ist komplett leer, nur | |
| die Regale an den Wänden lassen vermuten, dass hier mal Bücher verkauft | |
| wurden. Drinnen ist ein Handwerker dabei, an einem kleinen Tisch zu bohren, | |
| draußen stapfen immer wieder Menschen in Tracht vorbei. Es ist der erste | |
| Tag des Oktoberfests. | |
| Bis Ende Juli war hier der Buchladen Lillemor’s, der erste Frauenbuchladen | |
| Westdeutschlands, gegründet 1975 im Zusammenhang mit der | |
| [1][Frauenbewegung.] Er überlebte 48 Jahre in München, war nicht nur eine | |
| feministische Buchhandlung, sondern auch ein Diskurs- und | |
| Kommunikationszentrum für Frauen, um sich zu politischen Themen | |
| auszutauschen. Eine Gruppe junger Feminist:innen übernimmt den Laden | |
| jetzt. Ende Oktober soll er wieder aufmachen. | |
| Für die ehemalige Inhaberin Andrea Gollbach ist das Wichtigste, dass es | |
| weitergeht. Fast wäre der kleine Laden im Univiertel von München zu | |
| Büroräumen umfunktioniert worden. „Lillemor’s kann man nicht ersetzen, ab… | |
| man kann in einem ähnlichen Spirit weitermachen“, sagt Gollbach, die mit | |
| ihrer Kollegin Ursula Neubauer den Buchladen über 40 Jahre lang geführt | |
| hat. | |
| Lillemor’s wurde am 3. November 1975 von sechs Feministinnen in München in | |
| der Arcisstraße 57 eröffnet. Zwei der Gründerinnen waren zuvor in Paris. | |
| Als sie die dortigen Libraries de Femmes, Buchläden, die ausschließlich von | |
| und für Frauen ausgelegt waren, besuchten, war ihnen sofort klar: „So was | |
| brauchen wir auch in München.“ | |
| Es folgten politische Jahre, im Buchladen wurde diskutiert, Demos wurden | |
| organisiert, schnell war das Geschäft ein wichtiger Treffpunkt für | |
| feministische Aktivist:innen. „Wir haben immer scharf debattiert, das war | |
| psychisch anstrengend, aber wir haben uns immer bemüht, eine gemeinsame | |
| Position zu finden“, erinnert sich Gollbach. Anfangs hatten Männer noch | |
| Zutritt, doch als die Gründerinnen merkten, dass sie sich nur aus reinem | |
| Voyeurismus für den Laden interessierten, änderten sie die Regeln: Ab 1978 | |
| war Männern der Zutritt untersagt. Das wurde 1987 zum Politikum. | |
| ## Streit mit der CSU um den Förderpreis für Frauenforschung | |
| Lillemor’s erhielt damals den Förderpreis für Frauenforschung und | |
| Frauenkultur der Stadt München. Der damalige CSU- Politiker Peter Kripp | |
| kritisierte, dass der Buchladen diese Ehrung nicht verdient habe, da er mit | |
| seinem Zutrittsverbot für Männer das gesellschaftliche Miteinander | |
| erschwere. Bei einer Versammlung des Münchner Stadtrats wurde die Ehrung | |
| vorerst aufgehoben. Es folgte ein Rechtsstreit, der 12 Monate dauerte. Am | |
| Ende gewann Lillemor’s und konnte die Ehrung behalten. | |
| Neben politischen Diskussionen wurde der Laden über die Jahre zu einer Art | |
| [2][Safe Space für Frauen]. Sie kamen beispielsweise, um über ihre | |
| gewalttätigen Ehemänner zu sprechen. „Wir waren die ersten, die zugehört | |
| haben und gesagt haben: Das ist Gewalt, was du da erlebst“, sagt Gollbach. | |
| In einer Zeit, in der es noch so gut wie gar keine Frauenhäuser gab, | |
| stießen sie in dem Laden auf ein offenes Ohr. | |
| Mit dem Umzug in die Barerstraße, wo der Laden bis heute ist, kippten die | |
| Frauen das Zutrittsverbot für Männer. Dies war auch eine pragmatische | |
| Entscheidung. Jeden Mann auf die Regel hinzuweisen, ging den | |
| Mitarbeiterinnen irgendwann auf die Nerven, so Gollbach. | |
| ## Der Buchladen als Teil feministischer Geschichte | |
| Wie der Feminismus hat der Buchladen Wellen des Aktionismus erlebt. Während | |
| die Gründungsjahre sehr politisch geprägt waren, wurde es in den | |
| Nullerjahren etwas ruhiger. Insgesamt entwickelte sich Lillemor’s mit der | |
| Zeit mehr zu einem Stadtteilbuchladen als zu einem politischen Treffpunkt, | |
| trotzdem blieb er immer ein Ort des Austauschs. | |
| Dieser verstärkte sich mit der [3][#MeToo-Bewegung]. Immer mehr junge | |
| Menschen betraten das Geschäft, zeigten Interesse an der Geschichte des | |
| Orts und suchten das Gespräch. Sie wollten wissen, wie es war, damals in | |
| der Frauenbewegung aktiv zu sein. „Das war der Punkt, an dem wir gemerkt | |
| haben, dass wir ein Stück Geschichte geworden sind“, beschreibt Gollbach. | |
| Dieser neue Schwung belebte nicht nur den Buchladen, sondern auch seine | |
| Inhaberinnen. Denn das miteinander Reden, das Austauschen von Positionen, | |
| ist etwas, was Gollbach immer an dem Laden geliebt hat. Und etwas, das mit | |
| den Jahren ein wenig abhanden gekommen ist. „Der Netzfeminismus hat sich | |
| nicht in den Buchladen übertragen“, sagt sie. | |
| ## Die zunehmende Entpolitisierung des Privaten | |
| Wenn Gollbach über Feminismus heute spricht, spürt man eine Sorge, dass das | |
| Erbe der Frauenbewegung nicht weitergetragen wird. Dass es | |
| Feminist:innen heute an einer gewissen Einheit fehlt, gemeinsam für | |
| eine Sache auf der Straße zu kämpfen. Denn für sie bleibt die Straße der | |
| Ort, um gesellschaftlich etwas zu verändern. Doch es ist nicht nur der | |
| fehlende Straßenkampf, der sie beunruhigt. Auch die zunehmende | |
| Entpolitisierung des Privaten macht ihr Sorgen. | |
| Einmal kam eine junge Mutter in den Laden, um ein Geburtstagsgeschenk für | |
| einen Freund ihres Kindes zu kaufen. Gollbach empfahl ihr ein Kinderbuch | |
| mit einem Mädchen als Protagonistin. Die Mutter war unzufrieden mit der | |
| Empfehlung. Das sei nichts für einen Jungen, sagte sie. „So wird sich nie | |
| was ändern, da müssen Sie jetzt etwas Mut haben“, erwiderte Gollbach. Doch | |
| die Frau ließ sich nicht überzeugen. Trotzdem ist das Interesse an | |
| genderneutraler Kinderbuchliteratur insgesamt gestiegen, räumt sie ein. | |
| Den Buchladen wieder als politischen Ort beleben, das wollen Johanna Hopp | |
| und ihr Team. Die junge Doktorandin kommt gerade aus dem Münchner Laden, | |
| das Haar hat sie in einem lockeren Tuch zusammengebunden. „Wir haben jetzt | |
| einen Namen“, verkündet sie fröhlich. „Glitch“ soll das Geschäft künf… | |
| heißen, was grob übersetzt „Fehler im System“ bedeutet. Gleichzeitig hei�… | |
| „glitschen“ im übertragenen Sinne, nicht greifbar zu sein, immer im Fluss, | |
| um sich so bestimmten Begriffen und Normen zu entziehen. | |
| ## Eine Brücke zwischen altem und neuem Feminismus | |
| „Wir wollen einen Ort, der für kleine Irritationen sorgt, der bestehende | |
| Hierarchien hinterfragt und aufbricht“, erklärt Johannas Kollegin Anne | |
| Kristin Kristiansen, die als freischaffende Künstlerin arbeitet. Ganz | |
| praktisch heißt das: Neben feministischer Literatur soll es Lesungen und | |
| Vorträge geben. | |
| Dabei will das Team verbunden sein mit politischen Akteur:innen der | |
| Stadt. Es ist ihnen zudem wichtig, eine Brücke zu schlagen zwischen altem | |
| und neuem Feminismus. Sie wollen einen Ort der Begegnung schaffen, der sich | |
| immer wieder neu erfinden kann. | |
| Anders als ihre Vorgänger:innen sind sie ein Kollektiv von vier Leuten. | |
| Sie alle kommen aus dem künstlerischen und geisteswissenschaftlichen | |
| Bereich, machen das Ganze zunächst nebenberuflich, was den finanziellen | |
| Druck auf das Projekt erst mal wegnimmt. Anne Kristin hat bereits in einem | |
| solchen Non-profit-Buchladen in Kopenhagen gearbeitet. Wirklich gelernte | |
| Buchhändler:in ist niemand aus dem Team, doch sie erfahren schon jetzt | |
| sehr viel Unterstützung aus der Branche. | |
| ## Das Wichtigste ist zuverlässig sein | |
| Ein Funkeln in den Augen konnten Gollbach und Neubauer bei den jungen | |
| Kolleg:innen beobachten, als sie über ihr Vorhaben gesprochen haben. Ein | |
| Funkeln, das sie an die Anfänge von Lillemor’s erinnert hat. „Ich habe das | |
| Gefühl, dass sie eine politische Vision haben und für eine Sache brennen | |
| und das ist entscheidend“, sagt sie. | |
| Was Gollbach, die mit ihrer Kollegin viermal in Folge in der Kategorie | |
| Hervorragende Buchhandlungen mit dem Deutschen Buchhandlungspreis | |
| ausgezeichnet wurde, dem jungen Team mit auf den Weg geben kann? „Man muss | |
| zuverlässig sein“, sagt sie. Wenn ein Schild am Laden hängt, dass dieser | |
| von da bis dann geöffnet ist, dann muss es stimmen. | |
| Den Erfolg von Lillemor’s rechnet sie aber auch dem Verkaufstalent ihrer | |
| Kollegin zu. „Ursula hatte ein wahnsinniges Gespür für unsere Kundinnen“, | |
| sagt sie. Am allerwichtigsten ist jedoch, was in den Regalen steht. Hier | |
| muss man das Gleichgewicht zwischen Nischen- und Bestsellerliteratur | |
| finden. | |
| Das Team von Glitch will hier einen ganz eigenen Ansatz wagen. Zwar haben | |
| sie einen gemeinsamen intersektional-feministischen Anspruch an die | |
| Literatur, die sie verkaufen wollen. Doch statt eine Person für den Einkauf | |
| verantwortlich zu machen, sollen die Bücher kollektiv ausgewählt werden. | |
| Jedes Mitglied darf mitbestimmen, was in den Regalen steht. Das ist die | |
| Idee, kann sich aber auch noch ändern. Denn wie der Laden will auch das | |
| Team möglichst glitschig sein. | |
| 2 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sabina Zollner | |
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