| # taz.de -- Die Kunst der Woche in Berlin: Das Traumgesicht der Städte | |
| > Max Hetzler zeigt frühe Fotoarbeiten von Thomas Struth, CFA zeigt frühe | |
| > Malerei von Christa Dichgans. Robert Berghoff arbeitet derweil mit | |
| > Fotopaaren. | |
| Bild: Arrangiert seine Fotografien zu Korrespondenzen: Robert Berghoff | |
| Die Gelegenheit derzeit bei [1][Max Hetzler] noch einmal frühe Arbeiten von | |
| Thomas Struth zu sehen, sollte man sich nicht entgehen lassen. „Unbewusste | |
| Orte/Unconscious Places 1978 – 2022“ zeigt neben zwei aktuellen | |
| Farbgroßformaten mit technischen Anlagen aus der Werkgruppe „Nature & | |
| Politics“ vor allem jene Schwarz-Weiß-Aufnahmen menschenleerer Straßenzüge | |
| in Manhattan, Chicago, Rom, Tokio oder Berlin, die ihn berühmt machten. | |
| Unter diese Fotografien aus der Zeit von 1978 bis 2005 mischen sich aber | |
| auch einige reizvolle Farbaufnahmen aus den frühen 2000er Jahren und auch | |
| die strenge Zentralperspektive, die Struth anfangs grundsätzlich einnahm, | |
| weicht im Lauf der Zeit anderen Blickpunkten. | |
| Wie der Name der Werkgruppe besagt, will der Fotograf das atmosphärisch | |
| Wahrnehmbare im Bild bannen, nicht einfach nur das materiell Gegebene. Er | |
| sucht der jeweiligen urbanen Gemütslage auf die Spur zukommen, die sich als | |
| individueller Stil noch in den drögesten Nachkriegsstraßenzügen deutscher | |
| Mittelstädte zeigt. Bei Hetzler sind jetzt freilich die Nachkriegsstraßen | |
| in Japan, etwa in Yamaguchi zu sehen oder die Straßen der Upper Westside in | |
| Manhattan. | |
| Dazu kommen überraschend sonnige Ansichten von Lima, Peru, St. Petersburg | |
| oder eine Aufnahme der Al-Shuhada Street 1, in Hebron. Üblicherweise | |
| fotografierte Struth die Straßen und Plätze ja gerne im kühlen Morgenlicht | |
| des Tagesbeginns, wenn sie noch menschenleer sind. Wahrscheinlich meint man | |
| deshalb noch das Traumgesicht der Stadt in ihnen zu sehen; so wie sie, | |
| obwohl in einem distinkten Moment aufgenommen, zeitlos uns vor Augen | |
| liegen. | |
| ## Philosophie des Raums | |
| Den distinkten Moment der fotografischen Aufnahme negiert auch Robert | |
| Berghoff. Er ordnet dazu zwei Bilder, die meist, aber nicht immer zu | |
| unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Orten und Situationen | |
| entstanden sind, einander zu. Der Fotograf und Kameramann (u. a. bei Danni | |
| Lowinski) nimmt mit „zwei“ wie die Ausstellung in seinem [2][„jetzt & | |
| dann“-Atelier] heißt, am Europäischen Monat der Fotografie teil. Seine | |
| Schau gehört zu jenen ebenso kostbaren wie luxuriösen Seitenblicken, die | |
| der EMOP auf das fotografische Geschehen in Berlin jenseits der bekannten | |
| Positionen und Ausstellungsorte wirft und die seinen Ruf als lohnens- wie | |
| lobenswerte Einrichtung rechtfertigen. | |
| Berghoff hat rund 32 Bildpaare den Atelierwänden entlang gehängt. Stets im | |
| gleichen Passepartout von 30 mal 40 Zentimeter gefasst, ist die | |
| konzeptuelle Zusammengehörigkeit beider Bildelemente unbestreitbar, wie | |
| sie aber ansonsten zusammenhängen, ist offen und damit den Assoziationen | |
| und Interpretationen der Besucher und Betrachterinnen anheimgestellt. | |
| Da ist das kleine Hochformat, in dem zwei Männer vor Chez Albert sitzen, | |
| einer kleinen Bar, vielleicht in Südfrankreich, und dazu gesellt sich das | |
| kleine, etwas überbelichtete Querformat eines Freiluftimbisses in den USA, | |
| worauf außer der Flagge die annoncierten Shrimp und Lobster hindeuten. Auch | |
| davor sitzen zwei Personen. Handelt es sich womöglich um die gleichen | |
| Leute? Geht es um ihre Geschichte? Oder geht es um das Motiv? Den | |
| Fotoklassiker? Zwei Leute an der Bar? Die situative Ähnlichkeit, | |
| gleichgültig, an welchem Ort der Welt? Wir dürfen es uns aussuchen, es ist | |
| ein Spiel, sagt Berghoff, kein Rätsel, das es zu lösen gilt. | |
| Es ist eine Philosophie des Raums, die sich in den Fotografien eröffnet, | |
| als Feld von Handlungen und Situationen, sagt der Literaturwissenschaftler | |
| Georg Witte in seinem Essay zur Ausstellung. Ein Raum denkbarer Ereignisse, | |
| ein Raum für die Neugierde. Und wir bekommen reichlich Dinge zu sehen, die | |
| uns die Geschichte konstruieren lassen, die die beiden Fotos unserer | |
| Sichtweise nach erzählen. | |
| Da sind reichlich Momente, die uns auf die formale Ästhetik der Fotos | |
| verweisen, die Korrespondenz von Hell und Dunkel, von Licht und Schatten, | |
| die Farbe: das Rot des Treppenläufers auf der einen und auf der anderen das | |
| rote Karo der Decke, auf der der Mann sitzt, wobei sein gelber Pullover so | |
| überraschend mit dem Ton des Treppenholzes harmoniert …. Und dann gibt es | |
| auch die Zusammenstellung, wo wir sagen, da sind zwei Bilder, die wir | |
| einfach nicht zusammenbringen. | |
| ## Alltag in künstlerischer Größe | |
| Frühe Arbeiten stellt auch [3][Contemporary Fine Arts] aus. Arbeiten die | |
| wesentlich für Christa Dichgans’ (1940-2018) Entwicklung zur Grande Dame | |
| der deutschen Pop Art waren. Noch lässt sie in diesen Arbeiten dem | |
| Pinselstrich freien Lauf, die entschiedene und klare Linie ihrer | |
| Pop-Sprache zeigt sich erst später. „Robert“, von dem die Ausstellung ihren | |
| Titel hat, ist der Sohn, den die Künstlerin noch während ihres Studiums an | |
| der UdK zur Welt bringt. | |
| Wenig verwunderlich prägt das Leben mit dem Kleinkind ihre Bildwelt, die | |
| nun von roten Dreirädern, gelben Lastenkippern aus Plastik, blauen | |
| aufblasbaren Schwimmreifen mit gelbem Katzengesichtern, Kuscheltieren, | |
| bunten Bällen und Bauklötzen beherrscht wird, wie bei „Robert mit Dreirad�… | |
| 1965, zu sehen. Das Format ist 133 x 98 cm beachtlich, Dichgans scheut sich | |
| nicht, ihrem häuslichen Alltagsleben die gleiche künstlerische Größe und | |
| Würde zu geben die ihre Malerkollegen für ihre davon weit entfernten Motive | |
| für ganz selbstverständlich halten. | |
| Noch zeigen die Bilder eine räumliche Anordnung. Das Zimmer in der | |
| Fasanenstraße, in dem sie arbeitet, sich vor allem aber um Robert kümmert, | |
| ist in der lustigen Blumentapete präsent wie das großartige, fast | |
| abstrahierte Stillleben „Keilrahmen und Kinderbett“, 1964, zeigt. Ein | |
| Jahrzehnt später wird der Hintergrund vor dem sich dann die | |
| Spielzeugteddybären in einem einzigen großen Haufen knäulen, monochrom | |
| sein. Dichgans nimmt damit eine Bildsprache vorweg wie sie in den 1990er | |
| Jahren in den Plüschtierhaufen von Mike Kelly oder in Jeff Koons Gummi- und | |
| Ballontieren populär wird. | |
| Noch ist es aber das Kind, das die Künstlerin beschäftigt, wie etwa die | |
| pausbäckige, Puppen spielende kleine Dame namens „Trina“, 1965. Noch ist | |
| der Überfluss der Dinge eine spielerische Herausforderung an das Kind, das | |
| darin seine konstruktiven Ideen genauso ausagiert wie seine | |
| zerstörerischen. Auf der knapp 100 x 100 cm messende Leinwand „Robert mit | |
| Spielkiste“, 1965, ist ein hochkonzentrierter Junge zu beobachten, wie er | |
| sorgsam die Auswahl und den Gebrauch reflektiert, den er von den vielen | |
| Sachen zu machen gedenkt. | |
| Erst später werden die Spielzeuge dann für die Malerin wichtiger sein als | |
| das Porträt. Und der Überfluss wird zur intellektuelle Herausforderung an | |
| die Menschen der Konsumgesellschaft. | |
| 1 Apr 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.maxhetzler.com/exhibitions/thomas-struth-unbewusste-orte-uncons… | |
| [2] https://www.robertberghoff.de/ | |
| [3] https://cfa-berlin.de/exhibitions/48783/robert/about/ | |
| ## AUTOREN | |
| Brigitte Werneburg | |
| ## TAGS | |
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