# taz.de -- Die Kahlschlagsanierung wird Serienheld: Der Gangster in der Wohnma… | |
> Die TV-Serien „Dogs of Berlin“ und „4 Blocks“ zeichnen ein neues | |
> Berlin-Bild. Wann wird sich die erste Serie der Privatisierungspolitik | |
> Sarrazins widmen? | |
Bild: Clanchef Toni Hamady (Kida Khodr Ramadan) aus„4 Blocks“ vor Willy Bra… | |
Wer zum ersten Mal New York besucht, fühlt sich wie zu Hause. Der Eindruck, | |
die Stadt, schon lang zu kennen, ist überwältigend, aber wenig erstaunlich. | |
Ungezählte Filme haben uns die Straßen Manhattans und Brooklyns so nahe | |
gebracht, dass sie ein Teil des visuellen Gedächtnisses geworden sind. New | |
York, das war die Hauptstadt des 20. Jahrhunderts, weswegen man es | |
US-Amerikanern auch nicht übel nehmen kann, wenn sie überall New York | |
sehen. Und einem also erklären, Neukölln sehe aus wie Brooklyn. | |
Aber Neukölln ist nicht Brooklyn, sondern Neukölln. Und es könnte sein, | |
dass es bald nicht mehr mit Brooklyn verglichen werden wird. Szenen aus | |
Neukölln, Kreuzberg, Marzahn und den Neubaublocks der Siebziger im Westen | |
Berlins streamen neue deutsche TV-Serien wie „Dogs of Berlin“ und „4 | |
Blocks“ auf die Screens eines internationalen Publikums. „Dogs of Berlin“ | |
ist via Netflix, „4 Blocks“ via Amazon Prime auf der ganzen Welt zu sehen. | |
Sie setzen auch unbekanntere Ecken des zeitgenössischen Berlins auf die | |
cineastische Weltkarte. | |
Hollywood hatte im Zuge des Berlin-Hypes die Stadt als Kulisse für | |
Action-Thriller und Serien schon vor 15 Jahren entdeckt. Es war allerdings | |
ein merkwürdig zerstückeltes Friedrichstraßen-Fabriketagen-Berlin, das in | |
„Homeland“ oder „The Bourne Identity“, um nur zwei Beispiele zu nennen, | |
gezeigt wurde. Hollywood hat damit die Preise für Drehgenehmigungen in die | |
Höhe getrieben. Die Auswirkungen auf den Immobilienmarkt hat wohl noch | |
niemand erforscht. | |
Für Fahrradfahrer und Anwohner beliebter Filmecken vor allem in Kreuzberg | |
und Mitte stellt sich die seitdem weiter wachsende Zahl von Filmaufnahmen | |
in der Stadt durch internationale und deutsche Filmemacher als Belästigung | |
dar. Ständig sind Straßen gesperrt, und die jungen Frauen und Männer mit | |
den Walkie-Talkies, die für die Bewachung der filmischen Sperrgebiete | |
abgestellt sind, tun gerade so, als gehörte ihnen die Stadt. Das ist | |
falsch, liebe Leute, wir wohnen hier und wir müssen auch mal zur Arbeit. | |
## Die Soko im „Bierpinsel“ | |
Die Macher von „4 Blocks“ und „Dogs of Berlin“ haben aus der Not, dass | |
Genehmigungen für bestimmte Drehorte inzwischen schwerer zu bekommen sind, | |
eine Tugend gemacht. Sie zeigen Lokalitäten, die zwar typisch, aber noch | |
nicht ikonografisch ausgelaugt sind. Als Berliner freut man sich darüber, | |
eher unscheinbare Ecken und Orte des täglichen Lebens zu entdecken. Und zu | |
sehen, wie lokale Sehenswürdigkeiten umdefiniert werden. | |
Der Steglitzer „Bierpinsel“ etwa wird in „Dogs of Berlin“ kurzerhand zum | |
Sitz der Soko Rote Karte. Im kleinen Zigarettenladen schräg gegenüber der | |
Homo-Bar „Möbel Olfe“ in Kreuzberg spricht sich der schwule Polizist mit | |
seiner Ex-Freundin aus, die nun den Chef des Tarik-Amir-Clans heiraten | |
will. Wenn der Kommissar dann nach Hause zu seinem verständnisvollen Freund | |
geht, blickt er aus seiner schicken Eigentumswohnung im knallroten Neubau | |
am Lokdepot rüber nach Schöneberg. | |
Toni Hamady aus „4 Blocks“ wiederum macht dem Barkeeper einer Hipsterbutze | |
klar, dass er Spielautomaten aufzuhängen habe. Die Szene spielt im „Gift“, | |
das von britischen Künstlern und Musikern in der Neuköllner Donaustraße | |
betrieben wird. Und ständig cruisen die arabischen Gangster in „4 Blocks“ | |
und „Dogs of Berlin“ über die Sonnenallee und auf dem Kreisverkehr am | |
Kotti. | |
## Als Willy Brandt Regierender war | |
Die wirkliche Innovation im Berlinbild von „4 Blocks“ und „Dogs of Berlin… | |
aber sind die Aufnahmen von Wohnblöcken, die in den siebziger Jahren in | |
Ost- wie Westberlin entstanden sind. In „Dogs of Berlin“ wird Marzahn zur | |
Kulisse eines Ostens, in dem sich eine Nazi-Kameradschaft wohlfühlt, deren | |
Personal komödiantische Züge trägt. Die wirklich bösen tschetschenischen | |
Gangster und der Undercover-Polizist Vince aus „4 Blocks“ wohnen in | |
modernistischen Wohnmaschinen in Westberlin. | |
Sie erinnern an die Zeit, als Willy Brandt Regierender Bürgermeister von | |
Berlin war und ein Stadtsanierungsprogramm in Gang setzte. Viele der | |
Altbauten der Gründerzeit waren in einem elenden Zustand, die Armen wohnten | |
darin nicht viel anders als in den zwanziger Jahren, wenn auch die Zahl der | |
Bewohner pro Wohnung geringer war. | |
## Sanieren wäre billiger gewesen | |
Die dritte große Berlin-Serie, „Babylon Berlin“, die in diesem Jahr im | |
Free-TV Premiere hatte, präsentierte uns ein Berlin der Zwanziger, wie es | |
sich das Klischee schon immer vorgestellt hat. Mondäne Bars, Clubs und | |
Puffs auf der einen, Gewalt auf den Straßen und Elend in den Hinterhöfen | |
auf der anderen Seite. Die stärksten Szenen spielen in der düsteren | |
Wohnung, in der die kluge Charlotte Ritter mit Mutter, Schwester, Opa und | |
dem immer besoffenen arbeitslosen Schwager hausen muss. | |
Solche Lebensbedingungen, Wohnungen mit Kachelöfen und ohne Warmwasser, | |
wollte Willy Brandt überwinden. Ein Gutachten, das vorrechnete, dass | |
Altbausanierung billiger als Abriss und Neubau wären, schlug seine | |
Regierung aber in den Wind. Über die kommenden zwei Jahrzehnte wurde ein | |
gigantisches Wohnungsbauprogramm in Gang gesetzt, das hohe Renditen für die | |
Eigentümer, gute Gewinne für die Banken und überdimensionale Umsätze für | |
die Bauunternehmer garantierte. Der Berliner Filz gedieh prächtig. | |
## Genügend Schurken für eine Staffel | |
Jetzt bilden etwa die autogerechten Planungen der Neuköllner | |
High-Deck-Siedlung die Kulisse für ein Kino-Berlin, das sich wie viele gute | |
Serien am Faszinosum organisierter Kriminalität abarbeitet. Fair enough, | |
macht ja auch Spaß. Aber vielleicht kann sich mal ein Team von | |
Drehbuchautoren dem Thema sozial- und christdemokratischer Wohnungsbau- und | |
Privatisierungspolitik widmen. Da gäbe es genügend Schurken und dubiose | |
Geschäfte zu entdecken, um mindestens eine Staffel zu füllen. Immerhin | |
haben die Macher von „4 Blocks“ einen windigen Immobilienunternehmer in | |
ihre Serie geschrieben. | |
So oder so, die Bilder der leicht heruntergekommenen Neubauten sind eine | |
Hommage an das wahre Berlin. Im selben Jahr, als ein Finanzsenator namens | |
Sarrazin die städtische Wohnungsbaugesellschaft GSW mit ihren 65.000 | |
Wohnungen an ein Konsortium von internationalen Fondsgesellschaften | |
verscherbelte, besang ein Rapper namens Sido dieses Berlin so: „Meine | |
Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend / Meine Straße, mein | |
Zuhause, mein Block, mein Block / Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, | |
meine Welt / Reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock.“ | |
3 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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