# taz.de -- Deutsch-Israelische Literaturtage: Mütter, Schwestern, Therapeuten | |
> Die TV-Serie ist der neue Roman: Die Deutsch-Israelischen Literaturtagen | |
> zeigen eine Doku-Serie, die Pflichtverteidiger bei der Arbeit zeigt. | |
Bild: Die Heldinnen der Serie sind die Pflichtverteidigerinnen: Szene aus der S… | |
Der Mann hat fünf Jahre lang in einer Spezialeinheit in der Armee gedient | |
und zwei Bachelorabschlüsse. Nun sitzt er seiner Pflichtverteidigerin | |
gegenüber. Ihm wird Identitätsdiebstahl vorgeworfen, das Fälschen eines | |
Personalausweises und eines Schecks. Mit dem erschwindelten Geld hat er | |
sich ein Auto gekauft und bald darauf teurer verkauft. Die | |
Pflichtverteidigerin drückt ironisch ihren Respekt für das gute Geschäft | |
aus: „Profit gemacht!“ | |
Das ist die erste Szene der ersten Episode der israelischen Serie „Defense | |
Files“, die am Freitagabend bei den Deutsch-Israelischen Literaturtagen in | |
der Berliner Volksbühne vorgestellt werden wird. Die TV-Serie ist | |
bekanntlich der neue Roman, was das Zeigen einer solchen bei den | |
Literaturtagen, die in diesem Jahr unter dem Motto „Fair enough? Was ist | |
gerecht?“ stehen, allemal rechtfertigen würde. Zwar handelt sich bei | |
„Defense Files“ um eine Doku, aber das Thema passt allemal. | |
Der Mann, der da beraten wird, saß bereits viermal im Gefängnis wegen | |
Einbruchs, Drogenbesitzes und anderer Delikte. Die Ursache für sein | |
kriminelles verhalten, so stellt sich im Lauf dieser ersten Episode über | |
„Geld“ heraus, ist seine Kokainabhängigkeit. Ein Auto braucht er, weil er | |
nicht auf einem Pappkarton schlafen will. Sein Fall wird im Lauf der | |
Episode detailliert gezeigt, aber auch andere werden verhandelt, manche nur | |
in einer einzigen Szene. | |
Etwa der Fall eines 24 Jahre alten Palästinensers aus Ramallah, der illegal | |
nach Israel eingereist ist. „Das ist verboten, wissen Sie das nicht?“, | |
fragt die Pflichtverteidigerin. „Ich muss arbeiten“, antwortet er. „Ich | |
habe einen Job in Nazareth.“ Ob er es wieder machen würde? Ja, er müsse | |
arbeiten, anders könne er nicht überleben. Er wird zu einer Geldstrafe von | |
rund 1.000 Euro und einem Jahr auf Bewährung verurteilt. | |
## Schlaglicht auf die Armen | |
Vier Jahre lang arbeitete das Team um Produzent Liran Atzmor und Regisseur | |
Moish Goldberg an „Defense Files“. Die Serie wurde 2014 auf dem | |
Dokumentarkanal des Senders Yes ausgestrahlt und hat viele Diskussionen | |
ausgelöst, weil sie ungeschönt die soziale Realität des Landes abbildet. | |
Sie wirft ein Schlaglicht vor allem auf die Armen, deren Lebensumstände | |
meist die Ursache dafür sind, dass sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten. | |
Verhandelt werden Fälle, in denen jemand des Sozialbetrugs oder des | |
Diebstahls von Shampoo und Olivenöl angeklagt wird. Gezeigt wird aber auch | |
das Verfahren gegen eine Frau, die ihren Mann, einen schweren Alkoholiker, | |
mit einem Messer verletzt haben soll. Alle Fälle sind echt, die Personen | |
authentisch. Gezeigt werden die Gespräche zwischen Pflichtverteidigern und | |
Mandanten in Büros und auf Gerichtsfluren. Im Gerichtssaal zu filmen ist in | |
Israel verboten. | |
Es habe viel Energie gekostet, das Material zu filmen. Viele Fälle konnten | |
am Ende nicht gezeigt werden, weil die Angeklagten dann doch ihre | |
Zustimmung entzogen, im Fernsehen gezeigt zu werden. Andere ließen sich | |
filmen, um ihre Version der Geschichte zu erzählen, erzählt Liran Atzmor am | |
Telefon, kurz bevor er von Tel Aviv nach Berlin aufbricht, wo er seine | |
Serie persönlich vorstellen wird. Der Blick auf die Angeklagten wird durch | |
Polizei und Staatsanwaltschaft bestimmt. Die Kamera aber ermöglicht es den | |
Angeklagten, die sich oft selbst als Opfer ihrer Lebensumstände sehen, ihre | |
Motive und ihre Not zu thematisieren. | |
Da schildert ein Mann, dem Körperverletzung und Drogendelikte vorgeworfen | |
werden, warum er unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Er | |
war Kommandant einer Anti-Terror-Einheit. Bei einem Einsatz in Jerusalem | |
sollten Verdächtige festgenommen werden. Die Einheit erhielt die | |
Information, diese seien unbewaffnet. Vor der Tür hört der Kommandant ein | |
Baby im Obergeschoss des Hauses schreien und entscheidet, der | |
Bombenentschärfer solle nach oben gehen und nachsehen. Doch das Kommando | |
ist in eine Falle getappt. Der Bombenentschärfer wird durch eine Explosion | |
in Stücke gerissen, der Kommandant schwer verletzt. Wenn er spricht, ist | |
seine Zunge schwer. Er konsumiert Medikamente, aber auch Drogen, um mit | |
seinem Leben klarzukommen. | |
## Moralisches Dilemma | |
Besonders heikle Fragen warf der Fall eines jungen Pädophilen auf, der | |
Kinder sexuell missbraucht hatte. Das Team sah sich noch stärker als bei | |
anderen Fällen einem moralisches Dilemma gegenüber, sagt Atzmor: Darf man | |
einen solchen Täter auch von seiner menschlichen Seite zeigen, Empathie für | |
ihn entwickeln? Die Antwort lautete nicht nur aus ethischen Gründen ja. | |
Auch, weil sich die Frage stellte, ob es nicht sinnvoller sei, den Mann, | |
der sich bereits freiwillig „chemischer Kastration“ unterzogen hatte, zu | |
therapieren, um weitere Verbrechen zu verhindern. Diese Therapie | |
verweigerte das zuständige Ministerium aber. | |
Die Heldinnen der Serie sind die Pflichtverteidigerinnen, denn die meisten | |
von ihnen sind Frauen. Ihren Mandanten sind sie oft auch Mütter, Schwestern | |
und Therapeutinnen. Das Vertrauen ihrer Mandanten ermöglichte es dem Team | |
erst, zu filmen. Warum Frauen? Weil sie es schwerer haben, in den wichtigen | |
Kanzleien Fuß zu fassen, sagt Atzmor. Durch ihre langjährige Arbeit mit | |
komplexen Fällen als Pflichtverteidigerinnen öffnen sich ihnen dann aber | |
oft die Türen. | |
Ihre Serie hat dem israelischen Publikum gezeigt, wie wichtig die wenig | |
bekannte Arbeit der Pflichtverteidiger in einer sozialen Demokratie ist, | |
glaubt Atzmor. So mancher Zuschauer habe verstanden, dass seine Steuern für | |
Pflichtverteidiger sinnvoll ausgegeben werden. Denn jeder könne einmal in | |
die Situation geraten, einen zu brauchen. | |
Die Deutsch-Israelischen Literaturtage werden am Sonntag mit einer Reihe | |
von Gesprächen zwischen israelischen und deutschen Autoren fortgesetzt, | |
darunter Fatma Aydemir, Amichai Shalev, Yiftach Ashkenazy und Takis Würger. | |
13 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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