# taz.de -- Netflix-Serie „Dogs of Berlin“: Unauthentisch und deshalb gut | |
> Mit „Dogs of Berlin“ hat Streaminganbieter Netflix seine zweite deutsche | |
> Serie produziert. Es geht um Polizisten, Gangster und eine | |
> Nazi-Kameradschaft. | |
Bild: Fahri Yardım (r.) in seiner Rolle als Erol Birkan | |
Wenn in einer Serie, in der Polizisten, Gangster und Berliner Stadtviertel | |
mit Migrationshintergrund eine Rolle spielen, der Satz „Es ist unser erster | |
Einsatz und wir verkacken royal“ fällt und der aber nicht von einer der | |
Rollen mit Migrationshintergrund kommt, dann ist die Serie schon mal auf | |
einem guten Weg. | |
In „Dogs of Berlin“ geht es vordergründig darum, den Mörder des besten | |
deutschen Nationalspielers, Orkan Erdem, zu finden. Die beiden Cops, die | |
den Fall lösen müssen, sind ein zwielichtiger Ostberliner Familienvater mit | |
Wettschulden, alkoholabhängiger Geliebter und zweifelhaften Methoden und | |
der sympathische, schwule deutsche Abiturtürke mit blondem Freund und | |
homophobem Vater. Die Geschichte spielt im Ostberliner Marzahn, wo der Tote | |
mit türkischem Migrationshintergrund gefunden wird und die Nazis sich in | |
einer Kameradschaft organisieren, und im fiktiven Viertel Kaiserwarte, das | |
eindeutig Neukölln sein soll und die Heimat der Gangster ist. | |
„Guck ma, die fotografieren nur Dursun und Sinan“, sagt einer der geladenen | |
Gäste bei der Premiere der Serie im Berliner Kino International, wo | |
Journalisten die 75 Darsteller große Besetzung samt dem Rapper Haftbefehl | |
fotografieren und die Schauspielerin Katrin Sass nach der Zukunft des | |
Streaminganbieters Netflix fragen. [1][„Dogs of Berlin“ ist die zweite | |
deutsche Serie, die von Netflix produziert wurde] und seit Freitag in über | |
190 Ländern zu sehen ist. Und „Dogs of Berlin“ ist sehr gut. Das allein | |
merkt man schon an der Kritik der Kollegen von Bild bis Spiegel Online, die | |
Figuren der Serie seien zu holzschnittartig, kein Klischee werde | |
ausgelassen, die Geschichte sei im Vergleich zu der anderen Berliner | |
Gangsterserie „4 Blocks“ oder auch „Berlin Babylon“ nicht „authentisc… | |
## Klischees? Persiflage! | |
Letzteres ist der größte Irrtum nicht nur über die genannten Serien, | |
sondern über Serien als solches. Die Authentizität in „4 Blocks“ und | |
„Berlin Babylon“ ist lediglich eine behauptete. Eine Serie macht nicht | |
Authentizität, sondern gelungenes, überraschendes, intensives Erzählen von | |
Plots und vor allem aber Figuren aus. Das sind Figuren, denen man niemals | |
glauben kann, weil niemand wirklich glaubwürdig ist, weil jeder seine gut | |
versteckten Abgründe hat. | |
In „Dogs of Berlin“ heißen die Freundinnen der Nazis Mandy, es gibt | |
Abiturtürken, dealende Kanaken und grölende ostdeutsche Nazis, und auch | |
sonst sind sämtliche Charaktere derart drastisch überzeichnet, dass man das | |
alles schnell als Klischee abtun kann. Es wäre indessen intelligenter, den | |
Versuch des Regisseurs Christian Alvart (als Regisseur der Hamburger | |
Tschiller-Tatorte mit Til Schweiger bekannt) als gelungene Persiflage auf | |
solcherlei Darstellungen zu lesen. | |
Schaute man sich die Schauspieler an, wie sie bei der Premiere in Berlin | |
vor Journalisten und Freunden posierten und wie sie dabei redeten und | |
gestikulierten, dann erkannte man genau diese Posen, diese Gesten, diese | |
Inszenierung von überzeichneter Coolness, klischierter Macker- und | |
gespielter Gangsterhaftigkeit, die nicht nur auf der Leinwand, sondern auch | |
auf den Straßen Neuköllns absolut lächerlich wirkt. Und, steile These, es | |
auch soll. | |
## Trash entlarvt | |
Mit Authentizität nämlich kommt man nicht mehr weit, will man die Berliner, | |
Frankfurter, Münchner oder Kölner Großstadtleben schildern oder gar | |
verstehen. Denn jeder hier lebt von der eigenen, gelungenen Inszenierung in | |
den sich ständig überschneidenden Alltags- und Lebenswelten der | |
Einwanderer-, Arbeitslosen-, Gangster-, Gründer- und Hipstermilieus. Hier | |
sagen die schweren Jungs und auch die leichten „Isch“ statt „Ich“, nicht | |
weil sie es nicht besser wissen oder anders können würden. Sondern weil sie | |
es wollen. | |
Auch der „Rassenkrieg“ zwischen von den Nazis angeleiteten Rockern und den | |
Gangstern mit Migrationshintergrund, der am Ende der ersten Folge von „Dogs | |
of Berlin“ mit Straßenschlachten angekündigt ist, hat nichts mit | |
Authentizität zu tun. Und trotzdem ist er als Angstvorstellung in der | |
Realität da. Er ist ein möglicher Ausgang derzeitig sich aufheizender | |
Stimmungen. Diese Ängste nicht mit vermeintlich authentischen | |
Bandenkriegsdarstellungen Neuköllner Araber zu verarbeiten, sondern mit | |
einer großen Portion Trash, Humor und Einfühlung in die Trickstercharaktere | |
deutscher Großstadtmigranten, ist das große Verdienst von „Dogs of Berlin�… | |
9 Dec 2018 | |
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## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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