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# taz.de -- Serie „Sløborn“ in ZDF-Mediathek: Vorhersehbare Pandemie
> In Christian Alvarts Miniserie bricht das Taubengrippevirus aus. Sie
> zeigt, wie vorhersehbar der Ablauf der Coronapandemie war.
Bild: Regisseur Christian Alvart bemüht sich in seiner neuen Miniserie nicht u…
„Inzwischen ist die neue Grippe auch von Mensch zu Mensch hochansteckend,
verbreitet sich in Indien, Asien und Südamerika … Die USA verschärfen
Kontrollen bei der Einreise. Anlass dafür ist das mysteriöse
Taubengrippevirus, das in Indien oder China seinen Ursprung zu haben
scheint … Maßnahmen wie Kontaktverbote und Ausgangssperren, die sich in
Asien als erfolgreich zeigten, sollen durchgesetzt werden … Der Kampf gegen
das Virus wird auch mit einer massiven Einschränkung der Bürgerrechte
geführt …“
Das sind Fetzen aus den Radio-Nachrichten in der neuen, achtteiligen
Miniserie „Sløborn“. Und die ist keine Dokumentation, es geht nicht um
Corona, sondern um die „Taubengrippe“. Aber wir Zuschauer verstehen
natürlich sofort, dass [1][Christian Alvart (Buch, Regie, Kamera)] schnell
war, sehr schnell. Es war klar, dass die Coronapandemie Filmstoff werden
würde und die Ersten schon daran sitzen. Aber dass Alvart bereits ein
halbes Jahr nach dem Ausbruch die erste Corona-Serie parathat, ist wirklich
schnell.
Ist es natürlich nicht. Weil so schnell nicht einmal ein Powerfilmer wie
Alvart sein kann. Wenn man um die jahrelange Vorlaufzeit so eines Projekts
weiß, weiß man auch, dass es in „Sløborn“ nicht um Corona gehen kann.
Alvart ist ebenso wenig ein Prophet wie die Macher der Serie „Arctic
Circle“, in der der deutsche Virologe Thomas Lorenz damit beschäftigt war,
eine Viruspandemie in Lappland aufzuhalten, und die das ZDF ab Mitte
Februar ausgestrahlt hat. Wirklich verblüffend aber ist die Erkenntnis, wie
vorhersehbar – und vorher recherchierbar – [2][offenbar der Ablauf so einer
Pandemie war], offensichtlich bis in die Details: die Gesichtsmasken, deren
Nutzen zunächst infrage gestellt wird; die Aufforderung, Abstand zu halten,
und das gleichzeitige Bedürfnis, sich in den Arm zu nehmen; den virologisch
gebotenen Umgang mit infektiösen Verstorbenen und die Unmöglichkeit einer
Trauerfeier; die Sorge um das für die Altersvorsorge fest eingeplante und
jetzt abgestürzte Aktien-Portfolio.
## Subtil ist etwas anderes
Dennoch ist Alvart – Vorsicht, Spoiler! – für die Eskalation am Ende dann
nichts Besseres eingefallen als so ein arg computerspieliges Versteckspiel
zwischen Insulanern und von ihrem Schießbefehl Gebrauch machenden
Bundeswehrsoldaten. Wir kennen Alvart ja als am amerikanischen
(Action-)Kino vor allem der 1980er und 1990er Jahre geschulten Regisseur,
der dem „Tatort“-Kommissar Til Schweiger auch schon mal eine Panzerfaust in
die Hand drückt. Subtil ist anderswo. Und doch verwendet er nun in
„Sløborn“ erst einmal, für seine Verhältnisse, unendlich viel Zeit darau…
sein – zahlreiches, erst später von der Pandemie dezimiertes – Personal
einzuführen. Und auch dafür, den Mikrokosmos der fiktiven Nordseeinsel, der
die Serie ihren Namen verdankt, auszubreiten.
Das Vater-Tochter-Gespann [3][Wotan Wilke Möhring] und Emily Kusche hat
Alvart einfach aus seinem 2018er Actionfilm „Steig. Nicht. Aus!“
übernommen. Ebenso wie sie hatte auch die Buchhändlerin (Laura Tonke)
einmal anderes mit ihrem Leben vor, als eine einengende Insel-Existenz zu
führen. Jetzt ist es ihr immerhin gelungen, den Erfolgsschriftsteller
Nikolai Wagner (hemmungslos exzentrisch: Alexander Scheer) zu einer Lesung
auf die Insel zu locken. Der hat gerade nicht nur ein Schreib-, sondern
auch ein Drogen- und Geldproblem.
Ach so, die Tochter ist schwanger, von ihrem Vertrauenslehrer. Einer ihrer
Mitschüler wird von seinem Vater mit dem Ledergürtel verprügelt. Die von
einem geläuterten Ex-Knacki zu ihrer Resozialisierung auf die Insel
gebrachten kriminellen Jugendlichen sind natürlich auch nicht von
schlechten Eltern.
Alvart gibt sich redlich Mühe – aber er bemüht sich eben nicht um
Subtilität. Die psychologisch versierte Zeichnung eines Milieus in der
bundesdeutschen Provinz, wie sie etwa Hans-Christian Schmid in seinem
Vierteiler „Das Verschwinden“ gelungen ist, ist seine Sache nicht. Ganz
bestimmt hat sich Alvart auch nicht seinen Landsmann Schmid zum Vorbild
genommen, sondern einen Amerikaner wie David Lynch („Twin Peaks“).
Nur dass Lynch bei aller überbordenden Fantasterei eben durchaus subtil
ist. So ist das Beste, was sich über „Sløborn“ sagen lässt: wie verblüf…
präzise Christian Alvart den Ablauf so einer Viruspandemie antizipiert hat.
Vielleicht weil es kaum etwas geben kann, das so wenig subtil ist wie eine
Pandemie.
23 Jul 2020
## LINKS
[1] /Netflix-Serie-Dogs-of-Berlin/!5553999/
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## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
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TV-Krimi
Verschwörungsmythen und Corona
Netflix
Tatort
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