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# taz.de -- Kritik an Corona-Maßnahmen: Hinterher nicht immer schlauer
> Je erfolgreicher die Coronamaßnahmen sind, desto leichter fällt es, sie
> im Nachhinein für unnötig zu halten. Über das Präventionsparadox.
Bild: War doch alles gar nicht nötig, behaupten die KritikerInnen der Maßnahm…
Wer die Regierung kritisieren möchte, hat es in der Coronakrise noch
einfacher als sonst: Denn je erfolgreicher die Politik dabei ist, die
Verbreitung des Virus einzudämmen, desto stärker können sich all jene
bestätigt fühlen, die die Gefahr von Anfang an für übertrieben gehalten
haben. Und natürlich trifft solche Kritik auch Medien, die – wie die taz –
den Kurs der Regierung im Großen und Ganzen unterstützt haben: War doch
alles gar nicht nötig, behaupten die KritikerInnen der Maßnahmen.
Widerlegen lässt sich das nicht so einfach, denn einen empirischen
Vergleich, was passiert wäre, hätte man die Virusgefahr ignoriert, gibt es
bisher nirgends. Großbritannien und die USA, die einen solchen Kurs
kurzzeitig verfolgt haben, geben immerhin einen Eindruck davon, wie viel
höher die Infektions- und Todeszahlen ausfallen, wenn zu spät reagiert
wird. Aber durchziehen mochten die dort Regierenden diesen Kurs dann lieber
doch nicht.
Keine Frage: Auch in Deutschland hat die Regierung nicht alles richtig
gemacht. Anfangs wurde die Gefahr unterschätzt. Unzutreffende Vergleiche
mit der Grippe und falsche Aussagen zur angeblichen Unwirksamkeit von
Masken gab es zunächst auch vom Robert Koch-Insitut und von
Gesundheitsminister Jens Spahn zu hören. Doch die Politik hat – ebenso wie
die allgemeine Öffentlichkeit – in der Krise schnell auf neue Erkenntnisse
reagiert.
Dass dabei an manchen Stellen auch überreagiert wurde, ist offensichtlich –
und wurde in der taz auch thematisiert: [1][Allein auf einer Wiese ein Buch
zu lesen], hätte das Infektionsrisiko vermutlich ebenso wenig erhöht, wie
der Aufenthalt im eigenen Ferienhaus in Mecklenburg. Und ob Besuche in
Altenheimen mit guten Schutzmasken nicht schon früher wieder vertretbar
gewesen wären, kann man diskutieren.
## Die Kontaktbeschränkungen waren sinnvoll
Dass aber ein Großteil der Maßnahmen überflüssig war, dafür gibt es wenig
Belege – auch wenn viele KritikerInnen das behaupten. Als angeblicher
Beweis wird oft angeführt, dass die Zahl der neuen Corona-Infektionen in
Deutschland schon zurückgegangen ist, bevor die Kontaktbeschränkungen
überhaupt in Kraft getreten sind.
Und tatsächlich kann die vom Robert Koch-Institut veröffentlichte Kurve der
täglichen Neuerkrankungen diesen Eindruck vermitteln: Sie hatte ihren
Höhepunkt am 19. März – und damit schon kurz bevor die
Kontaktbeschränkungen am 22. März verkündet wurden. Dass diese überflüssig
waren, folgt daraus aber nicht, meinen WissenschaftlerInnen. Zwar habe
schon das vorherige Verbot von Großveranstaltungen und das Schließen von
Schulen, Kitas und den meisten Geschäften einen großen Effekt gehabt,
schreiben sie im Wissenschaftsmagazin [2][Science].
Doch erst die Kontaktbeschränkungen hätten die Ansteckungsrate so weit
reduziert, dass die Fallzahlen tatsächlich [3][im notwendigen Ausmaß
gesunken seien]. Dass dieser Effekt schon kurz vor der offiziellen
Verkündung sichtbar wurde, könnte neben Unsicherheiten über die Dauer
zwischen Infektion und Erkrankung auch daran liegen, dass viele Menschen
ihre Kontakte schon vorher freiwillig reduziert hatten.
Auch das zweite, häufig zu hörende Argument, dass die Gegenmaßnahmen durch
aufgeschobene Behandlungen, Depressionen oder wirtschaftliche
Schwierigkeiten am Ende mehr Opfer kosten werden als das Virus selbst, ist
fraglich. Zum einen ist die Zahl der Virusopfer ja gerade wegen der
Gegenmaßnahmen so gering; zum anderen gehen viele WissenschaftlerInnen
davon aus, dass die wirtschaftlichen Probleme bei weniger entschlossenen
Gegenmaßnahmen langfristig nicht geringer, sondern größer wären – und dam…
vermutlich auch ihre gesundheitlichen Folgen.
## Lieber zu vorsichtig
Dass man hinterher immer schlauer ist, trifft bei den Coronamaßnahmen also
nicht unbedingt zu. Doch selbst wenn es so wäre, bedeutete das nicht, dass
das Vorgehen der Politik falsch war. Denn sie musste ihre Entscheidungen
stets auf der Grundlage des aktuell verfügbaren Wissens fällen, ohne die
weitere Entwicklung zu kennen.
Und im Gegensatz zu jenen, die im Nachhinein Kritik üben, musste die
Politik auch die Verantwortung für die Konsequenzen ihrer Entscheidungen
übernehmen. Dass da in vielen Fällen lieber zu vorsichtig als zu
unvorsichtig agiert wurde, sollte jeder nachvollziehen können, der sich
ernsthaft in die Lage derjenigen versetzt, die die schwierigen Beschlüsse
fällen mussten.
19 May 2020
## LINKS
[1] /Corona-Eindaemmung-Bussgelder-geplant/!5672750
[2] https://science.sciencemag.org/content/early/2020/05/14/science.abb9789
[3] /Corona-Epidemie-in-Deutschland/!5682969
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
## TAGS
Verschwörungsmythen und Corona
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Gesundheitspolitik
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Tourismus
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