| # taz.de -- Die EU und CO2-Emissionen: Im Wettlauf gegen die Zeit | |
| > Unter großem Zeitdruck diskutiert die EU, wie es mit dem Klimaschutz im | |
| > Verkehr weitergehen soll. Die Bundesregierung ist gespalten. | |
| Bild: „Unser großes Sorgenkind ist der Verkehr“, sagte Angela Merkel vor 3… | |
| Vor internationalem Publikum gab sich die Bundeskanzlerin einsichtig: | |
| „Unser großes Sorgenkind ist der Verkehr“, sagte Angela Merkel am | |
| vergangenen Dienstag beim Petersberger Klimadialog in Berlin vor 35 | |
| Umweltministern aus der ganzen Welt. Die CO2-Emissionen von Autos und | |
| Lastwagen müsse man ebenso ernsthaft „in den Blick nehmen“ wie den Qualm | |
| aus den Kohlekraftwerken. Und unter dem Applaus der Minister von Kanada bis | |
| Ruanda pries sie die „konsensorientierte Vorgehensweise, von der wir eine | |
| Menge lernen können“. | |
| In der Tat. Denn im Bundeskabinett ist derzeit von konsensorientierter | |
| Vorgehensweise nicht viel zu spüren, wenn es um das „große Sorgenkind“ | |
| geht. In der entscheidenden Frage, wie ernst es der deutschen Regierung auf | |
| EU-Ebene mit dem Klimaschutz bis 2030 beim Verkehr ist, ist die Große | |
| Koalition zerstritten: Während SPD-Umweltministerin Svenja Schulze | |
| drastische Einschnitte beim Spritverbrauch fordert, treten Verkehrs- und | |
| Wirtschaftsministerium auf die Bremse. | |
| Bis dato waren die Positionen so unversöhnlich, dass am Montag in Luxemburg | |
| die nächste klimapolitische Blamage droht: Beim Treffen der Umweltminister, | |
| von dem sich ganz Europa ein entscheidendes Signal aus der größten | |
| EU-Volkswirtschaft erwartet, wird das Autoland Deutschland wohl keine klare | |
| Aussage machen, weil es nicht einig ist. Das wiederum gefährdet das ganze | |
| Projekt, die Klimagase aus dem Verkehr europaweit endlich in den Griff zu | |
| bekommen. | |
| An vielen Fronten geht es beim Kampf gegen den Klimawandel in Europa voran: | |
| Die Stromerzeugung wird sauberer, die Industrie wird effizienter, der | |
| Emissionshandel beginnt zu wirken. Nur der Verkehr ist ein klimapolitischer | |
| Totalschaden. Statt zu sinken, sind die EU-weiten Emissionen seit 1990 um | |
| etwa 20 Prozent gestiegen, vor allem durch den Autoverkehr. Dabei hat die | |
| EU im Pariser Abkommen zum Klimaschutz völkerrechtlich verbindlich genau | |
| das Gegenteil versprochen: Bis etwa 2050 sollen die CO2-Emissionen aus | |
| Kraftwerken, Industrie und Autos praktisch bei null liegen. | |
| ## Die Umweltministerin warnt | |
| Der Weg zu diesem ehrgeizigen Ziel ist höchst umstritten. Die EU-Kommission | |
| hat einen Vorschlag vorgelegt, wie sie sich die Regulierung der | |
| CO2-Emissionen von Neuwagen in Europa von 2021 bis 2030 vorstellt. Demnach | |
| sollen die Motoren 2025 um 15 Prozent weniger Sprit verbrauchen als 2021, | |
| bis 2030 sollen es 30 Prozent weniger sein. Die europäischen Autobauer, die | |
| eigentlich nur 20 Prozent schaffen wollten, können mit diesem Vorschlag | |
| noch leben. Und aus den unionsgeführten Ministerien für Verkehr und | |
| Wirtschaft heißt es: Der Vorschlag der EU ist „eine gute Grundlage für | |
| Verhandlungen“. | |
| Der Vorschlag hat nur einen Makel: Er verfehlt bei Weitem das angepeilte | |
| Klimaziel. Von den 50 Millionen Tonnen CO2, die der Verkehr in Deutschland | |
| im Jahr 2030 nach bisherigen Prognosen noch über seiner Zielmarke liegt, | |
| bringt er nach Berechnungen von Experten nur 4 Millionen Tonnen | |
| Einsparungen – weniger als ein Zehntel des Nötigen. | |
| Das Umweltministerium warnt daher in einem Positionspapier: „Beim von der | |
| EU-Kommission vorgeschlagenen Ambitionsniveau wäre es Deutschland selbst | |
| mit einem sehr ambitionierten Maßnahmenbündel, das in erheblichem Umfang | |
| das Mobilitätsverhalten von Bürgern und Unternehmen beeinflussen würde, | |
| nicht mehr möglich, seine Klimaschutzziele zu erreichen.“ | |
| Deshalb hat Schulze ein Papier vorgelegt, das den Autobauern mehr zumutet: | |
| minus 25 Prozent für 2025 und minus 50 Prozent für 2030. Und auch das sei | |
| eine „aus klimapolitischer Sicht notwendige Untergrenze“, heißt es. Für | |
| Autobauer soll es Anreize geben, schneller Autos mit null direkten | |
| Emissionen (E-Autos) in den Markt zu bringen, was die Hersteller auch schon | |
| versprochen haben. | |
| ## Weit hinter den Forderungen der Grünen | |
| Der SPD-Umweltministerin, die als Mitglied der Gewerkschaft IGBCE gern | |
| betont, wie wichtig ihr Arbeitsplätze seien, geht es auch um Investitionen | |
| in neue, saubere Antriebstechniken in Deutschland: „Für die Entwicklung des | |
| Automobilstandorts ist es entscheidend, dass Investitionen in Niedrig- und | |
| Nullemissionstechnologien in der EU und in Deutschland erfolgen“, so das | |
| Papier. Strengere CO2-Grenzwerte sollen da helfen, schnell Fabriken und | |
| Jobs in Deutschland zu sichern. | |
| Schulzes Minimalplan bleibt noch weit hinter den Forderungen von Grünen, | |
| Umweltverbänden oder dem Europäischen Parlament zurück, die den Verkehr | |
| endlich für den Klimaschutz in die Pflicht nehmen wollen. Die Grünen wollen | |
| minus 45 Prozent für 2025 und minus 75 Prozent ab 2030, außerdem sollten ab | |
| 2035 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr verkauft werden. Peter Mock von | |
| der internationalen Expertengruppe für sauberen Verkehr icct fordert ein | |
| Minus von 60 Prozent in 2030, das sei technisch machbar und für die | |
| Autofahrer wegen der gesparten Kosten für Sprit auch wirtschaftlich. | |
| Und der Vorschlag aus dem Parlament fordert sogar, die Vorteile bei der | |
| CO2-Berechnung für schwere Autos, mit denen vor allem deutsche Marken wie | |
| Mercedes, BMW, Porsche und Audi ihr Geld verdienen, abzuschaffen – was die | |
| deutsche Autoindustrie schon mal als „Planwirtschaft“ kritisiert. | |
| Allerdings will hier Svenja Schulze den deutschen Autobauern nicht an den | |
| Karren fahren: Das Ende der Privilegien für CO2-Schleudern sei zwar „aus | |
| Sicht der Kosteneffizienz und des Klimaschutzes“ vorzuziehen, heißt es in | |
| ihrem Positionspapier. | |
| Weil die jetzige Regelung aber „Vorteile insbesondere für deutsche | |
| Hersteller“ bringe, sei er „jedoch aus industriepolitischer Sicht | |
| vertretbar“. Einen heimlichen Verbündeten hat Schulze im Kabinett: Olaf | |
| Scholz. Das Finanzministerium begreift langsam, dass mangelnder Klimaschutz | |
| sehr teuer werden kann. Das Öko-Institut hat gerade errechnet, dass | |
| Deutschland von 2021 bis 2030 für die Bereiche Verkehr, Gebäude und | |
| Landwirtschaft zwischen 5 und 30 Milliarden Euro ausgeben muss, um die | |
| nötigen Emissionslizenzen zu kaufen, wenn nicht ernsthaft Emissionen | |
| reduziert werden. | |
| ## Großfamilie voller Sorgenkinder | |
| Aus dem Verkehr kämen bei 40 Millionen Tonnen unzulässiger Emissionen, auf | |
| die der Vorschlag der EU-Kommission hinausläuft, Kosten von einigen | |
| Milliarden Euro auf den deutschen Steuerzahler zu. | |
| Kritik an der deutschen Verkehrspolitik gibt es auch von ungewohnter Seite: | |
| Die Organisation der Industrieländer, OECD, hat – von der Öffentlichkeit | |
| praktisch unbemerkt – in ihrem letzten Bericht zu Deutschland im Juni „mehr | |
| Engagement“ beim Klimaschutz gefordert und die Versäumnisse beim Verkehr | |
| benannt: „Im Verkehrssektor fehlt es an einer übergeordneten | |
| Politikstrategie“, bemängeln die Experten. Der Bundesverkehrswegeplan für | |
| 2030 bringe „weniger als 8 Prozent des erforderlichen | |
| CO2-Minderungsumfangs“. | |
| Das größte Problem für Schulze und ihre Verbündeten: Die Zeit rast ihnen | |
| davon. Die EU wartet seit November 2017 auf eine deutsche Reaktion. Ohne | |
| den größten Autobauer und die stärkste Wirtschaftsmacht des Kontinents | |
| werden solche wichtigen Weichen nicht gestellt. Die EU-Länder wollen sich | |
| im Herbst einigen, dann im Oktober mit dem Parlament in die Verhandlungen | |
| eintreten. Allerdings muss alles bis Frühjahr 2019 unter Dach und Fach | |
| sein, dann wird das EU-Parlament neu gewählt und eine neue Kommission setzt | |
| neue Schwerpunkte. | |
| Kommt dieser Zeitplan ins Rutschen, ist das ganze Projekt gefährdet. „Wenn | |
| jetzt nicht schnell etwas passiert, verlieren wir zwei Jahre“, befürchtet | |
| Peter Mock von der Expertengruppe icct. Und wenn die Verhandlungen erst | |
| 2021 von vorn beginnen, wäre es für eine Regelung für 2025 schon zu spät. | |
| Die Bremser haben also gute Chancen: Der Vorschlag der Kommission, auf den | |
| sich in Zeitnot alle als Minimalkompromiss einigen könnten, schont die | |
| Autoindustrie und verschiebt den politischen Ärger bei der Durchsetzung von | |
| CO2-Reduzierungen und die Strafzahlungen zur öffentlichen Hand. Deshalb | |
| hoffen viele Beobachter in dieser Angelegenheit auf ein Machtwort von | |
| Angela Merkel – eine Aktion Sorgenkind der Bundeskanzlerin. Die hat | |
| allerdings derzeit etwa bei den Themen Migration, Europa und CSU eine | |
| Großfamilie voller Sorgenkinder am Hals. | |
| 25 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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