| # taz.de -- Deutsch-amerikanische Freundschaft: Bridge over Troubled Water | |
| > Vor dem Nato-Gipfel ist die Beziehung zwischen Deutschland und den USA | |
| > unter Druck. Kanzler Merz setzt auf Gespräche. Was aber, wenn keiner mehr | |
| > zuhört? | |
| Bild: Kleine Geschenke erhalten hoffentlich die Freundschaft: Bundeskanzler Mer… | |
| BERLIN taz | Am letzten Sonntag im Februar sitzt Friedrich Merz in einem | |
| Studio des ZDF mit den anderen Parteivorsitzenden, es ist Zeit für die | |
| [1][sogenannte Elefantenrunde am Abend der Bundestagswahl]. Die Union hat | |
| schlechter abgeschnitten als von ihr erhofft, aber die Wahl hat sie | |
| gewonnen. Merz’ politischer Lebenstraum, Kanzler zu werden, geht in | |
| Erfüllung. | |
| Das internationale Setting für seine Kanzlerschaft allerdings wird er sich | |
| anders vorgestellt haben. „Für mich wird absolute Priorität haben, so | |
| schnell wie möglich Europa so zu stärken, dass wir Schritt für Schritt auch | |
| wirklich Unabhängigkeit erreichen von den USA“, sagt Merz. Ob man beim | |
| Nato-Gipfel im Juni das Bündnis noch in seiner früheren Form antreffen | |
| werde, sei nicht klar. Und: „Ich hätte nie geglaubt, dass ich so etwas mal | |
| in einer Fernsehsendung sagen muss.“ | |
| Kurz zuvor hatte sich Donald Trump auf die Seite des russischen Präsidenten | |
| Wladimir Putin geschlagen und der Ukraine die Schuld an dem Krieg in ihrem | |
| Land zugeschrieben, eine klassische Täter-Opfer-Umkehr. Und ein Bruch mit | |
| allem, was Merz bislang für die Wertebasis des transatlantischen Bündnisses | |
| gehalten hat. | |
| Friedrich Merz ist Transatlantiker durch und durch. Er ist mit der | |
| Westintegration durch Adenauer und dem Sicherheitsversprechen der USA | |
| aufgewachsen, war beruflich viel in den Staaten unterwegs und zehn Jahre | |
| lang Vorsitzender der Atlantik-Brücke. „Unser Bündnis zu Amerika war, ist | |
| und bleibt von überragender Bedeutung für die Sicherheit, die Freiheit und | |
| den Wohlstand in Europa“, so hatte er es noch Anfang Februar [2][in einem | |
| Beitrag für die Atlantik-Brücke] formuliert, obwohl Trump da bereits wieder | |
| im Amt war und das „Project 2025“ lange bekannt, das Skript für den | |
| autoritären Umbau der USA. | |
| ## Trump an Bord halten | |
| Umso forscher klang dann Merz’ Rhetorik wenige Wochen später, nicht nur im | |
| ZDF-Studio. Seitdem aber hat er sich auffällig heruntergedimmt. Anfang Mai | |
| sagt er auf seiner ersten Auslandsreise in Paris: „Wir wollen, dass die | |
| Amerikaner an Bord bleiben.“ Da klingt er fast ein bisschen wie sein | |
| Vorgänger Olaf Scholz, dem er oft Zögerlichkeit vorgeworfen hat. Willkommen | |
| in der Realpolitik des deutschen Regierungschefs. Europa kann auf die | |
| militärische Unterstützung der USA eben nicht verzichten, auf jeden Fall | |
| nicht kurzfristig. | |
| Trump an Bord zu halten, in Europa, bei der Ukraine, in der Nato, an diesem | |
| Ziel richtet die Bundesregierung ihre Politik aus. Bemüht sich um Harmonie, | |
| betont das Gemeinsame, zeigt Handlungsbereitschaft. Merz reist gemeinsam | |
| mit anderen europäischen Regierungschefs nach Kyjiw und produziert starke | |
| Bilder, auch wenn die Drohungen gegen Moskau nicht unterfüttert sind. | |
| Außenminister Johann Wadephul hat sich beim Treffen mit seinen | |
| Nato-Kolleg*innen [3][für eine drastische Erhöhung der | |
| Verteidigungsausgaben auf 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts | |
| ausgesprochen], so ähnlich wie Trump es gefordert hat, auch wenn Wadephul | |
| 1,5 Prozent für Infrastrukturmaßnahmen mit einrechnen will. Er ist nicht | |
| der einzige, der Trump mit diesem Vorschlag entgegenkommen möchte. Am | |
| Sonntag einigte sich die Nato – mit Ausnahme von Spanien – auf das | |
| Ausgaben-Ziel von 5 Prozent. | |
| Aus dem Kanzleramt heißt es dazu: Man mache das nicht Trump zuliebe, | |
| sondern weil man es selbst für richtig halte. Vom Gipfel gehe das Signal | |
| aus: Das Bündnis ist wichtig, das Bündnis ist einig. Als besonderen Erfolg | |
| bewertet man es, dass in der Abschlusserklärung ein gemeinsames Bekenntnis | |
| zur Unterstützung der Ukraine stehen soll, ein Passus, der gerade | |
| Deutschland wichtig war. Aber angesichts Trumps erratischer Position nicht | |
| selbstverständlich. Bei Merz’ Antrittsbesuch in den USA ging es vor allem | |
| darum, einen guten Draht zu Trump aufzubauen. | |
| Ob das nützt? Das wird sich ab Dienstag zeigen, wenn die Staats- und | |
| Regierungschefs der Nato-Länder in Den Haag zusammenkommen. Es geht um die | |
| Zukunft des Verteidigungsbündnisses. Und auch um die Frage, was | |
| transatlantische Politik, die die Union so gern als Teil ihrer DNA | |
| bezeichnet, unter Trump überhaupt noch sein kann. | |
| Will man Merz’ Blick darauf näher ergründen, kann Stefan Kornelius helfen, | |
| der Regierungssprecher, der früher Außenpolitikchef bei der Süddeutschen | |
| Zeitung war. Kornelius empfängt in seinem noch recht kahlen Büro im | |
| Bundespresseamt, zum Einrichten war bislang keine Zeit. Es ist Donnerstag, | |
| Kornelius ist gerade vom G7-Gipfel zurück, den Trump früher verlassen hat. | |
| Man müsse nüchtern auf die Beziehungen zu den USA blicken, sagt er. „Die | |
| transatlantische Rührseligkeit fand ich immer befremdlich. Es geht um | |
| Interessen, und das war schon immer so. So sieht es auch der Kanzler.“ In | |
| der Geschichte der amerikanischen Außenpolitik habe es immer | |
| isolationistische Zeiten gegeben. Man müsse um die USA als Partnerin | |
| kämpfen. | |
| „Merz hat zu Trump einen erstaunlich guten Gesprächskanal gefunden, und den | |
| muss man nutzen.“ Auch gebe es intensive Kontakte zu Politikern in der | |
| Administration, wie Finanzminister Scott Bessent, die die deutschen | |
| Interessen teilen. Die Kontakte in den Senat seien ebenfalls wichtig. „Das | |
| zentrale Thema ist die nukleare Abschreckung. Da sind wir von den USA | |
| abhängig“, sagt Kornelius. „Die Priorität von Friedrich Merz liegt auf der | |
| Stärkung Europas.“ | |
| Anfang Juni steht Außenminister Wadephul in einem Atrium an Berlins | |
| Boulevard Unter den Linden, das Arthur-F.-Burns-Programm, das den Austausch | |
| deutscher und nordamerikanischer Journalist*innen über den Atlantik | |
| organisiert, hat zum Alumni-Treffen geladen. Zwischen Hauptgang und | |
| Dessert, so sagt es Wadephul selbst, hätten die Veranstalter eine | |
| Grundsatzrede zu den transatlantischen Beziehungen angekündigt. Dann | |
| versucht er mit Verweis auf seine norddeutsche Nüchternheit schnell, die | |
| Fallhöhe wieder zu reduzieren. | |
| Man sehe eine ganze Reihe von Äußerungen und auch Handlungen der | |
| Trump-Administration, „die gegen grundlegende Fundamente unseres | |
| Miteinanders gerichtet scheinen“, sagt Wadephul. Er betont aber auch sein | |
| „Urvertrauen in unsere transatlantische Partnerschaft“ und spricht von | |
| einer „Sturmphase“, die man aushalten müsse. Deutschland, so rät er, solle | |
| – schon aus Eigeninteresse – „unsere Verteidigungsfähigkeit stärken, un… | |
| Handelsinteressen wahren, unser Verständnis von Meinungs- und | |
| Wissenschaftsfreiheit formulieren“. Die eigenen Interessen müssten klar und | |
| mit Selbstbewusstsein artikuliert werden. Dann sei er zuversichtlich, dass | |
| es zu „Einigungen im beiderseitigen Interesse“ kommen könne. Deutschland, | |
| so Wadephuls Fazit, müsse sich bemühen, „Brückenbauer im transatlantischen | |
| Verhältnis“ zu sein. | |
| Auf der einen Seite eine Brücke zu bauen, während auf der anderen Seite | |
| deren Pfeiler in die Luft gejagt werden, ist allerdings kein leichtes | |
| Unterfangen. | |
| Rachel Tausendfreund von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik | |
| ist Expertin für transatlantische Beziehungen. Dem wechselseitigen | |
| Verhältnis würde sie auf einer Skala von 1 bis 10 derzeit eine 4 geben. | |
| „Wobei ich das Verhältnis zwischen Merz und Trump positiver, nämlich mit | |
| einer 6, bewerten würde.“ | |
| Eine gute persönliche Beziehung sei wichtig, meint Tausendfreund. Doch das | |
| löse die strukturellen Probleme im transatlantischen Verhältnis nicht. Im | |
| Handelsstreit etwa brauche Trump die Zölle als Einnahmen, wie er es seinen | |
| Wählern versprochen hat. Auch sei Trump in seiner zweiten Amtszeit von | |
| einflussreichen Männern umgeben, die Gegner der transatlantischen | |
| Partnerschaft seien, wie Vize J. D. Vance, Verteidigungsminister Pete | |
| Hegseth und Stephen Miller, der inzwischen stellvertretender Stabschef ist. | |
| „Es gibt eine tiefsitzende Skepsis bei vielen Republikanern gegenüber der | |
| EU und den Eindruck, dass die USA die EU viel zu gut behandeln.“ | |
| Jürgen Hardt ist außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, unter Angela | |
| Merkel war er vier Jahre lang Koordinator der Bundesregierung für die | |
| transatlantischen Beziehungen. Trump wurde damals zum ersten Mal gewählt. | |
| Schon damals, sagt Hardt am Telefon, habe er über die | |
| „Vertrautheitsillusion“ nachgedacht. Soll heißen: Viele Deutschen fühlten | |
| sich der Kultur und Lebensweise der Amerikaner so nah, dass man glaube, sie | |
| gut zu kennen. „Aber die Unterschiede sind viel größer als gedacht.“ Das | |
| zeige sich jetzt, in der zweiten Amtszeit Donald Trumps, umso deutlicher. | |
| Deshalb müsse man noch stärker in den USA für die eigenen Argumente und um | |
| Vertrauen werben. | |
| Fragt man Hardt, ob eine deutsch-amerikanische Freundschaft mit den USA | |
| unter Trump noch möglich sei, dessen Plan sich doch gegen die gemeinsamen | |
| Werte richte, sagt er: „Ich glaube nicht, dass Donald Trump immer einen | |
| festen Plan hat. Auch scheint seine Neigung nicht besonders ausgeprägt, | |
| Plänen systematisch zu folgen.“ Oft sei auch nicht klar, wer sein Gehör | |
| findet. Das soll wohl heißen: Zur zielgerichteten Umsetzung des Projects | |
| 2025 fehlt Trump die Stringenz. Hardt weiß, wovon er spricht. Er hat | |
| Vertreter der Heritage Foundation im Januar zum Gespräch in den Bundestag | |
| eingeladen, das hat ihm scharfe Kritik eingebracht. Er selbst sagt: „Man | |
| muss mit allen sprechen, die in Washington Einfluss haben.“ | |
| Je länger man mit Hardt telefoniert, desto deutlicher wird, dass er in | |
| Trumps viel beklagter Unberechenbarkeit nicht nur ein Risiko, sondern auch | |
| eine Chance sieht. Man könne ihn eben auch auf seine Seite ziehen. Auf den | |
| Nato-Gipfel etwa blickt Hardt eher optimistisch. Weil sich die anderen | |
| Nato-Staaten wohl auf die geforderten 5 Prozent einlassen würden, könne | |
| Trump das als seinen Erfolg werten. | |
| Kornelius, Wadephul, Hardt: Alle drei kennen sich aus und sind nicht naiv. | |
| Aber bei allen drei klingt eine gewisse Ratlosigkeit durch – und auch das | |
| Prinzip Hoffnung. | |
| Grundsätzlich seien die transatlantischen Beziehungen stark, meint auch | |
| Expertin Tausendfreund. Es brauche mehr als vier Jahre um das Verhältnis zu | |
| kippen. Aber: „Trump hat es jetzt schon geschafft, das Fundament zu | |
| erschüttern, weil die Europäer sich fragen, ob die US-Amerikaner sie weiter | |
| schützen.“ In der kommenden Woche werden alle schlauer sein, ein bisschen | |
| zumindest. Verlassen auf diesen Schutz aber sollte man sich besser nicht. | |
| 23 Jun 2025 | |
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