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# taz.de -- Der Hausbesuch: Seine Gegenwart für die Zukunft
> Jakob Beyer gehört zur Aktionsgruppe „Letzte Generation“. Er will den
> Planeten retten und ist bereit, dafür auch zivilen Ungehorsam zu leisten.
Bild: Jakob Beyer in seinem Leipziger WG-Zimmer. Die Wohnung teilt er sich mit …
Für Jakob Beyer ist klar: Nichts hat mehr Sinn, wenn die Erderwärmung nicht
gestoppt wird. Deshalb brach er seine Ausbildung ab und ist rund um die Uhr
bei der Aktionsgruppe „Letzte Generation“ aktiv.
Draußen: Eine ruhige Straße in der Nähe des Leipziger Hauptbahnhofs.
Zwischen Wohnhäusern ist auch die Schornsteinfegerinnung angesiedelt, ein
Münzladen und ein Brautwarengeschäft. Hier lebt Jakob Beyer mit zwei
Aktivistinnen der Klimaschutzbewegung.
Drinnen: Im Flur der Altbauwohnung stapeln sich Kisten, in der unmöblierten
Küche ungewaschene Teller und Tassen. Beyer winkt in sein Zimmer, in dem
sich außer Kisten, einer Matratze, einer antiken Kommode und einem Hocker
nur Pflanzen befinden: „Wir sind erst eingezogen und waren nicht viel
hier.“
Gemeinschaft: Sie hätten anfangs überlegt, funktional zu leben: „Ein
Arbeitszimmer, ein Schlafzimmer und so weiter.“ Dann hätten sie sich
dagegen entschieden. „Aber wir nutzen das Zimmer der einen Mitbewohnerin
als Arbeitszimmer und die Türen stehen alle offen. Wir hängen eh
aufeinander.“
Aktivismus: Engagieren, sagt Beyer, wollte er sich schon lange: „Ich war
bei Fridays for Future, bin aber nie tiefer eingetaucht.“ Dann lernte er im
Oktober 2021 im Rahmen des Wochenendes „Gerechtigkeit jetzt – Klima und
Soziales zusammenbringen“ eine Aktivistin der „Letzten Generation“ kennen:
„Ich dachte, bei denen gibt es sicher eine Küche, da helfe ich schnippeln.“
Stattdessen sei er gleich im Aktions-Support gelandet.
Ausbildung: Zeitgleich begann er eine Zimmermannslehre: „Die hat auch echt
Spaß gemacht.“ Imstande zu sein, mit nachhaltigen Materialien ein ganzes
Haus selbst zu bauen, sei noch immer ein Traum. Doch die Ausbildung war
Vollzeit: „Ich kam um 17 Uhr nach Hause und war dann bis nachts am Rechner
in Videokonferenzen für die ‚Letzte Generation‘“. Irgendwann war klar:
Lange lässt sich beides nicht vereinbaren.
3-Jahres-Fenster: Die Entscheidung, die Ausbildung abzubrechen, fiel Beyer
nicht leicht. Ob er in ein paar Jahren noch eine Chance auf einen
Ausbildungsplatz bekommt, ist fraglich: „Ich war mit 29 Jahren der
Älteste.“ Aber je mehr er sich mit Klimafragen befasst habe, desto klarer
sei ihm die Dringlichkeit zum Handeln bewusst geworden: „Ich habe keinen
Sinn mehr darin gesehen, drei Jahre in eine Ausbildung zu investieren, wenn
nur noch drei Jahre bleiben, um das Schlimmstmögliche zu verhindern.“
Schreckensszenarien: „Wenn in den nächsten drei Jahren die Kipppunkte nicht
verhindert werden, haben wir in 20 bis 30 Jahren vielleicht nichts mehr zu
essen, kein Dach mehr über dem Kopf. Um den Äquator werden Todeszonen
entstehen, Zonen, in denen keine lebenswerten Bedingungen existieren. Das
wiederum wird zu Fluchtbewegungen führen. Und wir haben ja schon gesehen,
welch sozialer Sprengstoff das ist.“
Beteiligung: Ende Januar begann die „Letzte Generation“ mit
Straßenblockaden: „Da war ich für die Koordination zuständig.“ Zurzeit
hilft Beyer als Teil des „Legal Teams“ bei Prozessvorbereitungen. Aber er
legt auch selbst Hand an. Zuletzt hat er eine Öl-Pipeline blockiert: „Das
war verblüffend einfach: An den Pumpstationen kann man manuell abdrehen.“
Dass solche Aktionen nicht überall auf Akzeptanz stoßen, stört ihn nicht:
„Es gibt keine empirischen Belege, dass die Beliebtheit einer
Protestbewegung Einfluss auf den Erfolg hat.“
Präventionsparadox: Die Klimakatastrophe sei für die meisten Menschen noch
zu abstrakt, um zu handeln: „Weil die Auswirkungen noch nicht so sichtbar
sind.“ Diesen Sommer aber habe es sogar in Berlin gebrannt – bei 1,5 Grad
Erderwärmung: „Wenn wir jetzt einen Kipppunkt erreichen, ist es aus.“
Letzte Generation: „Der Name meint nicht, dass wir die letzte Generation
sind, die leben wird. Sondern die letzte, die für das Klima noch etwas
reißen kann“, erklärt Beyer. Sie seien nicht gegen Reproduktion: „Wir
machen alles dafür, dass es in der nächsten Generation noch Ressourcen
gibt.“ Er selbst aber könne sich Kinder nicht vorstellen, „aus Angst, dass
sie eines Tages existenzielle Nöte haben“.
Alternativlosigkeit: „Die Blockaden scheinen das letzte Mittel.“ In den
letzten Jahren sei alles andere versucht worden: „Noch nie waren in der BRD
mehr Menschen auf der Straße als bei Fridays for Future. Herausgekommen ist
ein Klimaschutzpaket, von dem das Bundesverfassungsgericht meint, dass es
verfassungswidrig ist, weil es zukünftige Generationen nicht schützt.“ Er
sei offen für Kritik und Alternativvorschläge: „Ich frage alle: ‚Was wür…
ihr machen?‘“ Sobald jemand eine bessere Idee habe, seien sie weg von der
Straße.
Kindheit: Die Umwelt war schon immer sein Thema. „Ich habe Fahrradurlaube
gemacht und in Wildniscamps gelernt, Feuer zu machen, mich von Wildkräutern
zu ernähren.“ Seine Eltern habe er zwar nicht bewusst als politisch erlebt,
aber seine Mutter habe sich in der Friedensbewegung engagiert, sein Vater
lange in einer WG gelebt, in der auch immer wieder Obdachlose und
Geflüchtete unterkamen. Das habe ihn wohl beeinflusst: „Ich hatte schon
immer ein starkes Gerechtigkeitsempfinden.“
Werte: Gewaltfreiheit sei neben dem Prinzip, mit Namen und Gesicht zu ihren
Aktionen zu stehen, die äußerste Maxime: „Wir sind immer kooperativ, geben
der Polizei unsere Personalien, stehen auch vor Gericht zu dem, was wir
tun.“
Kritik: Für die Unfälle von Fahrradfahrer*innen, die durch von ihnen zur
Verkehrsbehinderung [1][auf der Fahrbahn verschüttetes Öl] aus dem
Gleichgewicht geraten waren, hätten sie sich entschuldigt: „Wir haben
daraus gelernt.“ Den Vorwurf, durch Blockaden auch Krankenwagen den Weg zu
versperren, weist er von sich: „Wir machen immer eine Rettungsgasse
möglich: Zwei von uns sind nie angeklebt.“
Erpressungsvorwurf: Den Klimaaktivisten würde oft Erpressung vorgeworfen:
„Erpressung aber wäre es, wenn wir die Aktionen aus persönlichem Eigennutz
machten. Beim Abdrehen von Pipelines, Blockieren von Autobahnen oder einem
Hungerstreik für Klimaforderungen entsteht uns kein persönlicher Vorteil.“
Nötigung: Zuletzt wurde ein Aktivist nach einer Festklebeaktion wegen
Nötigung verwarnt: „Wir berufen uns auf Notstand aufgrund der
Klimakatastrophe.“ Doch den direkten Zusammenhang zwischen den Aktionen und
dem Notstand juristisch herzustellen, sei schwer: „Da heißt es: Jetzt sitzt
ihr hier auf der Straße. Wie wollt ihr damit die Klimakatastrophe
aufhalten?“ Sie würden darauf warten, dass ein Gericht den zivilen
Ungehorsam nach Artikel 20 des Grundgesetzes verteidigt. In Absatz 4 heißt
es: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben
alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich
ist.“ Im Gegensatz zu den Notstandsregelungen richtet sich der
Widerstandsartikel ausdrücklich an die Bürger*innen.
Verantwortung: „Das Narrativ, dass jeder bei sich selbst anfangen soll, ist
eine bewusste Form der Ablenkung.“ Nachhaltigkeit könne sich nicht jeder
leisten. Die „Letzte Generation“ sähe die Politik in der Verantwortung.
Veränderung müsse mit der Abschaffung fossiler Energien beginnen: „Die
Bundesregierung muss sich verpflichten, im Wattenmeer nicht mehr nach Öl zu
bohren.“
Kartoffelbrei: Dass der Klimabericht keinen Aufschrei erzeuge,
[2][Kartoffelbrei auf Kunst] aber schon, sei absurd. „Der Klimawandel wird
alle gesellschaftlichen Bereiche betreffen: Auf einem toten Planeten wird
es keine Kunst geben. Kulturgüter werden keine Relevanz haben, wenn wir uns
um die grundlegenden Ressourcen prügeln müssen.“ Deswegen wolle die „Letz…
Generation“ in allen gesellschaftlichen Bereichen Aufmerksamkeit
generieren: „Und wenn es durch Kartoffelbrei im Museum ist.“ Das Gemälde
habe dank der Glasscheibe ja keinen Schaden genommen.
Hoffnung: Die „Letzte Generation“ will gewaltfrei bleiben. „Wir setzen na…
wie vor auf Straßenblockaden. Im Januar waren es 30 Menschen, die Straßen
blockiert haben.“ Jakob Beyer ist überzeugt: „Wenn die Störung so groß i…
dass sie nicht mehr hingenommen werden kann, wenn auf der A 100 tagelang
nichts mehr geht, ist die Politik zum Handeln gezwungen.“
29 Oct 2022
## LINKS
[1] /Gefakte-Notrufe-der-Letzten-Generation/!5887953
[2] /Klima-Protestaktionen-in-Museen/!5887003
## AUTOREN
Eva-Lena Lörzer
## TAGS
Der Hausbesuch
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