| # taz.de -- Proteste der „Letzten Generation“: Die Geister, die sie riefen | |
| > Bei einer Aktion der „Letzten Generation“ wurde die Rettung einer | |
| > verunglückten Radfahrerin behindert. Hat die Umweltgruppe den Bogen | |
| > überspannt? | |
| Bild: Festkleben schön und gut – aber über den Klimawandel wird deshalb kau… | |
| Es existiert etwas im beginnenden 21. Jahrhundert, das wertvoller ist als | |
| Gold und Diamanten: Aufmerksamkeit. Nach ihr giert jedes Produkt, jede | |
| Idee, jeder Influencer, jedermann und jede Frau. Sie zu erzeugen ist eine | |
| Kunst, die nicht immer gelingt. Es gibt da eine kleine Gruppe, die darin | |
| eine Meisterschaft erreicht hat. Sie nennt sich „Letzte Generation“ und | |
| will den Klimawandel bekämpfen. Doch nun droht sie zu scheitern – an sich | |
| selbst. | |
| Die Forderungen dieser meist jungen Frauen und Männer sind so banal wie | |
| mehrheitsfähig: eine Fortsetzung des 9-Euro-Tickets im Nahverkehr und ein | |
| Tempolimit auf der Autobahn. Das ist politischer Mainstream, hundertfach | |
| wiederholt, gewiss richtig, aber auch ziemlich langweilig. Damit lockt man | |
| keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor. Die Praxis der | |
| Aufmerksamkeitsökonomie bestraft solches Verlangen in der Regel mit | |
| vollständiger Nichtbeachtung. | |
| Wären da nicht diese spektakulären Aktionen. Jedenfalls bis jetzt. | |
| Bisher galt unter Protestierenden die Praxis, dass eine Gruppierung gleich | |
| welcher Coleur darum bemüht sein sollte, sich in der Öffentlichkeit | |
| möglichst positiv darzustellen. Das Greenpeace-Schlauchboot gegen die | |
| Ölplattform. Der sich um die Nöte der Bevölkerung sorgende Bundeskanzler. | |
| Die Partei, die den Bürgern zur Seite steht. Die Inszenierung muss sitzen, | |
| die Art und Weise, wie eine Forderung gestellt wird, auf die Sympathie der | |
| Menschen stoßen und damit die Gruppierung selbst sympathisch machen. | |
| In der Werbung hat man schon lange verstanden, dass das zu verkaufende | |
| Produkt in keinem Zusammenhang mit der Umgebung stehen muss, in der es | |
| dargestellt wird. Giftiger Tabak entspricht Pferden und Abenteuern, | |
| ungesunde Schokoladenriegel oder alkoholische Getränke werden mit munter | |
| sprudelnden Bergbächen in Verbindung gebracht und klimaschädigende | |
| Automobile mit Streuobstwiesen. Die Hauptsache ist, dass das Produkt in | |
| einem positiven Umfeld erscheint, dessen Güte wiederum auf das Produkt | |
| abstrahlt und es begehrenswert macht. | |
| ## Sympathie ist nicht das Ziel | |
| Die „Letzte Generation“ hat dieses Prinzip für sich entdeckt. Die | |
| Inszenierung ihrer Proteste hat wenig bis nichts mit ihrem Anliegen zu tun | |
| – sieht man einmal davon ab, dass [1][Meisterwerke in Museen] häufig in | |
| Ölfarbe gemalt sind. Aber ihr geht es im Unterschied zur bisherigen Praxis | |
| nicht um Sympathie. Es ist gewiss, dass ihre Aktionen, vorsichtig | |
| ausgedrückt, bei der Mehrheit der Betroffenen auf wenig Gegenliebe stoßen. | |
| Welcher Autofahrer steht schon gerne im Stau? Welcher Museumsbesucher | |
| findet es gut und richtig, wenn Kunstwerke besudelt werden, von den | |
| Mitarbeitern der Museen ganz zu schweigen? | |
| Die „Letzte Generation“ hat die bisherigen Standards der | |
| Aufmerksamkeitsökonomie umgedreht. Ihr geht es ganz offenbar nicht darum, | |
| geliebt zu werden. Sie nimmt den Hass für das Ziel der Aufmerksamkeit | |
| billigend in Kauf. Und sie hat Erfolg mit dieser Strategie. Alle reden über | |
| sie. Mit jeder Protestnote und jeder Presseerklärung von CDU und FDP, jeder | |
| Distanzierung von den Grünen bis zum Bundeskanzler [2][gewann die „Letzte | |
| Generation“ mehr Aufmerksamkeit.] | |
| Allerdings: Über den Klimawandel, das eigentlichen Anliegen, wird deshalb | |
| nicht unbedingt mehr gesprochen. Aber über die sich an Straßen, Gemälden | |
| und Saurierskeletten festklebenden Frauen und Männer. Im Mittelpunkt der | |
| Kampagne steht also gar nicht das politische Ziel, sondern es geht um die | |
| Kampagnenteilnehmer. Das erinnert an das Verhalten so mancher Sekte. | |
| Dabei achtet die „Letzte Generation“ ganz im Unterschied zu einer Sekte | |
| genauestens darauf, das eigene Risiko zu minimieren. Ihre Aktionen ließen | |
| sich bisher juristisch maximal als Nötigung ahnden, und so nimmt kein | |
| Teilnehmer eine Haftstrafe in Kauf. | |
| Bei den Aktionen gegen Kunstwerke achten die Teilnehmer darauf, dass diese | |
| hinter Glas ausgestellt sind – nicht dass etwa Schadenersatz in | |
| Millionenhöhe fällig wird (auch wenn da ein erhebliches Restrisiko bleibt). | |
| ## Kalkuliertes Risiko | |
| Ein anderes Risiko aber geht die „Letzte Generation“ bewusst ein. Und | |
| dieses droht nun, eine je nach Sichtweise heldische oder idiotische Gruppe | |
| in einem furchtbaren Licht erscheinen zu lassen. | |
| Am Montag [3][blieb ein Spezialfahrzeug der Berliner Feuerwehr in einem | |
| Stau stecken] und erreichte eine von einem Lastwagen lebensgefährlich | |
| verletzte Radfahrerin nur mit Verspätung. Dieser Stau ging auf eine | |
| Klebeaktion der „Letzten Generation“ an einer Autobahn zurück. „Wir hoff… | |
| inständig, dass sich der Gesundheitszustand der Radfahrerin durch die | |
| Verspätung nicht verschlimmert hat“, erklärte dazu eine Sprecherin der | |
| Gruppe. Stets sei es oberstes Gebot, „die Sicherheit aller teilnehmenden | |
| Menschen zu gewährleisten“. | |
| Ausgerechnet eine Radfahrerin, nicht etwa ein angetrunkener SUV-Fahrer, der | |
| eine Mauer touchiert hat. Eine Gute also. Ein Mensch, dessen Leben durch | |
| eine Aktion zusätzlich gefährdet wurde, im Bemühen die Menschheit zu | |
| retten. Und die, dies nur nebenbei bemerkt, nicht zu den „teilnehmenden | |
| Menschen“ zählte. Wie soll das bitte zusammenpassen? Nein, da passt gar | |
| nichts. | |
| Unterstützer mögen nun hektisch nach Entschuldigungen suchen. Dass die | |
| Feuerwehr doch eine andere Straße hätte nehmen können. Dass es auch bei | |
| angemeldeten Demonstrationen zu Verkehrsstaus kommen kann. Dass das so | |
| niemals gewollt war. | |
| Das wird nicht mehr viel helfen. Die Aufmerksamkeitsökonomie hat sich gegen | |
| die „Letzte Generation“ gewandt und droht diese zu vernichten. | |
| 1 Nov 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Letzte-Generation-bewirft-Monet-Bild/!5886956 | |
| [2] /Klima-Protestaktionen-in-Museen/!5887003 | |
| [3] /Blockaden-der-Letzten-Generation/!5888674 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
| ## TAGS | |
| IG | |
| Schwerpunkt Fridays For Future | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| GNS | |
| Aufmerksamkeit | |
| Letzte Generation | |
| Fahrrad | |
| Verkehrsunfälle | |
| Italien | |
| Fahrrad | |
| Verkehrsunfälle | |
| Der Hausbesuch | |
| Kolumne Der rote Faden | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Berichterstattung über Klimaproteste: „Letzte Generation“ wehrt sich | |
| Die am Montag verunglückte Radfahrerin wurde am Donnerstag für hirntot | |
| erklärt. Klimaaktivist:innen weisen eine Mitschuld von sich. | |
| „Letzte Generation“ über Medien: „Wir werden nicht damit aufhören“ | |
| Der Tod einer Radfahrerin hatte zu Hass gegen die Letzten Generation | |
| geführt. Das habe auch mit der Berichterstattung zu tun, kritisiert | |
| Aktivistin Lina Johnsen. | |
| Letzte Generation in Italien: Ultima Generazione suppt Van Gogh | |
| Umweltaktivisten haben ein Gemälde in Rom mit Erbsensuppe begossen. Das | |
| Bild war von einer Glasscheibe geschützt. | |
| Nach Hirntod von Radfahrerin: Klimaproteste sollen weitergehen | |
| Trotz des Hirntods einer Radfahrerin will die „Letzte Generation“ | |
| weitermachen. Die Rettung soll sich durch Blockade der Aktivisten verzögert | |
| haben. | |
| Blockaden der Letzten Generation: Blockade hält Feuerwehr auf | |
| Ein Rettungsfahrzeug kommt verzögert bei einem Radunfallort an, weil es | |
| nach Blockaden im Stau steht. Das heizt Kritik an der Letzten Generation | |
| an. | |
| Der Hausbesuch: Seine Gegenwart für die Zukunft | |
| Jakob Beyer gehört zur Aktionsgruppe „Letzte Generation“. Er will den | |
| Planeten retten und ist bereit, dafür auch zivilen Ungehorsam zu leisten. | |
| Twitter und Aufmerksamkeit: Weltrettung wird nicht getwittert | |
| Die Bad Boys der Welt beherrschen das Spiel der negativen Aufmerksamkeit. | |
| KlimaaktivistInnen ziehen jetzt nach mit Kartoffelbrei – gut so! |