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# taz.de -- Twitter und Aufmerksamkeit: Weltrettung wird nicht getwittert
> Die Bad Boys der Welt beherrschen das Spiel der negativen Aufmerksamkeit.
> KlimaaktivistInnen ziehen jetzt nach mit Kartoffelbrei – gut so!
Bild: Kartoffelbrei passend zum Titel des Gemäldes „Getreideschober“ im Po…
Heute Morgen war ich kurz versucht, mal wieder bei Twitter vorbeizuschauen.
Es war die sensationslustige Stimme in meinem Kopf, die, im Kreis tanzte
und rief: [1][Elon Musk ist jetzt Chef], mal gucken, wie abgeknallt es da
jetzt zugeht! Allein sein überall zitierter Tweet „the bird is freed“ – …
Twitter-Vogel ist befreit – hat mich so aufgeregt, dass ich, wie nach dem
ersten köstlich-fettig-knusprigen Chip, sofort mehr wollte.
Hab’s dann aber doch gelassen, erstens hätte ich mir ein neues Passwort
überlegen müssen, zweitens las ich das Kleingedruckte: Die Plattform müsse
„warm und einladend für alle“ sein, schrieb Musk. Och nö, gähnte die Sti…
und drehte sich nochmal um. Und erinnerte sich dann auch schnell wieder
daran, dass genau dieser koffeinhigh-ähnliche permanente Erregungszustand –
oh – jemand ist genau meiner Meinung!; iih – jemand ist komplett irrer
Meinung – mich ja vor ein paar Jahren überhaupt erst müde aus dieser
Voliere namens Twitter hatte schleichen lassen.
Bislang war es ja so, dass vor allem die Falschen – im Sinne von
natürlichen politischen Gegnern von Linken, Liberalen, Liebevollen – das
Prinzip verinnerlicht hatten, dass negative Aufmerksamkeit gute
Aufmerksamkeit ist. Trump hat damit immerhin eine Wahl gewonnen,
[2][Netanjahu] steht mit einem Bein beinahe im Knast und gewinnt bald
vielleicht noch eine Wahl – die Liste von Leuten, über die medial wenig
Gutes gesagt wird und die trotzdem triumphieren, lässt sich beliebig
verlängern.
Klar, [3][Trump], Netanjahu, all die Bad Boys der Politik vertreten halt
auch einfach die Interessen ihrer Wähler. Aber das Spiel, auch noch so
begründete und berechtigte Kritik für sich zu verwandeln, haben sie
trotzdem besser drauf als Grüne, Linke und Sozis zusammen. Ich hab nie ganz
verstanden, wie der Trick funktioniert, die Bad Boys aber oft darum
beneidet.
## In die Erregungsfalle getappt
Ziemlich gut also, dass es jüngere und smartere Leute gibt als mich, die
den Trick einfach anwenden, statt ihn psychologisch nur ergründen zu
wollen. Ich gebe zu, erst bin ich wieder in die Erregungsfalle getappt,
fand es ein bisschen blöd, ausgerechnet Kunst [4][mit Kartoffelbrei zu
beschmieren]. Warum nicht lieber ganze Straßenzüge parkender Autos? Die
Kunst kann doch nun wirklich nichts dafür. Wieder also hab ich nur aus
meiner eigenen politischen Anschauung heraus gedacht.
Dabei ist es doch brillant. Kunst und Natur sind schließlich die
unveräußerlichen ideellen und materiellen Werte, die allen und keinem
gehören. Quatsch ist deshalb die Kritik von links an den Aktionen von
Letzte Generation und Co, Museen seien elitäre Orte und Kunst den
Unterprivilegierten ohnehin schnuppe.
Ja, Sammler kaufen Kunst für unfassbare Summen – aber eben um sie zu
zeigen, sie zu pflegen und für die Nachwelt zu bewahren, fast nie, um sie
in ihren Wohnzimmern verstauben zu lassen. Gehören im tieferen Sinn tun sie
– wie die Natur – natürlich der Menschheit selbst. Deshalb stimmt es halt
auch nicht, dass dieses Gemälde nichts mehr wert sei, „wenn wir uns um
Essen streiten müssen“, wie eine der Aktivistinnen sagte (Deshalb achten
sie ja auch darauf, dass den Werken nicht wirklich etwas passiert).
## Tauglicher Protest
Und genau wegen dieses ideellen Werts taugen die Attacken auf Bilder von
Monet [5][oder van Gogh] so gut für den Ausdruck dieser elenden
Verzweiflung, die ich und Sie und wir alle ja mal mehr, mal weniger
heimlich spüren angesichts der Erderhitzung. Und sie taugen so gut zum
Protest gegen eine feige, lahmarschige Klimapolitik – eben weil sie auf das
andere kollektive Herz der Menschheit zielen. Natürlich kochen da die
Emotionen hoch – und genau das muss passieren.
Ja, der Zustand der Dauererregung ist anstrengend und nervig und
langfristig schlecht fürs Herz und den konstruktiven gesellschaftlichen
Diskurs. Aber weder Prognosen und Fakten noch Warnungen und gutes Zureden
haben in den vergangenen quälenden 30 Jahren für den nötigen Aufstand
gesorgt. Warum nicht die Trumps, die Klimakiller aller Art mit ihren
eigenen Waffen schlagen – mit bad publicity?
28 Oct 2022
## LINKS
[1] /Elon-Musk-hat-Twitter-gekauft/!5891261
[2] /Palaestinensisch-israelischer-Konflikt/!5887400
[3] /Elon-Musk-und-Twitter/!5886318
[4] /Die-Wahrheit/!5887371
[5] /Die-These/!5888486
## AUTOREN
Ariane Lemme
## TAGS
Kolumne Der rote Faden
Elon Musk
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Verkehrsunfälle
Letzte Generation
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Twitter / X
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