# taz.de -- Spielfilm über Ökoaktivismus: Bomben gegen die Klimakrise | |
> In „How to Blow Up a Pipeline“ lässt Regisseur Daniel Goldhaber | |
> Aktivisten diskutieren und gegen die Mineralölkonzerne zur Tat schreiten. | |
Bild: Wenn man der Industrie radikal überdrüssig wird: Szene aus „How to Bl… | |
Erst vor ein paar Tagen wurde die [1][linke Aktivistin Lina E. wegen | |
Überfällen auf Rechte zu einer mehrjährigen Haftstraße verurteilt]. Ein | |
Urteil, das bei beiden Seiten auf Kritik stieß: Für die einen war es ein | |
Skandalurteil, das eine Antifaschistin anging, die das tat, was der Staat | |
versäumt hatte, für die anderen das viel zu milde Urteil gegen eine | |
Linksterroristin, die Selbstjustiz ausübte. So oder so befürchtet | |
Bundesinnenministerin Nancy Faeser eine zunehmende Radikalisierung. | |
Nicht der einzige Bereich, in dem immer häufiger Gewalt zu beobachten ist: | |
die [2][Klimaprotestler der Letzten Generation] sehen sich zunehmend | |
brutalen Reaktionen von Autofahrern ausgesetzt, die sich in ihrem Recht auf | |
freie Fahrt eingeschränkt sehen und den „Klima-Klebern“ Nötigung vorwerfe… | |
Auch hier wird eine Radikalisierung befürchtet, konservative Politiker | |
sprechen schon von der Gefahr, dass eine Art „Klima-RAF“ im Entstehen ist. | |
Genau zum richtigen Zeitpunkt kommt nun ein Film in die Kinos, der ein | |
Szenario durchspielt, das zwar fiktiv ist, aber zunehmend realistisch | |
erscheint. Dessen Möglichkeiten und Konsequenzen werden in Kreisen der | |
Klima-Aktivisten vielleicht auch schon kontrovers diskutiert. Der von einem | |
Kollektiv um den Regisseur Daniel Goldhaber produzierte Film [3][„How to | |
Blow Up a Pipeline“ basiert lose auf dem gleichnamigen Buch von Andreas | |
Malm, in dem der schwedische Geograph und Journalist] die Frage | |
diskutierte, warum sich die Klimabewegung einem gewaltfreien Protest | |
verschrieben hat. | |
Denn eigentlich, so führt Malm überzeugend aus, waren weder die Proteste | |
von Gandhi noch die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther | |
King und schon gar nicht die Proteste, die zum sehr kurzlebigen Arabischen | |
Frühling führten, gewaltfrei, auch wenn sie gerne als solche verklärt | |
werden. Sie alle bedienten sich mehr oder weniger direkt auch gewalttätigen | |
Formen des Protests, zumindest war die Möglichkeit von Gewalt und | |
Radikalisierung ein Grund, warum die friedlicheren Aspekte einer | |
Protestbewegung von Politik und Gesellschaft als bessere Alternative | |
akzeptiert wurden. | |
Konkret bedeutet das etwa in Bezug auf die US-amerikanische | |
Bürgerrechtsbewegung: Nicht zuletzt der Druck, der durch den gewaltbereiten | |
Malcolm X ausgeübt wurde, ließ den friedlicheren King als akzeptablere | |
Alternative erscheinen. | |
## Anschlag auf eine Pipeline | |
Das Radikale, auch Gefährliche und Faszinierende an der Filmversion von | |
„How to Blow Up a Pipeline“ ist, dass dieser Ansatz nicht einfach | |
aufgezeigt und durchgespielt, sondern aktiv propagiert wird. Erzählt wird | |
von acht Aktivisten, die sich in Texas zum Anschlag auf eine Pipeline | |
zusammenfinden. | |
In Rückblenden wird angedeutet, warum diesen Menschen kein anderer Weg als | |
sinnvoll erscheint: Theo (Ariela Barer) etwa leidet an Leukämie, die | |
vermutlich durch Abgase der Ölraffinerie ausgelöst wurde, in deren Schatten | |
sie aufwuchs. Der Texaner Dwayne (Jack Weary) wiederum soll enteignet | |
werden, um Platz für den Bau einer Pipeline zu schaffen, der Native | |
American Michael (Forrest Goodluck) fühlt sich grundsätzlich von der weißen | |
Mehrheitsgesellschaft unterdrückt, während das Paar Rowan (Kristine | |
Froseth) und Logan (Lukas Gage) eine ganz eigene Agenda zu verfolgen | |
scheint, die sich erst nach und nach offenbart. | |
Minutiös, fast dokumentarisch zeichnet der Film die Vorbereitung zu einem | |
Anschlag nach, wenn auch nicht so genau, dass der gezeigte Bau von Bomben | |
als Anleitung zu verstehen wäre: Eine präzise Bauanleitung wie das | |
legendäre „The Anarchist Cookbook“ ist dieser Film dann doch nicht. Zumal | |
da die Bomben ganz bewusst nicht gegen Menschen gerichtet sind, sondern | |
gegen Sachen. An drei Stellen soll eine Pipeline zerstört werden, die | |
Ölversorgung gestört und damit der Ölpreis in die Höhe getrieben werden. | |
## Der einzige Weg in einer Extremsituation | |
Ein naiver Plan? Vielleicht. Aber angesichts einer Extremsituation wie dem | |
Klimawandel möglicherweise der einzige Weg, die Trägheit des Systems in den | |
Grundfesten zu erschüttern. Oder würden solche Anschläge eher das Gegenteil | |
bewirken und die hehren Ziele diskreditieren? Immer wieder lässt Goldhaber | |
die Figuren diese Fragen diskutieren, werden Zweifel angedeutet, ohne dass | |
es schließlich zu einem um Ausgleich bemühten, oberflächlich betrachtet | |
„vernünftigen“ Ende kommt. | |
Mit welcher Verve „How to Blow Up a Pipeline“ seinen radikalen, | |
anarchistischen Ansatz durchzieht, lässt an das agitatorische Kino der 60er | |
Jahre denken, das auf eine im Nachhinein bisweilen vielleicht naiv | |
anmutende Weise an Revolution und die Kraft gesellschaftlicher Änderung | |
glaubte. | |
Angesichts einer zunehmend hoffnungslos wirkenden Lage, einer | |
erschreckenden Trägheit der Gesellschaft, die notwendigen Wandel zwar | |
diskutiert, aber viel zu langsam auf die akuten Gefahren des Klimawandels | |
reagiert, könnte in Formen der Radikalisierung tatsächlich die einzige | |
Hoffnung liegen. Ob „How to Blow Up a Pipeline“ als Blaupause für den Kampf | |
gegen die drohende Klimakatastrophe dienen kann und vor allem sollte, das | |
werden die nächsten Jahre zeigen. | |
8 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Michael Meyns | |
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