Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Denkmal für die Wiedervereinigung: Keine Einheit um die Wippe
> Der Bundestag will der deutschen Einheit ein Denkmal setzen. Doch elf
> Jahre nach dem Beschluss ist noch immer unklar, wo es gebaut wird.
Bild: Der Verein „Berliner Historische Mitte“ wünscht sich die Einheitswip…
BERLIN taz | Schlossfreiheit – wie schön das klingt. Der Ort mit diesem
Namen liegt im Zentrum von Ostberlin, gleich an der Spree, neben dem neu
errichteten Berliner Stadtschloss. Schlossfreiheit heißt dieses heute von
Touristen durchstreifte Stück Land, weil der Kurfürst von Brandenburg dort
vor 350 Jahren Häuser errichten ließ, deren Bauherren er gewisse Pflichten
erließ und ihnen obendrauf noch Gewerbefreiheit einräumte. Der Grund: Der
Baugrund war so sumpfig, dass die Baukosten explodierten – aber Friedrich
Wilhelm wünschte sich nun mal von Herzen ein wenig Volk in Sichtweite.
Die Geschichte vom Berliner Sumpfland, den Kosten und dem Wunsch nach einem
gut sichtbaren, lustwandelnden Bürgertum hätte den Initiatoren des
Einheitsdenkmals eine Warnung sein können. Denn im Streit um das an eben
dieser Schlossfreiheit zu errichtenden „Freiheits- und Einheitsdenkmal“
ereignet sich gerade durchaus Vergleichbares. Vor zwanzig Jahren haben Ost-
und Westdeutsche dort die Initiative „Denkmal Deutsche Einheit“ gestartet.
Doch aus der Begeisterung für ein verbindendes innerdeutsches Kunstprojekt
ist ein sauteurer Spielball politischer Gegenspieler geworden.
In diesem Sommer erreicht die Debatte einen politischen Tiefpunkt. Aktuell
unterliegen die für das Denkmal geplanten 17,1 Millionen Euro einer
Haushaltssperre – die Freigabe müsste der Haushaltsausschuss des
Bundestages beschließen. Überraschend ließ Johannes Kahrs,
haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, noch kurz vor der
Sommerpause den Punkt von der Tagesordnung. Seine Begründung: Die
Kulturstaatsministerin habe unvollständige Unterlagen eingereicht. Monika
Grütters (CDU) wies den Vorwurf zwar umgehend von sich. Trotzdem ist das
Projekt nun wieder in die Mühle der bundespolitischen Verwaltungsabläufe
zurückgeschaufelt worden.
Die kulturpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Elisabeth Motschmann,
kommentierte den U-Turn des Koalitionspartners mit den Worten: „Chance
vertan – und zwar vorsätzlich.“ Tatsächlich hatte Kahrs’ Fraktionskolle…
Bettina Hagedorn, Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, der Vorlage
kurz zuvor zugestimmt. Nun plötzlich zeigte sich die SPD unzureichend
informiert?
## Mal Fledermäuse, mal Fliesen
CDU-Frau Motschmann reagierte angefasst. Die Zeit dränge, erklärte sie. Im
Oktober läuft die Baugenehmigung für das Denkmal ab. „Damit stellt die
SPD-Bundestagsfraktion bewusst das ganze Projekt infrage.“ Der Verdacht
läge nahe, dass die Sozialdemokraten es komplett verhindern wollten.
Das wiederum ließen die nicht auf sich sitzen. Am 5. Juli, dem allerletzten
Sitzungstag des Bundestages vor der Sommerpause, twitterte
Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD), dass sich Hauptausschuss
und Ältestenrat einig seien: „Einheitsdenkmal kommt! Freigabe der Mittel im
September!“
Möglicherweise hat Motschmann dennoch recht mit ihrer Vermutung, dass das
Projekt Einheitsdenkmal wie eine gesprungene Vase von Hand zu Hand geht:
Irgendwann fand man sie mal großartig – aber mittlerweile könnte man sich
auch gut vorstellen, ohne sie auszukommen. Aus der ursprünglich schönen
Idee, an die Umbrucherfahrungen der Ostdeutschen mit einem Denkmal in der
Mitte Berlins zu erinnern, ist längst eine Farce geworden.
Zur Erinnerung: Nach dem Bundestagsbeschluss zur Errichtung des Denkmals im
Jahr 2007 sollte der Bau 2013 beginnen. Daraus wurde dann aber nichts, denn
mal verhinderten am Spreeufer nistende Fledermäuse den Baustart, dann
wieder musste die Konservierung wertvoller Fliesen abgewartet werden.
Schließlich, nach all den Jahren, taten sich plötzlich unklare
Grundstücksverhältnisse auf. Bis heute gehört das Grundstück nicht dem
Bund. Kulturstaatsministerin Monika Grütters kündigte jüngst den 22. August
als Termin für den Grundstückskauf an.
## Friedliche Endlos-Party mitten in Berlin
Nachdem bis 2016 auch noch die ursprünglich veranschlagten 10 Millionen
Baukosten auf knapp 15 Millionen Euro dramatisch angestiegen waren,
beschloss der Haushaltsausschuss des Bundestages, den Bau vorerst zu
stoppen.
Nun, zwei Jahre später und mit mittlerweile ausreichend gut 17 Millionen
Euro ausgestattet, hätte es tatsächlich losgehen sollen. Dass die SPD das
im Koalitionsvertrag festgeschriebene Projekt kurz vor Ultimo blockiert
hat, ist nur ein weiterer Verlust an Würde für eine Idee, die in der
Bundespolitik längst zur Lachnummer zu verkommen scheint. „Das ist so
Berlin!“, denken sich viele BeobachterInnen.
Aber genau das ist es eben nicht. Der Beschluss, das Denkmal zu errichten,
ist einer von mehreren Hauptstadtbeschlüssen des Parlaments, die aus den
Steuern aller BürgerInnen bezahlt werden und bei denen es um Fragen von
Identität und Geschichte geht.
Er ist vergleichbar mit dem Bundestagsbeschluss von 1991 für den
Bonn-Berlin-Umzug, ebenso mit der Entscheidung für die Errichtung des
Stadtschlosses oder der Zustimmung des Parlaments für das Künstlerpaar
Christo und Jeanne-Claude, 1995 das Reichstagsgebäude in glänzende
Metallbahnen zu hüllen und die deutsche Hauptstadt einen Sommer lang zum
Partyort in einem bei sich selbst angekommenen Nachkriegseuropa zu machen.
So etwas wie eine friedliche Endlos-Party mitten in Berlin hatten sich wohl
auch die Gewinner des Denkmal-Wettbewerbs erhofft. Nach einem komplett
verunglückten ersten Wettbewerb gewann schließlich 2011 im zweiten Anlauf
die Stuttgarter Kommunikationsagentur Milla & Partner. Den Entwurf hatte
man gemeinsam mit der weltberühmten Choreografin Sasha Walz entwickelt.
## „Bürger in Bewegung“
Ihre Idee: eine auf die Schlossfreiheit gesetzte überdimensionale Schale,
die sich sanft hebt und senkt, wenn sie betreten wird. Etwas ändert sich,
Menschen verändern selbst etwas, indem sie Gruppen oder Massen bilden, wenn
sie sich vereinzeln, wenn sie rennen, gehen oder stehen. „Bürger in
Bewegung“, so nennen die Künstler ihr dynamisches Projekt. Bis zu 1.400
Personen sollen auf der 50Meter breiten Schale Platz finden, auf der der
Schriftzug „Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk“ prangt.
Man mag das kitschig finden, beliebig oder unangemessen. Fakt ist, dass das
Parlament den Beschluss gefasst hat, der friedlichen Revolution von 1989/90
im öffentlichen Raum zu gedenken. Fakt ist, dass eine honorige Jury sich
für einen aus 28 international eingereichten Entwürfen entschieden hat. Und
dass diese schwingende Schale – von den BerlinerInnen „Einheitswippe“
genannt – sich ideell löst von dem ewigen Unrechts-Pathos, das vor allem
Konservative gern in die Geschichtsdeutung der Wendezeit hinein
interpretiert sehen. Dieses Einheitsdenkmal hätte eine Leichtigkeit, die
politisch vielleicht nicht unerwünscht ist, die aber diskreditiert wird.
Ja, die Zeiten der Wende waren schwierig – aber sie waren eben auch dies:
wild und gefährlich. Es war unbekanntes Gelände, an das sich ein ganzes
Land herantasten musste. Eine unebene Fläche, die sich heben und senken
kann, ist nicht das schlechteste Sinnbild dafür.
Aber nicht einmal die in Berlin mit regierende Linkspartei teilt noch
diesen Ansatz. Nach dem überraschenden vorläufigen Aus im Bundestag Ende
Juni sagte Kultursenator Klaus Lederer dem RBB-Radio, er finde den Standort
Schlossfreiheit unpassend, ebenso die ganze Symbolik des Denkmals.
## Die Betonung liegt auf „jetzt“
Als sei es damit noch nicht genug, meldet sich nun auch noch der Verein
„Berliner Historische Mitte“ zu Wort. Das Ziel, das Einheitsdenkmal auf der
Wiese vor dem Reichstagsgebäude zu bauen, ist zwar ernst gemeint, deshalb
sollen bis zum 3. Oktober, dem Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung,
täglich sieben Mitglieder um sieben Uhr abends insgesamt 77 Mal eine
Mahnwache abhalten. Doch die Forderung ist absurd.
Zu Recht weist der CDU-Politiker Günter Nooke darauf hin, dass die
Errichtung an einem anderen Ort das Urheberrecht der Künstler verletzen
würde. Für ihn ist der Vorschlag nur ein weiterer Versuch, „das Projekt zu
verhindern und zu verzögern“, sagt er der ARD. Nooke, heute
Afrika-Beauftragter der Bundeskanzlerin, gehörte 1998 zu jener Initiative,
die die Denkmal-Idee überhaupt ins Laufen gebracht hat. Er soll
mittlerweile reichlich genervt sein vom Gang der Dinge.
Genervt wirkt auch die Kulturstaatsministerin. Die Debatte um einen neuen
Standort bezeichnet Monika Grütters als „Killerargument“: „Wer das Denkm…
will, muss es jetzt so bauen wie geplant.“ Ihre Betonung liegt auf „jetzt�…
Der zuletzt ins Auge gefasste Eröffnungstermin am 30. Jahrestag des
Mauerfalls sei ja schon heute nicht mehr zu halten.
Das würdelose Hin und Her um das Einheitsdenkmal, all das Tricksen und
Drucksen, das Zeitschinden und Rauszögern könnte mittlerweile auch gut und
gerne als eine Art soziale Plastik durchgehen. Als Zeichen für ein tiefes
gesellschaftliches Unwohlsein in Bezug auf ein Stück Geschichte, auf dessen
Folgen niemand wirklich stolz sein möchte.
3 Aug 2018
## AUTOREN
Anja Maier
## TAGS
Einheitsdenkmal
Der zweite Blick
Bundestag
Deutsche Einheit
Deutsche Einheit
Wiedervereinigung
Einheitsdenkmal
Einheitsdenkmal
Einheitsdenkmal
zeitgenössische Kunst
Ostberlin
Stadtplanung
Fritz Bauer
Schwerpunkt Ostdeutsche und Migranten
Schwerpunkt Ostdeutsche und Migranten
## ARTIKEL ZUM THEMA
Einheitsdenkmal am Berliner Schloss: Stillgestellte Bewegung
In Berlin baut man zur Erinnerung an die Wende eine Wippe. Doch die
Einweihung des Einheitsdenkmals verzögert sich – wieder einmal.
Baubeginn von Berliner Einheitswippe: Fledermaus, ick hör dir trapsen
Es sieht es so, als würde das umstrittene Einheitsdenkmal nun wirklich
gebaut. Oder können die Fledermäuse und der NABU die Wippe noch kippen?
Nabu klagt gegen das Einheitsdenkmal: Im Namen der Wasserfledermaus
Probleme bei der Errichtung des Einheitsdenkmals in Berlin: Die dort
nistende Fledermaus wird zum Symbol des aufgeklärten Staatsbürgertums.
Doku „Christo – Walking on Water“: Hübsch verschwiegen
Der Film thematisiert die Installation „Floating Piers“ von Jeanne-Claude
und Christo. Die Dramatik des Projekts kann sich im Film nicht richtig
entfalten.
30. Jahrestag des Mauerfalls: Es war nicht alles gut
Planungen vorgestellt: Auch Enttäuschungen und Versäumnisse nach dem Fall
der Mauer will Kultursenator Klaus Lederer thematisiert sehen.
Buch zur Baugeschichte in Berlins Mitte: Einstürzende Altbauten
Eine Geschichte von Abriss und Kahlschlagsanierung: Benedikt Goebel
zeichnet in „Mitte!“ die Umgestaltungen des Berliner Stadtkerns nach.
Kommentar Todestag des Staatsanwalts: Fritz Bauer war der bessere 68er
Vor 50 Jahren starb der legendäre Staatsanwalt Fritz Bauer. Zu Unrecht
wurde er nicht so sehr verehrt, wie die 68er-Ikonen Dutschke und Langhans.
Soziologe über ostdeutsche Identität: „Das begann erst nach der Wende“
Kann jemand, der nicht in der DDR geboren wurde, eine Ost-Identität haben?
Geht schon, sagt der Soziologe Raj Kollmorgen.
Debatte Ost-Identität und Migration: Vom Land verlassen
Die These „Ostdeutsche sind Migranten im eigenen Land“ trägt nicht weit.
Zwar gibt es Gemeinsamkeiten, doch auch viele Wessis wurden „heimatlos“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.