# taz.de -- Debütalbum von Popmusikerin Alma: Einfach nicht zu überhören | |
> Die finnische Künstlerin Alma wirbelt den Mainstream mit ihrem Debütalbum | |
> „Have U Seen Her“ durcheinander. Popsensibilität trifft auf Punkattitüd… | |
Bild: Brüllt sich frei: Alma | |
Muss eine Frau Idealmaße haben und möglichst sexy daherkommen, um sich im | |
Musikbiz zu behaupten? Falsch! Alma-Sofia Miettinen, die sich als | |
Künstlerin schlicht Alma nennt, widersetzt sich dieser klischeehaften | |
Vorstellung. Nicht nur äußerlich. Obwohl sie 2016 in dem Lied „Dye My Hair�… | |
sang: „I would die my hair blonde for you“, für ihre Karriere würde sich | |
die Finnin gewiss nicht ihren Schopf blondieren. | |
Das stellt sie gleich zu Beginn des Interviews klar, das (noch) vor dem | |
Lockdown im Hamburger Karolinenviertel stattfindet: „Ich verbiege mich | |
nicht, um anderen zu gefallen.“ Wie sich die 24-Jährige mit den | |
[1][neongrünen Haaren] in Jeans, XXL-T-Shirt und abgewetzten Turnschuhen | |
auf einem Sofa fläzt, wirkt burschikos. Sie lacht: „Das Mädchenhafte war | |
nie mein Ding“, bekennt sie. „Schon als Kind mochte ich gerne lässige | |
Klamotten und habe am liebsten auf dem [2][Bolzplatz] Fußball gespielt.“ | |
Damit eckte sie bei ihren KlassenkameradInnen an, die sie mobbten. Alma | |
verließ die Schule – ohne Abschluss, gepeinigt von Panikattacken. Sie | |
machte eine Therapie, begann eigene Songs zu komponieren. Sehr bald kehrte | |
sie in diesen Songs ihr Innerstes nach außen: „Wenn ich mich in meinen | |
Liedern öffne, hat das für mich einen kathartischen Effekt.“ | |
Eindrucksvoll thematisiert Alma auf ihrem Debütalbum „Have U Seen Her“, das | |
sie teils in ihrer Heimatstadt Helsinki, teils in Los Angeles aufgenommen | |
hat, ihre inneren Dämonen. Im Duett mit Tove Lo mosert sie in der | |
Midtempo-Nummer „Worst Behaviour“ über die Vorurteile von A&R-Managern von | |
Majorlabels. „Auf dieser Ebene arbeiten bei großen Firmen oft ältere weiße | |
Männer mit festgefahrenen Ideen“, bilanziert sie nüchtern. „Die versuchen | |
gar nicht erst herauszufinden, wie ein lesbisches Mädchen tickt, sondern | |
wollten mich ihren eigenen Erwartungen anpassen.“ | |
Anders als viele andere Talente ließ sich Alma nicht im Rampenlicht | |
verbiegen. Nicht mal von der Castingshow „Pop Idol“, an der sie als | |
17-Jährige teilnahm. „Das war der reinste Albtraum“, erinnert sie sich. | |
„Entertainment und Einschaltquoten standen im Vordergrund, es ging nie um | |
die Belange von mir als Künstlerin.“ Dabei hat Alma allen Grund, um ihre | |
Kreativität zu pflegen. Sie nahm Kontakt zu Miley Cyrus und Ariana Grande | |
auf – mit dem Ziel, Stücke für diese Sängerinnen zu komponieren. | |
Eine gewinnbringende Idee: Mit [3][Miley Cyrus] schrieb sie den | |
feministischen Hit „Mother’s Daughter“. Auch ihre Zusammenarbeit mit dem | |
deutschen DJ Felix Jaehn katapultierte Alma in die Charts. „Bon Fire“ | |
schaffte es 2016 nicht zuletzt wegen ihrer markanten Stimme in die | |
Top-drei-Charts. All das half, um ihr künstlerisches Profil zu schärfen. | |
## Mischen mit Zement | |
Parallel trieb sie ihre Solokarriere voran. Obwohl ihre Musik im | |
elektronischen Pop zu verorten ist, sprengt sie gerne Genregrenzen auf. | |
Beim Titelsong „Have U Seen Her“ pflügt sich ihr kraftvoller Gesang durch | |
ein klassisches Punkarrangement. „Ich habe definitiv Punk-Attitüde“, sagt | |
Alma und lacht. „Zugleich liebe ich Pop. Beides mische ich auf meinem Album | |
mit Zement.“ Vom eingängigen „Mama“ geht es mit „Stay All Night“ str… | |
zum Dancefloor. Dazwischen gibt es Piano-House, Soul, sogar eine lupenreine | |
Ballade mit akustischer Gitarre. | |
Auf jeden Fall ist Alma eine Künstlerin, die man weder übersieht noch | |
überhört. Ihre Fans verehren sie, auch in den Medien bleibt sie ein hot | |
topic. Die britische Zeitung The Guardian preist Alma als | |
„Cybergoth-Version der jungen Adele“. In der Tat verbindet diese | |
Künstlerinnen, dass sie ihre Glaubwürdigkeit inszenieren. Alma ist freilich | |
weniger angepasst: Wenn sie sich über etwas aufregt, benutzt sie auch | |
F-Wörter – etwa in dem Lied „LA Money“, in dem sie sich über die | |
Oberflächlichkeit ereifert, mit der sie sich in Kalifornien dauernd | |
konfrontiert sah. | |
„Loser“ wiederum ist ihr Gegenentwurf zur geschönten Instagram-Welt. „Das | |
ist doch alles Fake“, wettert Alma. „Fakt ist: Jeder hat mal schlechte Tage | |
und sieht im wahren Leben nicht unbedingt so aus wie auf einem | |
retuschierten Foto.“ Daraus zieht sie die Konsequenz: „Ich unterwerfe mich | |
diesem Diktat nicht – selbst wenn mich das für einige Leute zur Verliererin | |
macht.“ | |
5 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Dagmar Leischow | |
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