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# taz.de -- Grundeinkommen in Finnland: Gesünder, aber ohne Job
> Zwei Jahre mit Grundeinkommen machen die BezieherInnen glücklicher. Die
> geringe Zahl an TeilnehmerInnen lässt aber Fragen offen.
Bild: 560 Euro Grundeinkommen jeden Monat: Teilnehmer des Versuchs in Finnland
Stockholm taz | Das Grundeinkommen hatte einen positiven Effekt auf das
Wohlbefinden der Empfänger, sie erlebten weniger psychischen Stress und
waren zufriedener mit ihrem Leben. Sie empfanden ihre wirtschaftliche
Situation auch als positiver. Der Beschäftigungseffekt beim Bezug eines
Grundeinkommens ist dagegen unklar. So fasst die finnische
Sozialversicherungsbehörde KELA in einem am Mittwoch veröffentlichten
[1][Bericht die Resultate des Grundeinkommens-Versuchs] zusammen, der in
Finnland zwischen Januar 2017 und Dezember 2018 durchgeführt worden war.
2.000 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Arbeitslose zwischen 25 und 58
Jahren hatten zwei Jahre lang einen Betrag von monatlich 560 Euro
steuerfrei erhalten. Zusätzlicher Verdienst durch ein Erwerbseinkommen
wurde damit nicht verrechnet.
Der jetzige Abschlussbericht entspricht im wesentlichen den vorläufigen
Ergebnissen, die die ForscherInnen schon im Februar 2019 vorgelegt hatten:
Für die EmpfängerInnen des Grundeinkommens habe dieses sich positiv auf
ihre Gesundheit und ihre Zufriedenheit ausgewirkt, ihre Rückkehr auf den
Arbeitsmarkt aber nicht beschleunigt.
Auf einer Skala von 0-10 wurde für die BezieherInnen des Grundeinkommens
auf Grund derer eigenen Einschätzung ein „Zufriedenheitswert“ von 7,3
ermittelt. Bei einer Vergleichsgruppe von Arbeitslosen lag der Wert bei
6,8. Von diesen gaben 47 Prozent an, es schwer zu haben, mit ihrem
Einkommen klarzukommen, bei denen mit Grundeinkommen waren es 40 Prozent.
Die Dauer, in denen die Angehörigen beider Gruppen innerhalb von zwei
Jahren einer entlohnten Beschäftigung nachgingen, lagen bei der
Grundeinkommensgruppe im Schnitt bei 78 und bei der Vergleichsgruppe bei 73
Tagen.
## Seit den 1980er Jahren debattiert
Ein geringer Unterschied also und diese Zahlen seien auch noch recht
unsicher, meint KELA. Die Regierung in Helsinki habe mitten in der
fraglichen Versuchsperiode Verschärfungen für ArbeitslosengeldbezieherInnen
eingeführt, was das Resultat verfälscht haben könnte. Den deutlichsten
positiven Beschäftigungseffekt habe es jedenfalls in der
Grundeinkommensgruppe bei Familien mit Kindern gegeben. Ob jemand
Grundeinkommen oder Arbeitslosengeld bekomme, scheine aber grundsätzlich
keinen unterschiedlichen Beschäftigungseffekt zu haben.
Dabei war es eigentlich genau diese Frage gewesen, die die Regierung mit
dem Grundeinkommensversuch beantwortet haben wollte. Ein Grundeinkommen war
in Finnland seit den 1980er Jahren regelmäßsig wiederkehrend debattiert
worden. Ursprünglich initiiert von Grünen und Linken und da mit einer
sozialen Perspektive – Stichwort: Befreiung von Armut und existenzieller
Not -, hatten sich zunehmend PolitikerInnen aus dem liberalen Lager zu den
Grundeinkommens-BefürworterInnen gesellt.
Diese hatten allerdings eine etwas andere Agenda. Die Regierungskoalition
aus Rechtsliberalen, Konservativen und Wahren Finnen, die den Versuch 2016
beschlossen hatte, wollte herausfinden, ob Finnlands Sozialsystem „falsche
Anreize“ gebe. Die Unterstellung: Das Bemühen, eine Arbeit anzunehme, werde
zu wenig „belohnt“, weil das Arbeitseinkommen bei Niedriglohnjobs nur wenig
über dem Sozialleistungsniveau liege.
Mit dem Gundeinkommen-Versuch wolle man ermitteln, ob dieses einen
positiven Beschäftigungseffekt habe, heißt es in der Begründung des
Gesetzes. Würden die arbeitslosen Versuchspersonen mit Grundeinkommen also
öfter oder weniger oft eine neue Anstellung erhalten, als eine gleich
große, ebenfalls zufällig ausgewählte Kontrollgruppe, die weiterhin das
übliche Arbeitslosengeld bezog?
Wirklich zufrieden waren die KELA-ForscherInnen damit nicht. Ein derartiges
Experiment brauche mehr Zeit, müsse eine fünffach größere Personengruppe
umfassen und dürfe nicht allein auf Arbeitslose beschränkt werden. So
bestehe die Gefahr, dass die Untersuchung ohne aussagekräftiges Ergebnis
enden werde, kritisierte Professor Olli Kangas, der die Grundlage für ein
Versuchsmodell entwickelt hatte: „Wer für ein Moped bezahlt, bekommt keinen
Mercedes.“
## Viele offene Fragen
Nun sagte Kangas:„Das Experiment hat neue Kenntnisse vermittelt, die es
ohne den Versuch nicht geben würde.“ Im Abschlussbericht selbst wird aber
mehrfach darauf hingewiesen, dass manche Fragen aufgrund der zu kleinen
Versuchsanordnung nicht beantwortet werden könnten.
Wie geht es weiter? Der KELA-Bericht selbst zeigt dazu keine Perspektive
auf. Auch Sozialministerin Aino-Kaisa Pekonen, sprach lediglich von
„wertvollem Wissen“, zu dem der Versuch im Rahmen einer mögliche Reform des
Sozialwesens beigetragen habe. Von den derzeit fünf Regierungsparteien
plädieren nur die Grünen für die baldige Einführung eines bedingungslosen
Grundeinkommens.
Gerade die Corona-Krise habe die Lücken des bestehenden Sozialsystems
wieder einmal offenbar gemacht, erklärte Maria Ohisalo, Grünen-Vorsitzende
und Innenministerin bei einer Rede zum 1. Mai: Ein garantiertes Einkommen
hätte es gerade für die Kulturbranche, für Kleinunternehmer und für
Angestellte im Servicesektor wesentlich erleichtern können, eine solche
Krisensituation zu überbrücken.
6 May 2020
## LINKS
[1] http://julkaisut.valtioneuvosto.fi/handle/10024/162219
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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