# taz.de -- Debatte um CO2-Bepreisung: Nehmt ein anderes System | |
> Über die optimale CO2-Bepreisung soll am 20. September das Klimakabinett | |
> entscheiden. Nun raten ausgerechnet Emissionshandel-Experten zu einer | |
> Steuer. | |
Bild: Nachschub für den CO2-Ausstoß: Ein Autozug auf der Eisenbahnbrücke üb… | |
BERLIN taz | Wenn Christoph Kühleis die Bundesregierung berät, verhält er | |
sich gerade wie ein Bäcker, der seine Kunden vor Brot warnt und Früchte vom | |
Obsthändler nebenan empfiehlt. Beim Umweltbundesamt in Berlin arbeitet er | |
seit Jahren daran, den Kohlendioxid-Ausstoß der bundesdeutschen Wirtschaft | |
zu verringern. Seine Methode funktioniert mittlerweile ganz gut. Und doch | |
sagt er der Politik, sie solle augenblicklich besser die Finger davon | |
lassen. | |
„Ich bin ein großer Freund des Emissionshandels“, so Kühleis. Das ist ein | |
Mechanismus, bei dem etwa 11.000 Kraftwerke und Fabriken in der EU für jede | |
Tonne klimaschädlicher Abgase, die sie in die Luft blasen, Lizenzen kaufen | |
müssen. Kühleis´ Bekenntnis ist einerseits nachvollziehbar: Der Mann in | |
Jeans und blaugrauem Hemd mit offenem Kragen ist Chefökonom der Deutschen | |
Emissionshandelsstelle (Dehst), die die Firmen kontrolliert. | |
Andererseits schränkt er schon im nächsten Satz ein: „Für den Bereich | |
Gebäude und Verkehr wäre“ der Emissionshandel „als rein nationale Maßnah… | |
in unserer Situation nicht das richtige Instrument“. | |
Diese Aussage hat Gewicht. Denn die Bundesregierung und viele ExpertInnen | |
debattieren gerade, auf welchem Weg das CO2 einen Preis bekommen soll. Das | |
„Klimakabinett“ soll darüber am 20.September entscheiden. | |
## Unklar, wie hoch die Preise jährlich steigen | |
Es geht darum, den Kohlendioxidausstoß (CO2) des Autoverkehrs und der | |
Gebäude zu reduzieren. Beide Bereiche zusammen verursachen knapp ein | |
Drittel der hiesigen Treibhausgase. Diese Emissionen sinken kaum, was die | |
Einhaltung der deutschen Ziele für den Klimaschutz gefährdet. Das ist | |
politisch peinlich und wird im Zweifel viele Milliarden Euro kosten, weil | |
Deutschland dafür Zertifikate zukaufen muss. Die Regierung muss also etwas | |
tun. | |
Sie debattiert nun: CO2-Steuer [1][oder Emissionshandel]? Christoph Kühleis | |
spricht sich eindeutig für die Steuer aus. Und nicht nur er, offiziell | |
schrieb unlängst das Umweltbundesamt: „Für die Bereiche Verkehr und Gebäude | |
ist der Emissionshandel keine sinnvolle Variante einer CO2-Bepreisung. Die | |
notwendigen Fortschritte im Klimaschutz lassen sich besser mit Hilfe der | |
CO2-Komponente in der Energiesteuer erreichen.“ | |
Warum ist Kühleis skeptisch? Das hat damit zu tun, wie der Emissionshandel | |
funktioniert. Würden Autos und Immobilien einbezogen, müssten | |
beispielsweise die Mineralölkonzerne Verschmutzungszertifikate kaufen – | |
entsprechend der Menge Heizöl, Gas, Diesel und Benzin, die sie auf den | |
deutschen Markt bringen. Im Auftrag von Kühleis’ Emissionshandelsstelle | |
würde die Strombörse in Leipzig Auktionen durchführen, bei denen die Firmen | |
die Zertifikate ersteigern. Weil die Belastung des Klimas abnehmen soll, | |
sänke auch die zu versteigernde Menge Jahr für Jahr. | |
Was aber bedeutet das für die Verbraucherinnen und Verbraucher? Die Öl-, | |
Gas- und Benzinhändler schlagen die Kosten für die Zertifikate auf den | |
normalen Preis drauf. Jeder Liter und Kubikmeter wird teurer. Das ist auch | |
der Sinn des Systems: Je teurer, desto weniger wird verbraucht – | |
Klimaschutz mittels des Marktes. Wobei nicht klar erscheint, wie hoch die | |
Preise jährlich steigen. Und genau das, findet Kühleis, ist ein Problem. Je | |
nach Entwicklung an der Börse müssten die Autofahrer, Wohnungseigentümer, | |
Mieter und Firmen auch mal mit größeren Preisausschlägen rechnen. Das ist | |
nicht planbar und kann zu Protesten führen. | |
Ein weiteres Gegenargument: „Einen nationalen Emissionshandel für Verkehr | |
und Gebäude einzurichten, wäre ein für Deutschland vollkommen neuer | |
Ansatz“, sagt Kühleis. Bisher gibt es das Verfahren nur auf europäischer | |
Ebene. „Die Vorbereitung würde mehr als zwei Jahre in Anspruch nehmen, ein | |
Start des Systems vor 2022 wäre also nicht zu erwarten.“ Ähnliche | |
Befürchtungen äußert der Thinktank Agora Energiewende. | |
## Union will keine Steuererhöhung | |
Diese Schwierigkeiten sieht Kühleis bei der Steuer nicht. Die Energiesteuer | |
wird bereits erhoben. Ein Aufschlag von anfangs beispielsweise 10 Cent pro | |
Liter, der mit den Jahren ansteigt, ist leicht ins System einzubauen. „Das | |
Preissignal und der soziale Ausgleich sind gut planbar. Die Unternehmen und | |
Bürger wissen relativ genau, was auf sie zukommt“, sagt Kühleis. Außerdem | |
ist „die CO2-Steuer sehr schnell umsetzbar. Anfang 2020 könnte es | |
losgehen.“ | |
Vielleicht jedoch ist genau das der Punkt, warum die Steuer trotz ihrer | |
Vorteile weniger Chancen hat. Die Union will keine Steuererhöhung, schon | |
gar keine schnelle. Wenn sich die Bundesregierung dagegen [2][für den | |
Emissionshandel] entscheidet, kann sie einen Beschluss verkünden. Trotzdem | |
passiert erst mal nichts – wegen der langwierigen Vorbereitungen. Und die | |
Autofahrer und Mieter würden vorläufig nicht durch höhere Kosten verärgert. | |
28 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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