# taz.de -- Debatte Politische Gewalt: Nicht erpressen lassen | |
> In der Gewaltdebatte vertauscht die Rechte bewusst Täter und Opfer. Sich | |
> darauf einzulassen, ist ebenso unwirksam wie gefährlich. | |
Bild: Der Rechtsstaat allein reicht nicht als Antwort auf die rechte Bedrohung:… | |
Jeden Tag gibt es Meldungen über die Bedrohung durch rechte Gewalt: | |
[1][gewalttätige Übergriffe], [2][rassistische Mobs], [3][rechtsextreme | |
Netzwerke] in [4][Polizei] und [5][Militär], Attacken auf gegen rechts | |
[6][engagierte Menschen], [7][Rechtsterrorismus]. 2017 wurde im Schnitt | |
fast täglich eine rechts motivierte Straftat gegen ein Geflüchtetenheim in | |
der [8][offiziellen Statistik] registriert. Dennoch versucht die Rechte die | |
Debatte so auf den Kopf zu stellen, als sei linke Gewalt das wahre Problem. | |
Auch einige Kommentierende in der Linken [9][verurteilen kategorisch | |
antifaschistische Gewalt] und ihre Rechtfertigung. So hat der Angriff auf | |
einen AfD-Politiker eine Skandalisierung nach sich gezogen, die man bei | |
vergleichbaren und schlimmeren Übergriffen auf nicht rechte Personen | |
vergeblich sucht. Und das, obwohl über den Hintergrund der Tat gar nichts | |
bekannt ist, das extreme Übertreiben und Ausschlachten der Tat durch die | |
AfD jedoch schnell aufgedeckt wurde. | |
„Keine Gewalt – niemals“ und der Verweis auf den Rechtsstaat sind | |
vielleicht ethisch und taktisch korrekte, aber keine ausreichenden | |
Antworten auf rechte Gewalt. Denn allein vermögen sie weder vor ihr zu | |
schützen noch den [10][starken Rechtsruck] einzudämmen. Statt sich ohne Not | |
von militanteren antifaschistischen Positionen zu distanzieren, sollten | |
linke Debatten sich für wirksame gewaltfreie Strategien gegen rechte Gewalt | |
einsetzen. | |
Ein erster Schritt wäre, sich gegen die erpresserische Opferrhetorik der | |
Rechten zu immunisieren und sich ihr wo immer möglich in den Weg zu | |
stellen, ihr den Raum zu entziehen. Rechte und linke Gewalt in einen Topf | |
zu werfen ist dagegen nicht sinnvoll. Auch deshalb, weil rechte Gewalt | |
meist mit gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen verbunden ist, also | |
nach unten tritt. | |
Trotz der vorgeschobenen „Die da oben“-Rhetorik dockt rechte Politik an die | |
existierenden Gewaltverhältnisse an und verschärft sie noch: Die | |
Benachteiligung von Armen, Frauen, Alleinerziehenden, Migrierten, | |
Nichtweißen, LGBTQI und anderen benachteiligten Gruppen hat bereits | |
Mehrheiten hinter sich, auch wenn formal Gleichheit herrschen mag. | |
Strukturelle Gewalt wird nicht unbedingt als solche verstanden. So wird | |
Armut oft als selbst verschuldet oder Schmarotzertum dargestellt. | |
## Aktive Gewaltausübung für die Herrschenden | |
Die hierarchischen Strukturen, in die Gewalt eingebettet, ermöglichen und | |
legitimieren sie erst. Aber wo fängt sie an? Bei der neokolonialen | |
Ausbeutung, die Menschen ihre Lebensgrundlage entzieht und zur Flucht | |
nötigt? Beim Festsetzen von Rettungsbooten? Menschen in große Gefahr | |
abschieben? Wenn das Geflüchtetenheim brennt? Die ideologische Grundlage | |
all dieser Beispiele ist, dass manche Menschenleben nicht so viel wert sind | |
wie andere. | |
Wer alltäglich in rassistische Polizeikontrollen gerät, zwangsgeräumt wurde | |
oder schon mal auf der falschen Demo war, weiß, dass der Staat die aktive | |
Gewaltausübung für die Herrschenden und Besitzenden übernimmt. Gewalt | |
anzuzeigen kann die Sache unter Umständen verschlimmern. Behörden sind | |
teilweise in rechte Gewalt verstrickt oder schauen weg: [11][NSU 2.0], | |
[12][Hannibal], [13][Chemnitz], die [14][Anschlagserie in Berlin-Neukölln], | |
die [15][enttäuschende NSU-Aufklärung]. | |
Die Rechte muss also ungleiche Machtverhältnisse nicht neu etablieren, | |
sondern kann an bereits bestehende anknüpfen. Die AfD macht offensive | |
Politik gegen Marginalisierte und ist offen mit Rechtsextremen verbunden. | |
Sie verfolgt bekanntermaßen ein rassistisches, nationalistisches, | |
homophobes und antifeministisches Programm und nutzt die Mechanismen und | |
Prinzipien des demokratischen Systems, um gegen dessen Werte zu arbeiten. | |
Die Rechte bezieht sich nur taktisch auf demokratische Werte und | |
emanzipatorische Kämpfe – man schlägt ihr kein Schnippchen, indem man sich | |
an dieser Stelle vermeintlich vorbildlich verhält, im Gegenteil. Beispiel | |
Meinungsfreiheit: Selbst nicht ansatzweise an einer informierten und | |
respektvollen Debatte interessiert, inszeniert sie sich als Opfer von | |
vermeintlicher Zensur und bekommt so überdimensional viel Redezeit und Raum | |
für Hetze zugestanden. Oder sie benutzt pseudofeministische Rhetorik, um | |
gegen Geflüchtete zu agitieren, prangert Antisemitismus bei Muslimen an, | |
während sie selbst den Holocaust herunterspielt. | |
## Keine gewaltfreie Alternative formuliert | |
Eine ähnliche Verdrehung erreicht die Rechte nun in der Gewaltdebatte und | |
inszeniert sich als Opfer linker Gewalt. Auch dieses Spielchen sollte man | |
nicht mitmachen. Eine klare Distanzierung mag zwar sinnvoll wirken, doch | |
lässt man so auch [16][von Gewalt betroffene Menschen ohne wirksame | |
Gegenstrategie allein]. Der Hinweis, dass Notwehr doch ohnehin legitim sei, | |
ist [17][in der Realität] wenig hilfreich – wer kann sich schon gegen eine | |
Gruppe bewaffneter Neonazis verteidigen? | |
Auf Hilfe durch den Rechtsstaat zu verweisen ist ebenso korrekt wie | |
zynisch: Nicht nur in Bezug auf rechte Gewalt ist der Rechtsstaat häufig | |
ineffektiv. Rechtsstaatliche Verfolgung als alleinige Antwort auf rechte | |
Gewalt zu formulieren ist die Perspektive einer privilegierten Blase, in | |
der die Alltäglichkeit der Bedrohung durch rechte Gewalt weit weg ist und | |
auch die Fülle an Informationen über sie nicht ernst genommen wird. | |
Es ist frustrierend und gefährlich, wenn der Rechten diskursiv in die Hände | |
gespielt und gleichzeitig keine gewaltfreie Alternative für effektiven | |
Schutz vor rechter Gewalt formuliert wird. Denn mit einer Absage an die – | |
kaum relevant vorhandene – antifaschistische Gegengewalt kommt man diesem | |
Ziel nicht näher. Statt sich auf das rechte Framing einzulassen, sollte die | |
Energie in die Überlegung wirksamer Maßnahmen gesteckt werden, die weit vor | |
dem Einsatz von körperlicher Gewalt ansetzen – an den Strukturen | |
gesellschaftlicher Ungleichheit, aus denen heraus sie entstehen. | |
5 Feb 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Gewalt-gegen-Fluechtlinge/!5473435 | |
[2] /Kommentar-Neonazi-Aufmarsch/!5531435 | |
[3] /Schwerpunkt-Hannibals-Schattennetzwerk/!t5549502 | |
[4] /Rechtsextreme-bei-der-Polizei-in-Hessen/!5565164 | |
[5] /Rechtsextremismus-in-der-Armee/!5565805 | |
[6] /Erneutes-Drohschreiben-gegen-Anwaeltin/!5566848 | |
[7] /Rechtsextreme-Gruppe-Aryans/!5565849 | |
[8] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2018/pm… | |
[9] /Debatte-Politische-Gewalt/!5565676 | |
[10] https://www.stern.de/politik/deutschland/rechtsruck-in-deutschland--ein-la… | |
[11] /Rechte-Polizisten-Gang-in-Hessen/!5564910 | |
[12] /Rechtes-Netzwerk-in-der-Bundeswehr/!5548926 | |
[13] /Nach-Chemnitz-und-Koethen/!5554122 | |
[14] /Rechte-Anschlaege-in-Berlin-Neukoelln/!5564024 | |
[15] /Keine-Anklagen-gegen-Helfer/!5567768 | |
[16] /Rechte-Gewalt-Notwehr-und-Nothilfe/!5563181 | |
[17] https://www.saechsische.de/urteil-gegen-gorbitzer-spielplatz-rambos-503039… | |
## AUTOREN | |
Anna Böcker | |
## TAGS | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Wie umgehen mit Rechten? | |
Gewalt | |
Homophobie | |
Sexismus | |
Rechte Gewalt | |
Klassismus | |
Rechte Gewalt | |
Kriminalstatistik | |
Rechte Gewalt | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Rechte Kriminalität in Brandenburg steigt: „Alarmierender Befund“ | |
In Brandenburg hat die politisch motivierte Kriminalität von rechts erneut | |
zugenommen. Die Gesamtzahl politischer Taten sank wegen sinkender linker | |
Taten. | |
Rassistisches Klima in Berlin: Rechte Gewalt nimmt zu | |
Rechte und antisemitische Gewalttaten in Berlin und Brandenburg sind | |
angewachsen. Beratungsstellen machen den Rechtsruck verantwortlich. | |
Statistik zu rechten Gewalttaten: Bremens unbekannter Mordversuch | |
In Bremen hat es 2018 einen rechten Mordversuch gegeben, erklärt die | |
Bundesregierung. Der Fall war der Öffentlichkeit bislang unbekannt. | |
Debatte Politische Gewalt: Kokett und gefährlich | |
Keine Gewalt – das ist keine Parole, sondern die Grundlage des menschlichen | |
Zusammenlebens. Aufrufe zur Gewalt sind immer falsch. | |
Umgang mit Rechten: Gewalt als Agenda | |
Gegen die Neue Rechte braucht es neue Strategien. Denn sie will das | |
Gewaltmonopol des Staats nach ihren Vorstellungen ausweiten. | |
Rechte Gewalt, Notwehr und Nothilfe: Danke, Antifa | |
Wer im Kampf gegen Rechts die Parole „Keine Gewalt“ zitiert, lässt | |
Neonazi-Opfer im Stich. Die Gewalt, die sie erfahren, wird so nicht | |
verhindert. |