# taz.de -- Debatte Politische Gewalt: Kokett und gefährlich | |
> Keine Gewalt – das ist keine Parole, sondern die Grundlage des | |
> menschlichen Zusammenlebens. Aufrufe zur Gewalt sind immer falsch. | |
Bild: Aufrufe zur Gewalt sind immer falsch – auch wenn sie sich gegen Faschis… | |
Etwas wabert. Eine Frage, die jahrzehntelang keine Rolle mehr zu spielen | |
schien, taucht plötzlich wieder auf: Ob politisch motivierte Gewalt gegen | |
Rechtsextreme, jenseits von Notwehrsituationen, in einem Land wie | |
Deutschland 2019 legitim oder sogar geboten sein kann. [1][Auch in der taz | |
und deren Umfeld, wird das kontrovers erörtert.] Die Diskussion ist kokett | |
– und gefährlich. | |
Nichts gegen Pro und Contra, im Gegenteil. Offene Debatten, die angstfrei | |
geführt werden können, sind eine der größten Errungenschaften der | |
Demokratie. Aber sie leben unter anderem davon, dass ihnen ein gemeinsames | |
Koordinatensystem von Werten zugrunde liegt, in dem bestimmte Fragen eben | |
nicht zur Diskussion stehen. Die Achtung der Menschenwürde ist nicht | |
verhandelbar. | |
Pro und contra Rassismus? Pro und contra Vergewaltigung? Unvorstellbar, | |
dass darüber in der taz hitzige Kontroversen entbrennen könnten. [2][Aber | |
in unserer Zeitung war zu lesen: „Wer im Kampf gegen Rechts die Parole | |
‚Keine Gewalt‘ zitiert, lässt Neonazi-Opfer im Stich.“] | |
Dieser Satz ist in doppelter Hinsicht fatal. „Keine Gewalt“ ist keine | |
Parole, sondern die Grundlage der Regeln menschlichen Zusammenlebens. | |
Faustrecht und Lynchjustiz lassen sich auch dann nicht rechtfertigen, wenn | |
sie die vermeintlich Richtigen treffen. Aber in dem Satz der taz wird ein | |
fundamentales menschliches Prinzip einem anderen fundamentalen Prinzip | |
entgegengestellt, nämlich der Solidarität mit Opfern. So entsteht der | |
Eindruck, es gebe aus einem moralischen Dilemma keinen Ausweg. Wie einst | |
Bertolt Brecht schrieb: „Auch der Haß gegen die Niedrigkeit verzerrt die | |
Züge.“ | |
## Manchmal ist Notwehr unvermeidlich | |
Der Satz stammt aus dem Gedicht „An die Nachgeborenen“, das 1939 | |
veröffentlicht wurde. Die Lage damals hat nichts mit der deutschen Realität | |
des Jahres 2019 zu tun. Wir leben nicht in einer Diktatur – also nicht in | |
einer Situation, in der illegitime staatliche Gewalt zum Alltag gehört –, | |
sondern in einem Rechtsstaat. Der allerdings nicht immer funktioniert. | |
[3][Bei Polizei und Bundeswehr sind Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen | |
aufgedeckt worden,] und es gibt gute Gründe für die Annahme, der | |
Verfassungsschutz sei, zumindest in Teilen, nachsichtiger gegenüber Rechten | |
als gegenüber Linken. Aber wenn sich derlei nachweisen lässt, dann wird das | |
nicht akzeptiert. Es gibt Gerichte, es gibt ein funktionierendes Parlament, | |
es gibt eine Medienfreiheit, die erlaubt, solche Missstände aufzudecken. In | |
Deutschland, 2019. Wahr ist: Kein Rechtsstaat dieser Welt kann verhindern, | |
dass Gewalttaten geschehen. | |
Allerdings ist auch wahr, dass weder die objektive noch die subjektiv | |
empfundene Bedrohung überall gleich groß sind. In Sachsen ist das Risiko, | |
Opfer rechtsextremer Gewalttäter zu werden, ungleich höher als in | |
Berlin-Zehlendorf. Es ist nicht hinnehmbar, dass Menschen berechtigte Angst | |
haben, weil sie sich auf Polizei und Justiz nicht verlassen können. Das ist | |
gleichbedeutend mit Staatsversagen, und es ist eine der dringlichen | |
Aufgaben von Gesellschaft und Politik, das zu ändern. | |
Bisher sind sie dieser Aufgabe nicht gerecht geworden. Was tun, solange die | |
Zustände so sind, wie sie sind? Manchmal ist Notwehr unvermeidlich, und das | |
bedeutet auch: Bereitschaft zur Gewalt. Aber es liegt eine Welt zwischen | |
berechtigter Notwehr und der Behauptung, es sei heute und hierzulande | |
prinzipiell – die Betonung liegt auf: prinzipiell – gerechtfertigt, Gewalt | |
mit Gegengewalt zu beantworten. | |
## Völkische Positionen haben Konjunktur | |
In dem Artikel der taz schilderte der Autor, dass er nach mehreren | |
Konfrontationen mit Neonazis nicht mehr schlafen konnte. Bis ihn endlich | |
Mitglieder der Antifa beschützten. Nicht die Polizei, wohlgemerkt. Schlimm | |
genug. Sondern die Antifa. Sie hielt, mit Schlagstöcken bewaffnet, Wache in | |
seinem Hausflur. | |
Die Dankbarkeit, die der Autor gegenüber der Antifa empfindet, ist | |
gerechtfertigt. Aber diese Organisation hat in dieser konkreten Situation | |
eben nicht Gewalt als Mittel der Politik propagiert. Sondern lediglich das | |
Recht auf Notwehr in Anspruch genommen. Auch über das Recht darauf lässt | |
sich nicht streiten, so wenig wie über die Achtung der Menschenwürde. | |
Beides gehört zum Wertekanon einer demokratischen, freiheitlichen | |
Gesellschaft. | |
Wer aus der Situation im Hausflur des taz-Autors den Schluss zieht, Gewalt | |
gegen Neonazis sei grundsätzlich legitim, missachtet Leid und | |
Gewissenskonflikte derjenigen, die unter Umständen und in Ländern leben, in | |
denen das tatsächlich zutrifft. Es ist zu bezweifeln, dass diejenigen, die | |
das propagieren, solche Zustände herbeiwünschen. Deshalb ist die Diskussion | |
kokett – und gefährlich. | |
Ist die Diskussion über politische Gewalt eine strategische – oder wird | |
hier eine moralische Frage diskutiert? Beides. Die AfD gewinnt nach wie vor | |
an Zulauf, anders ausgedrückt: völkische und nationalistische Positionen | |
haben Konjunktur. Wie soll man umgehen mit Feinden des demokratischen, | |
parlamentarischen Systems, ohne das System selbst zu verraten? | |
## Es gibt gute Gründe gegen Lynchjustiz | |
Die Frage stellt sich nicht nur beim Thema Gewalt. Sondern selbst bei so – | |
scheinbar – harmlosen Überlegungen wie der, ob jemand von der AfD, die ja | |
durchaus demokratisch legitimiert ist, auf jedes Podium eingeladen werden | |
muss, auf dem es um ihre Themen geht. | |
Diese Frage ist, wie viele andere, bislang unbeantwortet. Umso wichtiger | |
ist es, dass wenigstens an den Grundsätzen, auf die sich freiheitliche | |
Gesellschaften verständigt haben, festgehalten wird. | |
Es gibt gute Gründe dafür, dass Rechtsstaaten nicht die Opfer über Täter | |
urteilen lassen, sondern unabhängige Richter. Also auch nicht Demokraten | |
über Nichtdemokraten. Und es gibt gute Gründe dafür, gegen Lynchjustiz zu | |
sein. Nichts anderes ist nämlich Gewalt gegen Arg-und Wehrlose, ganz egal, | |
welche politische Meinung sie vertreten. Deshalb sind Aufrufe zur Gewalt | |
immer falsch. Auch wenn sie sich gegen Faschisten richten. | |
30 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Kommentar-Strategien-gegen-Rechts/!5564059 | |
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## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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