# taz.de -- Das Geschäft mit dem Elend: Überbelegt und brandgefährlich | |
> Nach mehreren Feuern werden über 100 Schrottimmobilien in | |
> Bremerhaven-Lehe überprüft. Betroffen sind vor allem MigrantInnen. | |
Bild: Bei dem Brand in diesem Haus wurden 13 Menschen zum Teil schwer verletzt | |
BREMEN taz | Wer arm ist in Bremerhaven, der lebt brandgefährlich: Immer | |
wieder hat es in den letzten Monaten gebrannt im Stadtteil Lehe, in dem | |
besonders viele Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien leben, die | |
hierzulande meist keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Häufig waren | |
in den betroffenen Häusern Strom und Wasser gesperrt und Fluchtwege | |
verstellt. Nun werden 104 sogenannter „Problemimmobilien“ überprüft. Das | |
ist das erste Ergebnis einer Expertenkommission unter Federführung der | |
Feuerwehr. Außerdem werden Mindeststandards für die Unbewohnbarkeit von | |
Häusern entwickelt. | |
Die Arbeitsgruppe war im Mai von der Stadtregierung ins Leben gerufen | |
worden. Kurz zuvor waren beim Brand eines Wohnhauses in Bremerhaven-Lehe 13 | |
Menschen zum Teil schwer verletzt worden, darunter sieben Kinder. In dem | |
Haus waren 41 Menschen gemeldet, die offenbar zum Teil nie dort wohnten. | |
Gleichwohl sind viele Häuser überbelegt: Recherchen von Radio Bremen | |
zufolge leben dort mitunter 16 Leute auf 60 Quadratmetern, zu horrenden | |
Mieten. „Das Geschäft mit dem Elend muss beendet werden“, fordert Die | |
Linke. Leidtragend seien die Menschen, die unter ausbeuterischen | |
Bedingungen in unzumutbaren Wohnungen untergebracht würden. | |
Die Adressen der betroffenen Häuser waren vielfach schon im Zusammenhang | |
mit dem Sozialbetrug rund um die „Agentur für Beschäftigung und | |
Integration“ des SPD-Landtagsabgeordneten Patrick Öztürk und dessen Vater | |
aufgefallen. „Einige davon dienten offenbar als Briefkastenadressen“, sagt | |
Nelson Janßen von der Linkspartei, Vorsitzender des parlamentarischen | |
Untersuchungsausschusses zum Sozialbetrug in Bremerhaven. | |
Bei einer Ortsbegehung der Expertenkommission fanden sich bei einem Haus in | |
Lehe mehr Namen auf den Briefkästen, als Leute im Haus wohnten. Elf | |
Menschen wurden hernach von Amts wegen abgemeldet, drei von ihnen bekamen | |
Geld vom Job-Center. Ihr Wasser bekommen die BewohnerInnen über eine | |
Gartenpumpe und miteinander verbundene Wassertanks. Nach Recherchen von | |
Radio Bremen gibt es in Bremerhaven einen Handel mit Meldeadressen – für | |
die bis zu 1.000 Euro gezahlt werden. Das Jobcenter spricht von 100 Fällen, | |
in denen zu Unrecht Sozialleistungen bezogen wurden. Es gebe ein „Netzwerk“ | |
aus zwielichtigen Unternehmern und Vermietern, „das auch nach den | |
Ermittlungen gegen die Öztürk-Vereine relativ unbeeindruckt weitermacht“, | |
sagt Janßen. | |
Die Linke fordert, dass stärker gegen die „Vermietung von | |
Schrottimmobilien“ vorgegangen wird. Der Magistrat Bremerhavens sagt indes, | |
dass die Überbelegung von Wohnungen über die Meldedaten nicht festgestellt | |
werden könne, weil unklar sei, welche Wohnung unter der Adresse bezogen | |
werde. Nelson Janßen verweist deshalb auf das 2015 von der rot-grünen | |
Landesregierung verabschiedete Wohnungsaufsichtsgesetz – dessen | |
Möglichkeiten „viel zu lange nicht genutzt wurden“. Es lässt Überprüfun… | |
von überbelegten Wohnungen zu und räumt jedem Erwachsenen eine Wohnfläche | |
von mindestens neun Quadratmetern ein. Kindern unter sechs Jahren stehen | |
sechs Quadratmeter zu. | |
## Das Gesetz? „Ein Papiertiger“ | |
Aber weder in Bremen noch in Bremerhaven ist das Gesetz bisher angewandt | |
worden. Das geht aus einer Senatsantwort auf eine große Anfrage der | |
Linkspartei hervor, die Ende Juni veröffentlicht wurde: Auf der Grundlage | |
des Wohnungsaufsichtsgesetzes „wurden bisher weder in Bremen noch in | |
Bremerhaven formale Anordnungen erlassen“, steht da – obwohl es durchaus | |
diverse Hinweise auf Mängel und Überbelegungen gab, wie der Senat zugibt. | |
Das Gesetz sei ein „Papiertiger“, findet Janßen. | |
Immerhin wurden 2016 gemäß Landesbauordnung in insgesamt 81 Fällen die | |
EigentümerInnen zur Beseitigung von Mängeln an ihren Häusern in Bremerhaven | |
aufgefordert. Meist ging es dabei um Brandschutz. 2017 gab es dort dann | |
auch bislang insgesamt neun Beanstandungen. In zwei Fällen wurden | |
Nutzungsuntersagungen angeordnet. Bußgelder wurden jedoch keine verhängt, | |
wie der Senat mitteilte. Auch eine Systematik bei der Vermietung | |
unbewohnbarer oder überbelegter Wohnungen könne nicht festgestellt werden. | |
Die CDU will den Ermittlungsdienst des Sozialamtes wiederbeleben, um zu | |
verhindern, dass mit Briefkastenadressen Sozialleistungen bezogen werden. | |
Die Linke will – auch vor dem Hintergrund des Großbrandes im [1][Londoner | |
Grenfell Tower] – eine Sonderkommission „Brandschutz“ einrichten, um die | |
Häuser in Bremen und Bremerhaven umfassend zu kontrollieren. | |
24 Jul 2017 | |
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Jan Zier | |
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