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# taz.de -- Offene Geheimnisse: Sie pfiffen’s von den Dächern
> Vor dem Untersuchungsausschuss zum mutmaßlichen Sozialbetrug in
> Bremerhaven gab es erneut so einige Ungereimtheiten
Bild: Selbst sie sollen vom Sozialbetrug gewusst haben – aber der Sozialdezer…
Zwei Zeuginnen sagten am gestrigen Freitag vor dem Parlamentarischen
Untersuchungsausschuss zum mutmaßlichen massenhaften Sozialbetrug in
Bremerhaven aus: Jugendamtsleiterin Susanne Wild und Stella Fandrich von
der beim Gesundheitsamt angesiedelten „humanitären Beratungsstelle.“
Fandrich bestätigte im Grunde das, was Anfang März bereits Margaret
Brugmann, Fachbereichsleiterin der Arbeiterwohlfahrt (AWO) für Migration
und Leiterin der dort von der Sozialbehörde angesiedelten Beratungsstelle
für BulgarInnen und RumänInnen, ausgesagt hatte. Neunmal habe sie dem
Sozialdezernenten zwischen April 2013 und April 2016 konkret über die
Vorgänge rund um die beiden ins Visier geratenen Vereine berichtet.
Unternommen habe die Sozialbehörde aber lange nichts.
Fandrich berichtete, sie habe engen Kontakt zu der AWO-Beratungsstelle
gehabt: „Ich wusste, dass Frau Henriksen vom Sozialamt immer und immer
wieder auf die Probleme aufmerksam gemacht wurde und keinerlei Reaktion
erfolgte.“ Aus diesem Grunde habe sie erst gar keine Versuche unternommen,
ihrerseits die Sozialbehörde zu verständigen.
In ihrer Tätigkeit, berichtete Fandrich, sei sie vor allem zuständig
gewesen für MigrantInnen ohne Krankenversicherungen. Als 2013 die
AWO-Beratungsstelle installiert worden sei, habe sie viele KlientInnen zur
weiteren Betreuung dorthin geschickt. Selim Öztürk und sein Verein „Agentur
für Beschäftigung und Integration“ seien damals bereits bekannt gewesen und
ungefähr ab Mai 2014 sei er dann unangenehm aufgefallen: „Ab da fand eine
vermehrte Abwanderung zu ihm statt, aber Öztürk half den Menschen nur
punktuell: Er kümmerte sich ausschließlich um den Bereich Arbeit.“ Mit dem
Rest habe er die Menschen wieder zu ihr oder zur AWO-Stelle geschickt.
Anfangs habe sie gedacht, die Menschen gingen zu Öztürk, weil man dort ihre
Sprache gesprochen habe, „aber es kristallisierte sich heraus, dass es
immer nur um Arbeitsverträge mit aufstockenden Leistungen ging“.
Sie habe im „Netzwerk Schwangerschaft“ von den dubiosen Arbeitsverträgen
berichtet „und ich erinnere mich noch genau, dass ich mich sehr geärgert
habe, weil eine Frau vom Jobcenter sagte, sie sei nicht dafür zuständig,
die Richtigkeit von Arbeitsverträgen zu überprüfen“.
Beim Jugendamt habe sie ebenfalls Meldung gemacht: „Wenn ich das Kindeswohl
gefährdet sah, weil es keine Heizung gab und keine Krankenversicherung für
die Kinder, weil die ganze Familie von nichts anderem gelebt hat als vom
Kindergeld, dann musste ich mir beim Jugendamt anhören: Aber dafür haben
wir doch Sie bei der humanitären Sprechstunde!“
Jugendamtsleiterin Susanne Wild hingegen berichtete dem
Untersuchungsausschuss davon, dass die Anzahl osteuropäischer Zuwanderer
zwar gestiegen sei, „unsere Klientel hatte aber weder echte noch gefälschte
Arbeitsverträge, sondern gar keine“. Die Quartalsberichte der AWO seien
nicht ans Jugendamt gegangen und bei den Treffen der Arbeitsgruppen, in
denen Selim Öztürk, die Vereine und Scheinarbeit thematisiert wurden, sei
sie nicht anwesend gewesen: „Mir ist Selim Öztürk nie begegnet und Patrick
Öztürk nur als Mitglied des Jugendhilfeausschusses.“
„Alle wussten, dass es Arbeitsverträge ohne Arbeit für Bulgaren gab – das
pfiffen die Spatzen von den Dächern“, sagte Stella Fandrich. Für sie sei es
unvorstellbar, dass die Zustände nicht bekannt gewesen seien.
7 Apr 2017
## AUTOREN
Simone Schnase
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