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# taz.de -- Schrottimmobilien in Bremerhaven: „Tickende Zeitbomben“
> In Bremerhaven sollen Häuser ohne Genehmigung laienhaft saniert worden
> sein. Was ein Bauaufseher für lebensgefährlich hält, ist laut Amt
> unbedenklich.
Bild: Der Blick des Bauaufsehers in die Lutherstraße 36 in Bremerhaven
Bremen taz | Die Vorwürfe wiegen schwer, und sie kommen von einem Insider:
Es geht um [1][Gefahren für Leib und Leben], die Bewohner:innen
verschiedener „schwarz“ sanierter Mehrfamilienhäuser und ehemaliger
Schrottimmobilien in Bremerhaven drohen. Die örtlichen Behörden sollen
dabei vorsätzlich weg geschaut haben.
„Verdacht struktureller Korruption sowie weiterer Straftaten“ im
Bauordnungsamt Bremerhaven steht über der dicken Strafanzeige, die im April
dieses Jahres an mehrere Landes- und auch Bundesbehörden ging und die auch
der taz vorliegt. Konkret richtet sich die Anzeige gegen den Amtsleiter
Heinrich Bade und den Verwaltungsleiter Alexander Schulz. In der Sache geht
es aber um „teils lebensgefährliche Eingriffe“ in gleich mehrere
Mehrfamilienhäuser in Bremerhaven, bei denen „trotz eindeutiger Rechtslage“
bei mehreren Investoren auf Anträge und Genehmigungen verzichtet worden
sei.
Der, der das schreibt, war früher selbst als Sachbearbeiter in der
Wohnungsaufsicht tätig, schreibt er in der Anzeige und hat regelmäßig
[2][Häuser und Wohnungen] in Bremerhaven auf Baumängel oder den Brandschutz
kontrolliert. Er arbeitet zwar immer noch für die Stadt Bremerhaven – aber
an anderer Stelle.
Doch ermittelt wird wegen seiner Strafanzeige nicht: „Die Prüfung der
Angaben des Anzeigenerstatters haben nicht zur Feststellung eines
Anfangsverdachtes für Korruptionsstraftaten geführt“, schreibt die
Staatsanwaltschaft Bremen. Und der Magistrat in Bremerhaven gibt „zu
Personalangelegenheiten grundsätzlich keine Stellungnahme ab“. Zu den
Vorwürfen habe die Stadtregierung „auch keine Kenntnis über die Tatsache
der Anzeige hinaus“, schrieb sie der taz im Sommer; nun antwortet sie nicht
mehr auf Nachfragen.
## Die Behörde habe das „sehr ernst genommen“, sagt sie
Untersucht hat die Vorwürfe indes die senatorische Behörde in Bremen, also
die Fachaufsicht, die der grünen Bausenatorin Maike Schaefer untersteht.
Man habe die Vorwürfe „sehr ernst genommen“, versichert Behördensprecher
Jens Tittmann und „ordnungsgemäß geprüft“. Viele Vorwürfe habe man „s…
schnell ausschließen“ können – in drei Fällen unbewohnter Immobilien sei…
die Akten aber detailliert geprüft worden.
„Die Vorwürfe treffen nicht zu“, sagt Tittmann. Lediglich Mängel in der
Aktenführung und im Genehmigungsverfahren seien festgestellt worden. Die
müssten nun innerhalb einer Frist nachgebessert werden. „Eine Gefahr für
Leib und Leben konnte nicht festgestellt werden“, sagt Tittmann. Weil die
Vorwürfe, es sei auf Bauanträge verzichtet worden, sich in den geprüften
Fällen nicht bestätigt hätten, sei in den anderen Fällen auf eine
weitergehende Untersuchung verzichtet worden, sagt der Behördensprecher.
In der Anzeige liest sich das noch weniger beruhigend, und die
dazugehörigen Fotos, soweit sie der taz vorliegen, erwecken auch kein
Vertrauen. In der Lutherstrasse 36 beispielsweise kann man da durch die
Decke gucken. Die tragenden Balken sind neu. Darauf liegen ein paar
OSB-Platten, ganze Geschossdeckenfelder fehlen. Aus der Wand wurden
Mauersteine herausgerissen, die neuen Balken liegen auf lose gestapelten,
nicht vermauerten Backsteinen und Holzkeilen. „Eingriffe in statisch
relevante Bauteile sind genehmigungspflichtig“, heißt es dazu in der
Strafanzeige.
Weiter steht dort über [3][diese Baustelle]: Es gebe „keine
Absturzsicherungen“, „keine Baustellensicherung“, „keine freien
Rettungswege“ und die noch vorhandenen Geschossdecken seien
„augenscheinlich marode“. Zudem stehe der Keller 30 Zentimeter unter Wasser
und die Fassade weise „mehrere Risse und lose Putzteile“ auf. „Er sei eine
zu wichtige Persönlichkeit der Stadt, als dass man von ihm eine
Baugenehmigung verlangen könne“, soll der Investor diese Hauses dem Mann
von der Baubehörde gesagt haben, und: „Wenn auf mich geschossen wird,
schmeiße ich mit Bomben zurück.“
## Baustopp nach wenigen Tagen wieder aufgehoben
Der Behördenmitarbeiter verhängte daraufhin einen Baustopp. Doch der musste
offenbar schon nach wenigen Tagen wieder aufgehoben werden: „Es sind uns
derzeit keine Umbaumaßnahmen bekannt, die einer Baugenehmigung bedürfen“,
schreibt der Amtsleiter in einer Mail an ein Bremerhavener Ingenieurbüro,
die auch der taz vorliegt. Im Übrigen werde man dem Büro wegen der
„statisch-konstruktiven Prüfung“ der Deckenbalken einen „‚isolierten‘
Prüfauftrag“ geben.
Insgesamt werden in der Strafanzeige rund ein Dutzend Immobilien genannt,
bei denen es kein Genehmigungsverfahren gegeben haben soll, darunter ein
Haus in der Moltkestraße 30, das „innen vollständig marode und teils
bereits eingebrochen“ gewesen sein soll, laut des Bauaufsehers aber ohne
Genehmigung saniert wurde.
„Bei vielen mir bekannten Objekten wurden Arbeiten derart dilettantisch
ausgeführt, dass ich befürchte, dass es über kurz oder lang zu
Unglücksfällen kommen wird“, schreibt der Sachbearbeiter. Es sei „laienha…
gepfuscht“ worden, so dass die Tragfähigkeit der Geschossdecken nicht mehr
gegeben sein könne. Deckenbalken seien mit „einfachsten Blechwinkeln aus
dem Baumarkt“ befestigt, Balkenköpfe mit unterdimensionierten Brettern und
Gewindestangen oder ungeeigneten Holzschrauben verschraubt, Baumängel zudem
regelmäßig mit Gipskarton „unsichtbar“ gemacht worden.
„Aus meiner Sicht sind diese Gebäude ‚tickenden Zeitbomben‘, in denen Le…
und Leben der Bewohner durch drohende Einsturzgefahr erheblich gefährdet
sind“, heißt es am Ende der Strafanzeige. Im Bremer Bauressort sieht man
indes keine Gefahr und wird den Fall bald zu den Akten legen:
„Perspektivisch werden wir das Verfahren schließen“, sagt Behördensprecher
Tittmann.
30 Nov 2022
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## AUTOREN
Jan Zier
## TAGS
Bremerhaven
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