# taz.de -- Coronaskeptiker in Berlin: Die eingebildete Diktatur | |
> „Querdenker“ und Rechte wollen am Mittwoch verhindern, dass das | |
> Infektionsschutzgesetz novelliert wird. Ist was dran an ihren | |
> Befürchtungen? Eher nicht. | |
Bild: Geht's auch 'ne Nummer kleiner? Verirrter Napoleon im Kampf gegen die ver… | |
KARLSRUHE taz | Am Mittwoch wollen die sogenannten Coronaskeptiker in | |
Berlin [1][vor dem Bundestag demonstrieren]. Anlass ist die [2][Änderung | |
des Infektionsschutzgesetzes], die dort beschlossen werden soll. Gegen | |
dieses Gesetz wird mit dramatischen Warnungen mobilisiert. Aber ist da was | |
dran? Eine Einordnung: | |
## Deutschland wird keine Hygiene-Diktatur. | |
Die Behauptung, Deutschland würde eine Hygiene-Diktatur werden, ist völlig | |
aus der Luft gegriffen. Demokratie und Rechtsstaat bleiben auch nach dem | |
18. November voll erhalten. Gewählte Parlamente und Regierungen sind weiter | |
im Amt, Gerichte behalten ihre Kontrollfunktion. | |
Im Infektionsschutzgesetz wird nur eine präzisere Rechtsgrundlage für die | |
bereits geltenden Coronabeschränkungen eingeführt. Viele Maßnahmen wurden | |
bisher auf die Generalklausel des Gesetzes gestützt, die „notwendige | |
Schutzmaßnahmen“ erlaubt. Jetzt zählt ein neuer Paragraf 28a die gängigen | |
Maßnahmen ausdrücklich auf: von der Maskenpflicht bis zur | |
Restaurantschließung. | |
Der Staat erhält dadurch also keine neuen Befugnisse. Die Neuregelung | |
reduziert nur die Wahrscheinlichkeit, dass Gerichte die | |
Coronaeinschränkungen aufheben. | |
Das Gesetz ist kein „Ermächtigungsgesetz“ wie 1933. | |
Der Vergleich mit dem Ermächtigungsgesetz ist abwegig. 1933 setzte der | |
Reichstag die Verfassung außer Kraft und hob die Gewaltenteilung auf. Die | |
Reichsregierung unter Adolf Hitler konnte nun alle Gesetze selbst | |
beschließen. Zum Zeitpunkt der Abstimmung im Reichstag war ein Teil der | |
Abgeordneten bereits im Gefängnis, die anderen wurden durch bewaffnete SA- | |
und SS-Männer bedroht. | |
Bei der Abstimmung am Mittwoch werden die Abgeordneten höchstens von den | |
Gegnern des Gesetzes bedroht. Das Infektionsschutzgesetz muss sich auch | |
nach der Neuregelung am Grundgesetz messen lassen. | |
Das Gesetz setzt nicht die Grundrechte außer Kraft. | |
Nein, die Grundrechte gelten weiter. Kein Grundrecht wird abgeschafft oder | |
außer Kraft gesetzt. Das Gesetz erlaubt aber – wie bisher auch – Eingriffe | |
in Grundrechte. Solche Eingriffe müssen im Rechtsstaat per Gesetz geregelt | |
sein. Das Änderungsgesetz, das heute beschlossen wird, enthält deutlich | |
präzisere Eingriffsermächtigungen. | |
Praktisch wichtiger ist aber das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Es gilt | |
immer, wenn der Staat handelt, und wird von den Verwaltungsgerichten | |
kontrolliert. Schon mehrfach wurden einzelne Coronamaßnahmen als | |
unverhältnismäßig beanstandet, zum Beispiel die Beherbergungsverbote für | |
Reisende aus deutschen Risikogebieten. | |
Auch künftig können die Gerichte die Verhältnismäßigkeit kontrollieren. | |
Wenn aber die Infektionszahlen steigen und es ein schlüssiges staatliches | |
Gesamtkonzept dagegen gibt, sind auch schwerere Eingriffe in die Freiheit | |
der Bürger noch angemessen. | |
Eingriffe in die Versammlungs- und Religionsfreiheit werden im neuen Gesetz | |
sogar erschwert. Beschränkungen von Demos und Gottesdiensten sind nur noch | |
zulässig, wenn die Eindämmung der Coronapandemie sonst „erheblich | |
gefährdet“ wäre. | |
Das Gesetz legalisiert rechtswidrige Maßnahmen nicht. | |
Bisher haben keine Gerichte entschieden, dass die Coronamaßnahmen wegen der | |
vagen Rechtsgrundlage rechtswidrig seien. In den ersten Wochen der Krise ab | |
März war die Justiz großzügig, weil man noch wenig über das Virus und | |
sinnvolle Gegenmaßnahmen wusste. In letzter Zeit mahnten aber mehrfach | |
Gerichte, dass inzwischen eine präzisere Rechtsgrundlage angebracht sein | |
könnte. Der Gesetzgeber will negative Gerichtsurteile vermeiden und schafft | |
mit Paragraf 28a deshalb nun eine präzisere Rechtsgrundlage. | |
Sachverständige sehen das Gesetz jetzt positiver als bei der Anhörung | |
Bei einer Anhörung des Bundestags vorige Woche sprachen sich | |
gesundheitspolitische Sachverständige eher für das Gesetz aus, während | |
JuristInnen teilweise harte Kritik äußerten. Deshalb wurde der | |
Gesetzentwurf in den letzten Tagen noch einmal nachgebessert. | |
Coronaverordnungen müssen nun begründet und befristet werden. Nach vier | |
Wochen sollen sie grundsätzlich auslaufen oder sie müssen neu beschlossen | |
werden. Die juristische Sachverständige Andrea Kießling (Uni Bochum) | |
twitterte am Dienstag: „Ich begrüße es sehr, dass die Regierung viele der | |
Forderungen der Sachverständigen aufgenommen hat.“ | |
Der Bundestag entmachtet sich nicht selbst. | |
Der Bundestag hatte beim Infektionsschutz noch nie viel zu sagen. [3][Er | |
beschließt das Infektionschutzgesetz] und seine Änderungen. Und seit März | |
obliegt ihm auch die Entscheidung darüber, ob eine „epidemische Lage von | |
nationaler Tragweite“ besteht. | |
Die allermeisten Eingriffe in Rechte der Bürger beschließen aber weder | |
Bundestag noch Bundesregierung, sondern die Landesregierungen per | |
Verordnung. Daran ändert sich nichts. Als Kontrolle und Gewaltenteilung ist | |
die Zuständigkeit von 16 Bundesländern sogar deutlich wirksamer als eine | |
stärkere Beteiligung des Bundestags, in dem letztlich ja die | |
Regierungsmehrheit das Sagen hat. | |
Da in der Demokratie aber alle wesentlichen Entscheidungen von Parlamenten | |
getroffen werden müssen, sollten die Landtage gegenüber den | |
Landesregierungen gestärkt werden. Der Stuttgarter Landtag hat zum Beispiel | |
im Juli ein Coronabegleitgesetz beschlossen, wonach Coronaverordnungen in | |
Baden-Württemberg spätestens nach zwei Monaten die Zustimmung des | |
Landesparlaments brauchen. | |
Es gibt keine Impfpflicht. | |
Mit der jetzt anstehenden Änderung des Infektionsschutzgesetzes wird keine | |
Impfpflicht eingeführt. Die Coronaimpfungen, die Mitte Dezember beginnen | |
sollen, werden völlig freiwillig sein. In den kommenden Monaten muss die | |
Politik angesichts begrenzter Impfkapazitäten eher entscheiden, welche | |
Gruppen als erste ein Recht auf Impfung haben und welche länger warten | |
müssen. | |
Bisher geht die Politik davon aus, dass ein Impfgrad von 60 Prozent der | |
Bevölkerung genügt, um die Pandemie zu stoppen. Dieser Anteil dürfte auch | |
ohne Impfgegner gut machbar sein – soweit der Impfstoff wirksam und | |
weitgehend nebenwirkungsfrei ist. | |
18 Nov 2020 | |
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[2] /Infektionsschutzgesetz-im-Bundestag/!5725342 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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