# taz.de -- Coronabekämpfung in China: Nach dem Lockdown wieder Lockdown | |
> Nach hartem Lockdown in Shanghai und Peking schien es, als kehre wieder | |
> Normalität in China ein. Nun werden die Coronamaßnahmen erneut | |
> verschärft. | |
Bild: Es geht wieder los: Bewohnende eines abgesperrten Hauses werden am 9. Jun… | |
SHANGHAI taz | Die Hoffnung auf eine rasche Einkehr von Normalität hat nur | |
wenige Tage angehalten: Sowohl in Shanghai als auch Peking verschärfen die | |
Behörden die Corona-Maßnahmen erneut. | |
Die neue Normalität war in Shanghai nur eine fragile Illusion: Seit Ende | |
der Woche berichten unzählige Bewohner davon, dass sie mitten in der Nacht | |
von MitarbeiterInnen in Seuchenschutzanzügen aus ihren Betten gescheucht | |
wurden, um sich für spontan einberufene Massentests anzustellen. | |
„Die Freiheit war [1][nur kurz“], sagt ein Amerikaner in Shanghai, der nach | |
dem nächtlichen Überfall der Gesundheitsbehörden die Hiobsbotschaft | |
erhielt: Nach über zwei Monaten Lockdown wird er nun wieder für mindestens | |
vier Tage in seine Wohnung gesperrt. | |
Die erneuten Einschränkungen schmerzen umso mehr, da die Hoffnung auf einen | |
normalen Alltag erst vor kurzem genährt wurde: Der Feierabendverkehr füllte | |
sich wieder, Läden öffneten ihre Pforten. Es schien, als ob Shanghai nach | |
einem zweimonatigen Lockdown allmählich wieder zur Normalität findet. | |
Elf Infektionen sind der Auslöser | |
Doch nur eine Woche nach der vermeintlichen Öffnung hat die chinesische | |
Metropole nun wiederholt flächendeckende Ausgangssperren angekündigt: Übers | |
Wochenende sollen acht Bezirke durchgetestet werden und deren 15 Millionen | |
Bewohner nicht mehr vor die Haustür treten. Ausgelöst wurde die | |
Entscheidung laut offiziellen Zahlen lediglich durch elf Infektionen am | |
Donnerstag. | |
In der bevölkerungsreichsten Stadt des Landes lösten die Maßnahmen der | |
Autoritäten flächendeckende Panikkäufe aus. In mehreren Stadtteilen wurden | |
die Gemüseregale vollständig leergekauft. | |
Es ist, als befindet sich Shanghai wieder am selben Punkt wie Ende März: in | |
[2][vollständiger Ungewisshe]it, ob man morgen bereits eingesperrt ist oder | |
nicht. | |
Und auch in Peking haben die Behörden die Einschränkungen wieder angezogen: | |
In Chaoyang, immerhin der bevölkerungsreichste Bezirk der Hauptstadt, | |
müssen sämtliche Bars und KTV-Salons nur drei Tage nach ihrer Öffnung | |
wieder schließen. Dort hat eine Person nach einem Bar-Besuch laut Angaben | |
der Behörden insgesamt 29 Menschen infiziert, die insgesamt in zwölf | |
verschiedenen Bezirken leben. | |
Regierung hält an Strategie fest | |
Seither wurden mutmaßlich hunderttausende Bewohner in ihre Wohnanlagen | |
gesperrt, da sie als „enge Kontaktpersonen“ gelten. „Es wird daran | |
erinnert, dass es immer noch versteckte Infektionsquellen in der | |
Gesellschaft gibt, die nicht auf die leichte Schulter genommen werden | |
sollten“, heißt es in einer nüchternen Meldung der Staatsmedien. | |
Dass „Null Covid“ keine nachhaltige Perspektive bereithält, scheint immer | |
offensichtlicher. In Dandong, der nordostchinesischen Grenzstadt, haben die | |
Behörden nun gewarnt, dass angeblich mit dem Wind aus Nordkorea Erreger des | |
Virus nach China kommen könnten. | |
Dennoch deutet alles daraufhin, dass [3][Pekings Parteiführung] an seiner | |
Nulltoleranzstrategie festhalten wird – und zwar weit über 2023 hinaus: In | |
jeder größeren Stadt gehören PCR-Massentests derzeit zum Alltag, allein in | |
Shanghai wurden über 15.000 Teststationen installiert. | |
Die japanische Investmentbank Nomura hat ausgerechnet, dass die | |
Infrastruktur zum Testen landesweit bis zu 1,7 Prozent des gesamten | |
Bruttoinlandsprodukt ausmachen könnte. | |
100 Millionen Menschen ungeimpft | |
Chinas führende Virologen erklären sich seit längerem bereits nicht mehr | |
gegenüber ausländischen Journalisten – zumindest, wenn das Aufnahmegerät | |
läuft. Doch selbst in Hintergrundgesprächen in Peking wird mit einem | |
geradezu überheblichen Selbstbewusstsein die eigene „Null Covid“-Strategie | |
vertreten, als würde es sich dabei um den einzig korrekten Weg handeln. | |
Oft schwingt bei den Aussagen chinesischer Experten auch der Vorwurf mit, | |
dass die restliche Welt viel zu wenig tut, Covid einzudämmen – während die | |
Volksrepublik China als einziger Staat den „Krieg gegen das Virus“ weiter | |
aufnimmt. | |
Doch die offensichtlichen Schwächen der chinesischen Strategie liegen auf | |
der Hand. Noch immer sind rund 100 Millionen Einwohner im Land gar nicht | |
oder unzureichend geimpft, das absolute Gros davon sind Senioren über 70 | |
Jahre. | |
Paradoxerweise hat ausgerechnet die strikte staatliche Zensur, die | |
keinerlei Debatten über Gesundheitsrisiken zulässt, ein Informations-Vakuum | |
kreiert, das allerlei Platz für wissenschaftlich unbegründete Theorien | |
zuließ. Auf den sozialen Medien in China kursieren unzählige Gerüchte, dass | |
die heimischen Vakzine Diabetes oder Leukämie auslösen könnten. | |
Insbesondere die Alten, die sich nicht über ihren Arbeitgeber oder | |
Parteiorganisationen zum Impfen überreden lassen können, hegen die größte | |
Skepsis. | |
Hongkong fährt einen anderen Kurs | |
Nun haben dutzende chinesische Städte reagiert und versuchen diese mit | |
freien Versicherungen zu ködern. Diese zahlen den Betroffenen umgerechnet | |
bis zu 70.000 Euro aus, sollten sie aufgrund einer Impfdosis | |
gesundheitliche Probleme bekommen. | |
Doch an eine baldige Hoffnung glaubt derzeit niemand mehr in China. Selbst | |
die scheidende Verwaltungschefin Hongkongs hat erstmals zugegeben, dass es | |
wohl keine baldige Grenzöffnung zum chinesischen Festland gegen wird. Dies | |
sei „nicht möglich“, sagte Carrie Lam bei ihrer letzten Pressekonferenz. | |
Denn im Gegensatz zu Shanghai hat Hongkong vor einem radikalen Lockdown | |
zurückgeschreckt – und sich unlängst von der „Null Covid“-Doktrin | |
verabschiedet. | |
11 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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