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# taz.de -- Corona-Demo in Leipzig: Ihr habt 1989 nicht gepachtet
> Corona-SkeptikerInnen in Leipzig bauen auf die Symbolik der friedlichen
> Revolution – und stufen damit den Geist von 1989 auf Ramschwert herab.
Bild: Es ist nicht alles friedliche Revolution, was sich so nennt: Demo gegen C…
Ein bisschen und mit gebührendem Abstand sah das aus wie Neunundachtzig,
ja. Wie am Wochenende Zehntausende in [1][Leipzig über den Ring gezogen
sind], wie sie vor dem Gewandhaus gestanden haben. Die Stadt war dieselbe.
Doch das Ziel der DemonstrantInnen ein gänzlich anderes.
Es mag ja sein, dass sie es für eine gute Idee hielten, ihre ganz
persönliche Idee von Freiheit über die aller anderen stellen zu wollen. Ist
ja mittlerweile ein freies Land, kann jeder meinen, was er oder sie mag.
Ich meine was völlig anderes – und das sollte auch so weit okay sein.
Das Problem heute besteht darin, dass den DemonstrantInnen ihre eigene
Meinung derart gewichtig vorkommt, dass sie sie sogar [2][gemeinsam mit
Hardcore-Nazis] zum Ausdruck bringen. Und dass sie anschließend
schnurstracks von diesem Superspreader-Event nach Hause fahren, um dort
Covid-19 zu verbreiten und damit den Tod ihrer Mitmenschen billigend in
Kauf nehmen. Und als wäre das nicht bestürzend genug, stufen sie auch noch
die Idee des Wendeherbstes 1989 auf Ramschwert herab. Danke für nichts
also.
Vor 31 Jahren gingen in der DDR Menschen auf die Straße für die Freiheit,
überhaupt demonstrieren zu dürfen. Lesen zu können, was sie wollten, lieben
zu dürfen, wen sie wollten, angstfrei leben zu können. Es war die
Willensbekundung einer kleinen Minderheit, die mutig für die sich
fürchtende Mehrheit hohe persönliche Risiken in Kauf nahm. Das ist der
Unterschied zu heute: Der Rechtsstaat, den diese Leute herabwürdigen,
kümmert sich umfassend um ihre Meinungs- und Demonstrationsfreiheit. Zu
DDR-Zeiten ging es um Persönlichstes: um Haft, um Überwachung, um die
Zukunft der eigenen Kinder. Die Querdenker-Hanseln auf dem Leipziger Ring,
die die Corona-Einschränkungen mit Neunundachtzig vergleichen, wirken
dagegen wie quengelige Wohlstandskids, denen der Cabrio gestrichen wurde,
weil sie durch die Führerscheinprüfung gefallen sind.
## 16 Millionen Superhelden
Vielleicht war es keine gute Idee, uns Ostdeutschen in den zurückliegenden
31 Jahren dauernd zu erzählen, wir seien qua Herkunft RevolutionärInnen. 16
Millionen Superhelden, von denen damals an den entscheidenden und
brenzligen Tagen 15,9 Millionen Ostdeutsche leider keine Zeit hatten
mitzumachen. Denn so war das nämlich: Die weitaus überwiegende Mehrheit der
DDR-Bürgerlein stand hinter der Gardine und hat abgewartet, wie sich die
Sache entwickeln würde. Eine von ihnen war nebenbei gesagt ich.
Dass drei Jahrzehnte später so getan wird, als setzten die
CoronaleugnerInnen das hehre Werk der wenigen mutigen Ostdeutschen fort,
ist also nicht nur Quatsch. Es wäre auch ein Anlass, gegen diese Leute auf
die Straße zu gehen. Aber soweit ich das beobachtet habe, würde Sachsens
Polizei dann eher mich von der Straße schubsen als jene, die
fälschlicherweise meinen, Neunundachtzig gepachtet zu haben. Sie sollten
sich schämen. Meine Meinung.
9 Nov 2020
## LINKS
[1] /Querdenken-Demo-in-Leipzig/!5726826/
[2] /Coronaskeptiker-in-Leipzig/!5726813
## AUTOREN
Anja Maier
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