# taz.de -- Corona-Dämmerung für Neoliberalismus: Ende einer Theorie | |
> Die Pandemie zeigt: Den Neoliberalismus kann man getrost beerdigen. Nur | |
> der Staat kann den Kapitalismus retten. | |
Bild: Die Talfahrt des DAX als Lehrstück: Frankfurter Börse am 16. März | |
Die Coronakrise hat auch ihre Vorteile. Sie dürfte die [1][neoliberale | |
Ideologie] beerdigen, die die westliche Welt seit 1980 dominiert hat. Zwei | |
Spitzenpolitiker brachten einst plastisch auf den Punkt, wie platt | |
Marktradikale denken. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher | |
ließ wissen: „Es gibt keine Gesellschaft.“ In ihrem Weltbild existierten | |
nur Individuen, die ausschließlich für sich selbst sorgen sollten. | |
Auch US-Präsident Ronald Reagan hinterließ einen Spruch, der das | |
neoliberale Denken treffend zusammenfasst: „Die Regierung ist nicht die | |
Lösung unseres Problems, die Regierung ist das Problem.“ Der Staat sollte | |
schrumpfen, auf dass der freie Markt übernimmt. Also wurden die | |
Rentenkassen privatisiert, die Finanzmärkte dereguliert, Staatsvermögen | |
verkauft und die Steuern für die Reichen gesenkt. Auch in Deutschland | |
wurden diese Konzepte kopiert. | |
Die Coronakrise zeigt nun, dass der „freie Markt“ eine Fiktion ist. Märkte | |
können nur existieren, wenn der Staat sie stützt. Die Talfahrt des | |
Aktienindex DAX ist ein Lehrstück: In knapp einem Monat fielen die | |
deutschen Börsenkurse um fast 40 Prozent – noch nie war ein Absturz so | |
dramatisch. Der Wertverlust wäre sogar noch drastischer ausgefallen, wenn | |
der Staat nicht eingegriffen hätte | |
Der DAX hat sich nur deshalb auf niedrigem Niveau stabilisiert, weil die | |
[2][Europäische Zentralbank (EZB)] Banken und Wirtschaft mit Milliarden | |
Euro flutet und die deutsche Regierung flankierende Maßnahmen ergreift. Sie | |
hat das Kurzarbeitergeld aufgestockt, wird die [3][Solo-Selbstständigen | |
unterstützen] und sich an schlingernden Großkonzernen wie der Lufthansa | |
beteiligen. | |
Die „Märkte“ versagen, weil sie nur funktionieren könnten, wenn sich die | |
Zukunft verlässlich berechnen ließe. Aktienkurse preisen die Gewinne von | |
morgen ein. Doch wie spätestens in Krisenzeiten auffällt, ist die Zukunft | |
prinzipiell nicht planbar. Daher gibt es keine Alternative zur Solidarität. | |
Also zum Staat. | |
Nur ein Beispiel: Private Altersvorsorge ist reiner Mumpitz. Riester- und | |
Rürup-Renten wurden einst eingeführt, auf dass der Einzelne „individuell“ | |
für sein Alter spare. Ganz staatsfern sollten diese Programme sein, was | |
schon deshalb lachhaft war, weil der Staat Milliarden an Subventionen | |
zahlte, damit die Renditen der Riester-Verträge überhaupt attraktiv | |
aussahen. Wie die Coronakrise jetzt zeigt, hätten diese Aktiensparpläne | |
sogar gänzlich an Wert verloren, wenn der Staat nicht „unbegrenzte“ | |
Geldmengen in die Wirtschaft pumpen würde. Aktien haben ja keinen Wert „an | |
sich“ – die Kurse sind nur leidlich stabil, wenn der Staat als Garant | |
dahintersteht. | |
Die Erzählung vom unabhängigen Individuum hatte für viele ihren Reiz. Sie | |
klang wie das Paradies: jeder Erdenbürger eine eigene Insel, auf der | |
lästige Nachbarn nichts zu suchen haben. Doch die Wahrheit ist, dass man | |
seinen Mitbürgern nicht entkommen kann. Den reinen „Markt“, von dem die | |
Neoliberalen fabulieren, gibt es nicht. Der Kapitalismus funktioniert nur, | |
wenn er von einem starken Staat unterstützt, gebändigt und gerettet wird. | |
Diese Lehre hätte man schon nach der Finanzkrise 2008 ziehen können, doch | |
damals ist es den Neoliberalen noch einmal gelungen, ihre platte Theorie zu | |
retten. In einer atemberaubenden Volte wurde einfach so getan, als hätten | |
sich die Staaten hemmungslos verschuldet – obwohl in Wahrheit die Banken | |
faule Kredite vergeben hatten. Erst als die Institute gerettet werden | |
mussten, landeten diese Schulden dann beim Staat. Doch diese Ursachenkette | |
ging bald verloren, es zählte nur das Ergebnis: Die Verschuldung der | |
Staaten stieg, also musste es sich um eine „Staatsschuldenkrise“ handeln. | |
Die neoliberale Mär zog, weil die Finanzkrise kompliziert war. Das ist bei | |
Corona anders. Für alle ist offensichtlich, dass der „Markt“ nicht die | |
ökonomischen Folgen eines Virus abwehren kann. Deswegen ruft ja jeder nach | |
dem Staat. | |
21 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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