# taz.de -- Co-Chefin des Club of Rome über Europa: „Ich nenne das neokoloni… | |
> Mamphela Ramphele ist die Vorsitzende des Club of Rome. Sie kritisiert, | |
> dass der Green Deal der Europäer koloniale Strukturen nicht aufbricht. | |
Bild: Robert Habeck traf im Dezember Tom Alweendo, den Bergbauminister von Nami… | |
wochentaz: Frau Ramphele, der Club of Rome beschäftigt sich seit Langem mit | |
den ökologischen und sozialen Folgen des wirtschaftlichen Wachstums. Vom | |
[1][Green Deal] behaupten die Europäer nun, er sei grün und fair. Stimmt | |
das? | |
Mamphela Ramphele: Der Green Deal ist weder grün noch fair. Alle reden von | |
einem fairen Übergang, weg von fossilen Brennstoffen. Fair bedeutet, dass | |
beide Seiten davon profitieren. Aber das geht nur, wenn Verhandlungen auf | |
Augenhöhe geführt werden, nicht vom Herren zum Knecht. | |
Sie bezeichnen den Green Deal als Kolonialismus? | |
Europa hat den Green Deal beschlossen, aber dann Ende 2021 die Tür geöffnet | |
zu dem, was ich neuen Kolonialismus nenne: Wenn man sagt, dass Gas und | |
Atomkraft grün sind, öffnet das die Tür für Holländer und Franzosen, die | |
vor der Küste des südlichen Afrikas nach Öl und Gas suchen. Das zeigt, dass | |
es der EU mit ihrem Green Deal nicht ernst ist. | |
Diese Kritik kommt auch aus Europa. Wo sehen Sie Kolonialismus? | |
Ich nenne es neokolonial. Als der Krieg in der Ukraine begann, kamen die | |
Europäer nach Afrika und verlangten mehr Gas und Kohle, wie der deutsche | |
Energieminister in Südafrika. Die EU schnürte aber auf dem Klimagipfel in | |
Glasgow 2021 ein Paket, genannt [2][JETP], um Südafrika bei der | |
Dekarbonisierung zu helfen. Jetzt aber holt sich Deutschland in Namibia | |
Wasserstoff und bittet Südafrika, es mit Kohle zu versorgen. Es ist das | |
Muster der Vergangenheit, das Muster des Kolonialismus. | |
Die deutsche Regierung sagt, sie werde die Infrastruktur des Landes | |
aufbauen und nur den grünen Wasserstoff exportieren, der übrig bleibt. | |
Ich bin sicher, dass für die namibische Bevölkerung kein Wasserstoff | |
bleiben wird, abgesehen von Alibiprojekten mit den politischen Eliten. Wir | |
kämpfen in Südafrika als Zivilgesellschaft gegen die Korruption und gegen | |
die Langsamkeit der Dekarbonisierung. Und dann kommen die Europäer und | |
verlangen nach Kohle und untergraben damit den gerechten Übergang, für den | |
sie sich angeblich einsetzen. Also: mit der einen Hand geben sie dir fünf | |
Cent, mit der anderen rauben sie dir dein ganzes Feld mit Mineralien und | |
Wasser. Im Kolonialismus benutzten sie Waffen, heute benutzen sie den Euro. | |
Die Statistiken zeigen: [3][Reiche Länder importieren immer noch ihre | |
Rohstoffe aus armen Ländern] und verkaufen dann die Produkte an dieselben | |
Länder zurück. Die Ausbeutung geht weiter. | |
Wirtschaftsminister Habeck sagt, er wolle Handelsabkommen als Hebel für die | |
grüne Transformation der Weltwirtschaft nutzen. Glauben Sie, das geht? | |
Die Beziehungen zwischen Europa und Afrika beruhen auf sehr schlechtem | |
Erbe. Aber jetzt wollen wir eine gleichberechtigte Beziehung und den Weg | |
nach vorne. Damit diese nachhaltig sind, brauchen wir wiederherstellende | |
Gerechtigkeit. | |
Was bedeutet das? | |
Dass die Industrieländer kurzfristig Opfer bringen müssen, damit wir alle | |
langfristig gut leben und überleben können. Zum Beispiel müssen die | |
Subventionen für die europäische Landwirtschaft aufhören. Sie verhindern, | |
dass die Landwirtschaft im Globalen Süden, die ökologisch und fair ist, mit | |
Europa konkurrieren kann. Subventionen schaden der Umwelt. | |
Sie meinen „wiederherstellende Gerechtigkeit“ als Entschädigung für den | |
Kolonialismus? | |
Wenn man eine zerrüttete Beziehung heilen will, muss man erkennen, wer der | |
Privilegierte ist. Für mich als Angehörige der oberen Mittelschicht in | |
Südafrika bedeutet das, dass ich mehr Steuern zahlen sollte. Für Europa | |
sollte es bedeuten, die Schäden zu beseitigen, die etwa Bergbauunternehmen | |
in Südafrika angerichtet haben: Die Gewinne gingen nach Europa, der Schaden | |
blieb bei uns. Auch bei den CO2-Emissionen müssen reiche Länder, die sie | |
verursachten, armen Ländern helfen. Dafür wurden 100 Milliarden Dollar pro | |
Jahr versprochen, aber bisher nicht vollständig umgesetzt. Ein Teil der | |
Schäden geht auf den Kolonialismus zurück: Die Inseln der Karibik waren | |
bewaldet, bevor die Kolonisatoren sie abholzten, um Zuckerrohr anzubauen. | |
Hierfür muss es Entschädigungen geben. | |
Es gibt andere Stimmen, die sagen, nicht alles sei Kolonialismus, sondern | |
so sei die Weltwirtschaft. | |
Ja, aber wer hat die Weltwirtschaft so gemacht, wie sie ist? Die Sieger, | |
die Kolonialmächte von gestern. Selbst der [4][Weltklimarat] (IPCC) hat | |
jetzt festgestellt, dass ein Großteil der Schäden an den Ökosystemen auf | |
den Kolonialismus zurückzuführen ist. | |
Liegt die Verantwortung nur im Globalen Norden? In vielen Ländern des | |
Globalen Südens verschlimmert Korruption die Krisen. | |
Schlechte Regierungsführung ist zum großen Teil das Erbe des Kolonialismus. | |
Die Demütigung über Generationen hinweg ist für die kolonisierten Völker | |
auf der ganzen Welt äußerst schädlich. Das Erbe der kolonialen Eroberung | |
hinderte die meisten Nachfolgestaaten daran, sich weiterzuentwickeln. Viele | |
Länder haben nach der Kolonialzeit koloniale Regierungsmuster übernommen, | |
die Armut, Ungleichheit und Korruption fortbestehen lassen. | |
Wie wollen Sie dieser Falle entkommen? | |
Zunächst muss man anerkennen: Das Ende des offiziellen Kolonialismus | |
beendet nicht die geistige Sklaverei, die durch koloniale Beziehungen | |
verursacht wird. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, den Menschen zu | |
helfen, sich aus der geistigen Sklaverei zu befreien und in die Lage | |
versetzen, eine andere Zukunft zu gestalten. | |
Wie sehr hat Sie dabei Ihr Kampf gegen die Apartheid in Ihrem Land geprägt? | |
Ich spreche als jemand, die in den 1960er Jahren in Südafrika gegen die | |
Apartheid gekämpft hat. Wir haben uns selbst befreit: Wir haben verstanden, | |
dass die schwarze Bevölkerungsmehrheit nur deshalb von der weißen | |
Minderheit unterdrückt werden konnte, weil sie die weiße Vorherrschaft | |
akzeptiert hat. Die weißen Rassisten hatten die Waffen, aber sie brauchten | |
auch die Duldung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit. Das Black | |
Consciousness Movement, das wir als Studenten ins Leben riefen, | |
mobilisierte Menschen im ganzen Land, sich aus der mentalen Sklaverei zu | |
befreien. | |
Was heißt das für die globale Politik der Nachhaltigkeit? | |
Die postkolonialen Bürger und Bürgerinnen auf der ganzen Welt müssen sich | |
von den korrupten Regierungen befreien, die weiterhin die nationalen | |
Ressourcen zum Nutzen kleiner Teile der Eliten ausplündern, wie es die | |
früheren Kolonialherren taten. Europa und Afrika haben die Möglichkeit, mit | |
Herzenswärme zusammenzuarbeiten. | |
Was Sie sagen, ist ungewöhnlich für den Club of Rome. Der ist nicht für | |
Herzenswärme berühmt, sondern für Statistiken und Daten. | |
Ich spreche von beidem: Daten und Herzenswärme. Aber ja, Aurelio Peccei, | |
der Gründer, erkannte am Ende seines Lebens, dass die ausschließliche | |
Fokussierung auf die Wirtschaft und die Vernachlässigung des Einflusses, | |
den die menschliche Kultur hat, Teil des Problems war, das den | |
transformativen Systemwandel untergrub. Der berühmte Bericht „Die Grenzen | |
des Wachstums“ wurde millionenfach verkauft, aber es hat sich nicht viel | |
geändert. Wissen führt nicht unbedingt zum Handeln. Man muss es wissen, | |
aber es muss einen auch berühren, um zum Handeln anzuspornen. Das ist, was | |
Herzenswärme ausmacht. Einen nachhaltigen Wandel erreichen wir nur, wenn | |
wir die Herzen der Menschen berühren. Und ja, diese Sprache ist im Club of | |
Rome nicht üblich. | |
Auch beim Artensterben und Klimawandel führt Wissen nicht zu angemessenem | |
Handeln. Das System, das Sie ändern wollen, ist fest verankert. | |
Unterschätzen Sie nie die Wirkung einiger weniger engagierter Menschen, die | |
einen Wandel herbeiführen können. Das habe ich beim Kampf gegen die | |
Apartheid gelernt. Ich erwarte nicht, dass alle ihre Ansichten ändern, wir | |
brauchen nur eine kritische Masse von Leuten, die es tun. | |
Bislang hat der Club of Rome hauptsächlich vor den Grenzen des Wachstums | |
gewarnt. Gilt das noch? | |
Als ich bei der Weltbank gearbeitet habe, haben alle gesagt: „Wachstum, | |
Wachstum!“ Aber welches Wachstum? Die Annahme, dass Wachstum das Maß für | |
Fortschritt und Wohlstand ist, hat sich als falsch erwiesen. Wir müssen | |
einen Weg zu Wohlstand für alle auf einem gesunden Planeten definieren. Für | |
den Menschen macht es Sinn, wenn er aktiv an der Gestaltung seiner Zukunft | |
mitwirkt. Die Menschen wollen nicht von Almosen leben. | |
In Europa hoffen viele, dass grünes Wachstum sie rettet. | |
Als Ärztin weiß ich: Wachstum ist ein Krebsgeschwür. Ich wünsche mir, dass | |
die internationale Gemeinschaft ihre Liebesaffäre mit dem Wachstum beendet. | |
Was wir brauchen, ist ein Fortschritt, der uns, unsere Ökosysteme und unser | |
kulturelles Leben bereichert. | |
3 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /European-Green-Deal/!5909433 | |
[2] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_21_5768 | |
[3] /Wasserstoff-in-Afrika/!5896714 | |
[4] https://www.de-ipcc.de/119.php | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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