# taz.de -- Carola Rackete über Antarktisvertrag: „Kolonialistische Herangeh… | |
> Kapitänin und Klimaaktivistin Carola Rackete kennt das Südpolarmeer gut. | |
> Klimagerechtigkeit spiele in der Antarktispolitik keine Rolle, meint sie. | |
Bild: Flugzeuge statt Eis: Australien möchte bei der Forschungsstation Davis g… | |
taz: Frau Rackete, der Antarktisvertrag wird 60 Jahre alt – Happy Birthday? | |
Carola Rackete: Ein Anlass zum Gratulieren ist das kaum. Es ist sehr | |
problematisch, wie das Management der Vertragspartner*innen derzeit | |
umgesetzt wird. | |
Woran scheitert es? | |
Die 29 Staaten, die regeln, was dort ökologisch passiert, sind | |
hauptsächlich Staaten des globalen Nordens, das heißt, sie sind die | |
Hauptemittenten von Treibhausgasen auf der Welt. Das Gremium ist ein | |
elitärer Club, weil nur die Staaten dabei sind, die Geld in die Forschung | |
dort investieren können. Die südlichen Pazifikstaaten hingegen, die | |
[1][stark vom Klimawandel betroffen] sind, sind nicht dabei. | |
Wie wirkt sich das aus? | |
Das Ökosystem wird auf den Kopf gestellt. In kolonialistischer | |
Herangehensweise beanspruchen die Vertragsstaaten das alleinige Management | |
und kommen nicht auf die Idee, dass wir eine Verantwortung gegenüber dem | |
Kontinent tragen. | |
Obwohl der Antarktisvertrag die Diskussion um Landansprüche eingefroren | |
hat, behauptet Australien etwa, dass ihm 42 Prozent der Antarktis gehören. | |
In dem sich zuspitzenden Konflikt um einen Flughafen, den Australien dort | |
bauen will, wird das jetzt interessant. | |
Worum geht es dabei? | |
Er soll an der australischen Forschungsstation Davis entstehen und wäre | |
allein schon vom Bau sehr schädlich für das sensible Ökosystem. Die gesamte | |
Biodiversität des Kontinents konzentriert sich dort, wo es eisfrei ist. Da | |
ist auch die Forschung und der Tourismus. | |
Die Antarktis ist zwar groß, aber es gibt eine starke Konkurrenz um den | |
eisfreien Raum. Der Flughafen würde den menschlichen Fußabdruck auf dem | |
Kontinent um 40 Prozent erhöhen. Aktuell ist er noch in der | |
Umweltverträglichkeitsprüfung, in einem Jahr etwa wird darüber entschieden. | |
Wer soll da hin fliegen? | |
Wissenschaftler*innen jedenfalls nicht, die meisten sprechen sich | |
dagegen aus. Die einzigen, die dafür sind, sind die australische Regierung | |
und Policy Institute wie etwa der von ihr gegründete und mitfinanzierte | |
Thinktank Aspi. | |
Auch die australische Umweltministerin spricht sich für das Projekt aus, | |
aber sie wurde auch kürzlich von einem Gericht [2][zu mehr Klimaschutz | |
verpflichtet], nachdem [3][Jugendliche sie verklagt hatten]. Umwelt- und | |
Klimaschutz kann man von ihr nicht wirklich erwarten, es geht vielmehr um | |
strategische Gründe. | |
Welche sind das? | |
Im Jahr 2048 kann das Umweltschutzprotokoll für die Antarktis erstmalig | |
wieder verändert werden, dann könnte man theoretisch Bodenschätze abbauen. | |
Der Flughafen soll kurz vorher fertig werden. | |
Natürlich steht nirgendwo, dass geostrategische Gründe eine Rolle spielen, | |
aber es ist jedem dort eigentlich klar. Auch viele Forschungsstationen | |
werden weniger aus wissenschaftlichen Gründen betrieben, sondern mit dem | |
Gedanken, Präsenz zu sichern, für den Fall, dass der Vertrag irgendwann | |
endet und man dann Fischerei- und Territorialrechte hat. | |
Sie waren mehrfach in der Antarktis. Wie hat es sich dort verändert? | |
Den Rückgang der Gletscher sieht man eher durch Fotoabgleiche, aber was man | |
im Zeitraum der letzten zehn Jahre wirklich sieht, ist die massive Zunahme | |
des Tourismus. Die Branche dort reguliert sich praktisch ausschließlich | |
selbst. | |
Wie bitte? | |
Die Tourismusunternehmen geben sich eigene Regeln, etwa welchen Abstand man | |
zu Pinguinen halten muss oder wie man vermeidet, brütende Vögel | |
aufzuscheuchen. Aber sie haben kein Interesse, die Touristenzahl zu | |
reduzieren. Eine Kreuzfahrt in die Antarktis kostet locker 10.000 Euro und | |
verursacht inklusive Flug zum Startpunkt fünfeinhalb Tonnen CO2 pro Person. | |
Das ist so viel wie acht Bangladeschis pro Jahr verbrauchen. Die spüren | |
aber schon jetzt die Folgen des Luxusurlaubs durch den Anstieg des | |
Meeresspiegels und können sich gleichzeitig nicht gegen den Tourismus | |
einsetzen, weil sie nicht Teil des Antarktisvertrags sind. Da zeigt sich, | |
dass Klimagerechtigkeit keine Rolle spielt. | |
Warum wird der Tourismus nicht stärker reglementiert? | |
Laut dem Vertrag können die 29 Staaten nur im Konsens entscheiden. Das | |
macht es unmöglich, etwas zu regulieren. Oft sagen die Staaten nicht | |
öffentlich „Wir sind dagegen“, sondern behaupten etwa, es würden noch | |
Informationen fehlen, um mehr Meeresschutzgebiete zu designieren. So ist es | |
seit Dekaden auch bei der Fischerei oder Bioprospektion, also der | |
Untersuchung von Biodiversität für kommerziell wertvolle genetische und | |
biochemische Ressourcen. | |
Haben Sie ein Beispiel für eine solche Blockade? | |
Im vergangenen Jahr hat [4][ein russisches Schiff illegal gefischt], das | |
war allen klar. Aber damit das Schiff sanktioniert werden könnte, müsste | |
Russland zustimmen. Da sagt Russland „Nö“. Alle anderen sagen „doch“, … | |
es führt zu nichts. Das ist Schwachsinn. | |
Dann scheint das Gremium völlig nutzlos. Sollte man es auflösen? | |
Ja, es ist ziemlich nutzlos, aber es ist auch schwierig, sich eine gute | |
Lösung vorzustellen. Der schlimmste Fall wäre, wenn das jetzige Gremium | |
wegbricht, aber nicht durch ein neues System ersetzt wird, sodass ein | |
völlig rechtsfreier Raum entsteht. Dann könnte jeder dort Ressourcen | |
ausbeuten, wie er will. | |
Gibt es keine Ansätze, wie es besser laufen könnte? | |
Doch, es gibt die Forderung, das Gremium in die UN zu verlagern, sodass | |
fast alle Staaten der Welt mitentscheiden können und die Mehrheit | |
entscheidet. Man könnte auch im bestehenden System das Konsensprinzip | |
aufheben. Oder dass etwa wie im Fall des russischen Schiffes der betroffene | |
Staat nicht mit abstimmen darf. So kleine Veränderungen würden auch schon | |
helfen. | |
Ist die Antarktis ein blinder Fleck der Klimabewegung? | |
Ich denke schon. Zum einen ist es für viele sehr weit weg, zum anderen ist | |
der elitäre Club der Vertragspartner*innen unzugänglich. Es ist auf | |
jeden Fall ein Ort, wo Klimagerechtigkeit viel stärker eingefordert und | |
Greenwashing bloßgestellt werden muss. | |
Was sollte das Antarktisgremium sofort tun? | |
Es müsste öffentlich zugeben, dass die beteiligten Staaten das Fortbestehen | |
des Ökosystems nicht garantieren können, weil sie die Pariser Klimaziele | |
verfehlen. Als Konsequenz müssten sie sofort drastisch ihre Emissionen | |
reduzieren. | |
23 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /UN-Experte-ueber-Klima-als-Fluchtgrund/!5661107 | |
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/australien-klimaurteil-kohle-101.html | |
[3] /Klage-gegen-australische-Regierung/!5756062 | |
[4] /Bedrohte-Fischbestaende/!5752414 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
Carola Rackete | |
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