# taz.de -- UN-Experte über Klima als Fluchtgrund: „Recht auf Leben bedroht�… | |
> Abschiebungen in Klimawandelländer sind wie Abschiebungen in | |
> Bürgerkriegsländer. Das sagt Andreas Zimmermann vom | |
> UN-Menschenrechtsausschuss. | |
Bild: Kiribati ist nicht nur wegen des angeschwemmten Plastikmülls ins Gefahr | |
taz: Herr Zimmermann, der UN-Menschenrechtsausschuss hat sich vor Kurzem | |
mit dem Schutz von Klimaflüchtlingen beschäftigt. Sie sind Mitglied in | |
diesem Ausschuss. Was wurde beschlossen? | |
Andreas Zimmermann: Wir haben festgestellt, dass Staaten [1][niemanden in | |
Gebiete abschieben dürfen, in denen der Klimawandel das Recht auf Leben | |
bedroht]. | |
Was war das für ein Fall? | |
Ioane Teitiota vom Inselstaat Kiribati reiste 2007 mit seiner Frau nach | |
Neuseeland ein. 2010 endete sein Aufenthaltsrecht. Anschließend beantragte | |
er in Neuseeland Asyl wegen der Folgen des Klimawandels für die | |
Pazifikinsel, die teilweise nur zwei Meter über dem Meeresspiegel liegt. | |
Die neuseeländischen Behörden und Gerichte lehnten den Asylantrag ab. 2015 | |
wurde Teitiota nach Kiribati abgeschoben. | |
Sah der Ausschuss die Rechte von Herrn Teitiota verletzt? | |
Nein, im konkreten Fall haben wir keine Verletzung des Rechts auf Leben | |
festgestellt. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat festgestellt, dass die | |
neuseeländischen Stellen sein Anliegen ausreichend gründlich und sorgfältig | |
untersucht haben. | |
Der Ausschuss prüfte also nur, ob Behörden und Gerichte in Neuseeland sich | |
ausreichend mit der Situation in Kiribati auseinandergesetzt haben? | |
Ja, wir prüfen, ob die Entscheidung eines Staates willkürlich ist oder eine | |
Rechtsverweigerung darstellt. Das war hier nicht der Fall. | |
Der UN-Menschenrechtsausschuss bezeichnete seine Entscheidung in einer | |
eigenen [2][Pressemitteilung] als „historisch“. Warum? | |
Weil sich der Ausschuss erstmals mit dem Fall eines Klimaflüchtlings | |
beschäftigte und dabei Maßstäbe aufgestellt hat, die in künftigen Fällen | |
auch zu anderen Ergebnissen führen können. Relevant ist für unsere Prüfung | |
immer der Zeitpunkt der letzten nationalen Entscheidung, hier also das Jahr | |
2015. In einigen Jahren kann die Situation in Kiribati und ähnlichen | |
Staaten anders aussehen. | |
Kommt es darauf an, dass Kiribati bereits unter Wasser steht? | |
Nein, auch das ist ein wichtiger Aspekt unserer Entscheidung. Das Recht auf | |
Leben kann bereits verletzt sein, bevor sich die Risiken des Klimawandels | |
realisiert haben. Eine Abschiebung ist nicht erst dann ausgeschlossen, wenn | |
der Bevölkerung im Zielland das Wasser bis zum Hals steht. | |
Wie weit im Vorfeld der Katastrophe beginnt der völkerrechtliche Schutz? | |
Gibt es eine Faustformel? | |
Nein. Dazu ist die Bedrohung zu komplex. Es geht ja nicht nur um das | |
Ansteigen des Meeresspiegels. Der Klimawandel führt auch zur Zunahme | |
extremer Wetterereignisse wie Stürmen, Tsunamis und Dürren. Herr Teitiota | |
hat zudem geltend gemacht, dass in Kiribati die Fläche des bebaubaren Lands | |
abnimmt und sich deshalb blutige Landkonflikte häufen. Auch solche sozialen | |
Verwerfungen sind zu berücksichtigen. | |
Auf der anderen Seite hat die Regierung von Kiribati bereits Land auf einer | |
Nachbarinsel gekauft, die zu den Fidschis gehört. Dorthin könnten Teile der | |
rund 100.000 Kiribater notfalls umgesiedelt werden. | |
Auch Schutzmaßnahmen der Regierungen sind zu berücksichtigen, etwa eine | |
Erhöhung der Deiche oder Umsiedlungen. Gerade weil die Lage so komplex ist, | |
können wir nur kontrollieren, ob sich die nationalen Stellen seriös mit den | |
drohenden Risiken bei einer Abschiebung auseinandergesetzt haben. | |
Die Abschiebung in ein vom Klimawandel bedrohtes Land ist also ähnlich zu | |
prüfen wie die Abschiebung in ein Bürgerkriegsland? | |
Ja, das ist eine ähnliche Konstellation. | |
Wie verbindlich sind Ihre Entscheidungen für die Staaten? | |
Der UN-Menschenrechtsausschuss wacht über die Einhaltung des UN-Pakts | |
über bürgerliche und politische Rechte. Diesen Pakt haben 172 Staaten | |
unterzeichnet und ratifiziert. Da der Pakt für diese Staaten verbindlich | |
ist, geht der UN-Menschenrechtsausschuss davon aus, dass sich die Staaten | |
auch an die Auslegung des Paktes durch den Ausschuss halten. | |
Oft werden ihre Entscheidungen nur als „Empfehlungen“ bezeichnet... | |
Das stimmt. Nach unserer Sichtweise sind die Entscheidungen des | |
UN-Menschenrechtsausschuss aber verbindlich, auch wenn wir sie nicht mit | |
Zwangsmitteln durchsetzen können. | |
Ist der UN-Menschenrechtsausschuss ein Gericht? | |
Wenn es um Individualbeschwerden geht, arbeitet der Ausschuss quasi wie ein | |
Gericht. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat aber auch andere Aufgaben. So | |
prüft er Staatenberichte zur Lage der Menschenrechte und erläutert in | |
„general comments“ („allgemeine Bemerkungen“) die Verpflichtungen der | |
Staaten. | |
Wer kann sich an den UN-Menschenrechtsausschuss wenden? | |
116 Staaten, darunter auch Deutschland, haben ein Zusatzprotokoll | |
ratifiziert, das es erlaubt, sich mit einer Beschwerde über den jeweiligen | |
Staat an das Gremium zu wenden. | |
Wer sitzt im Ausschuss? | |
18 Juristinnen und Juristen aus der ganzen Welt, die von den | |
Vertragsstaaten gewählt wurden. | |
Warum ist der Ausschuss in Deutschland so wenig bekannt? | |
Die Bürger- und Menschenrechte in Deutschland werden bereits durch das | |
Bundesverfassungsgericht gut geschützt. Wer mit dessen Entscheidungen nicht | |
einverstanden ist, muss sich entscheiden, ob er den | |
UN-Menschenrechtsausschuss oder den Europäischen Gerichtshof für | |
Menschenrechte in Straßburg befasst. Meist entscheiden sich Betroffene für | |
den Gang nach Straßburg. In anderen Teilen der Welt hat der Ausschuss aber | |
große Bedeutung. | |
14 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /!5659066/ | |
[2] https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=25482&… | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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