# taz.de -- CDU/CSU in der Großen Koalition: Planspiele fürs Kanzlerinnenamt | |
> Einiges spricht dafür, dass Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Wechsel an | |
> die Spitze der Regierung vorbereitet. Wichtig dabei: Friedrich Merz | |
> einhegen. | |
Bild: Ohne SPD gut gelaunt? Annegret Kramp-Karrenbauer (l.) und Angela Merkel | |
BERLIN taz | An diesem Samstag geht es los in Münster: CDU und CSU läuten | |
ihren Europawahlkampf ein. Im Münsteraner Messezentrum wird der gemeinsame | |
[1][EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber] eine im Rahmen seiner Möglichkeiten | |
flammende Rede halten. CSU-Chef Markus Söder wird begeistert gucken. Und | |
Annegret Kramp-Karrenbauer aufmunternde Worte finden. Die CDU-Vorsitzende | |
weiß: Nur vier Wochen später ist Europawahl, und danach könnte es | |
möglicherweise ernst werden für sie. | |
Im politischen Berlin wird seit Längerem spekuliert, ob – und | |
gegebenenfalls wann – Angela Merkel das Kanzleramt für ihre Nachfolgerin | |
räumt. Oder ob sie, wie sie stets wiederholt hatte, die Legislaturperiode | |
vollmacht. Dabei hatte sie immer betont, Regierungs- und Parteiamt gehörten | |
in eine Hand. | |
Dass Merkels Worte nicht in Stein gemeißelt sind, weiß man spätestens seit | |
dem Oktober letzten Jahres, als sie in Gegenwart ihrer ziemlich perplexen | |
damaligen Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärt hatte, sich | |
vom Amt der Parteivorsitzenden zurückzuziehen – aber Kanzlerin zu bleiben. | |
Die Folgen sind bekannt. Kramp-Karrenbauer musste von jetzt auf gleich | |
ihren Anspruch auf den Parteivorsitz anmelden und einen innerparteilichen | |
Wahlkampf starten. Selbst ihrem Ehemann konnte sie gerade noch rechtzeitig | |
nur eine SMS schicken. Den Wettlauf gegen ihre männlichen Mitbewerber | |
Friedrich Merz und Jens Spahn auf dem Parteitag in Hamburg Anfang Dezember | |
gewann sie denkbar knapp. Mit gerade einmal 18 Stimmen lag sie vor Merz. | |
Auf die Freude über den Sieg folgte der Kater über die in der Führungsfrage | |
tief gespaltene Partei. | |
## Geordneter Rückzug | |
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung wäre dieser Sommer 2019 perfekt für | |
den personellen Wechsel im Kanzleramt. Und das unter gleich mehreren | |
Gesichtspunkten. | |
[2][Nach der Europawahl] ist vor den Landtagswahlen im Osten. Je nachdem, | |
wie die Brüsseler Ergebnisse für die Union ausschauen – aktuell wird mit | |
leichten Verlusten um drei Prozent gerechnet –, könnte Merkel die | |
Verantwortung dafür übernehmen und ihren geordneten Rückzug ankündigen. | |
Carsten Linnemann, der Vorsitzende der einflussreichen | |
CDU-Mittelstandsvereinigung, hat schon mal vorsorglich dem Handelsblatt | |
gesagt: „Am Tag nach der Europawahl müssen wir anfangen, an unserem | |
Programm für die Bundestagswahl zu arbeiten“, wann immer die stattfinde. | |
„Wir müssen vorbereitet sein.“ Das klingt nicht nach einem „weiter so“. | |
Zugleich käme der AfD in den anstehenden Landtagswahlkämpfen im Osten ihre | |
Lieblings-Hassfigur Merkel abhanden. Die drei SpitzenkandidatInnen der CDU | |
in Brandenburg, Sachsen und Thüringen könnten im Wahlkampf einerseits die | |
Verdienste der scheidenden Kanzlerin erwähnen, um andererseits die | |
politischen Fähigkeiten ihrer Nachfolgerin zu preisen und einen politischen | |
Neuanfang zu versprechen. | |
## Zöge die SPD mit? | |
Fraglich ist, ob in diesem Planspiel [3][die SPD mit im Boot wäre]. Die | |
SozialdemokratInnen haben mehrfach und laut erklärt, sie stünden nicht als | |
Kanzlerwahlverein zur Verfügung. Zudem hatte Parteichefin Andrea Nahles der | |
Basis versprochen, es werde zur Halbzeit der Großen Koalition Bilanz | |
gezogen. | |
Gegen eine Revolte samt Neuwahlen spricht, dass die SPD in aktuellen | |
Umfragen bei 17 Prozent liegt, also seit der Bundestagswahl noch drei bis | |
vier Prozentpunkte verloren hat. Die Machtbasis im Parlament könnte noch | |
einmal schmelzen, und zwar so weit, dass sie nicht einmal mehr zur | |
Koalitionspartnerin der Union reichen würde. In der Regierung bliebe zudem | |
noch Zeit, eineN eigeneN KanzlerkandidatIn aufzubauen. Aktuell hält sich | |
Vizekanzler Olaf Scholz für geeignet. | |
Kann also Annegret Kramp-Karrenbauer die Kanzlerschaft von Angela Merkel | |
übernehmen? Wenn ja, hätte sie sowohl im Adenauer-Haus als auch im | |
Kanzleramt ausreichend Zeit, ihre Machtbasis auszubauen. In gut zwei Jahren | |
beginnt der Bundestagswahlkampf. Es wäre gut, wenn die Union eine | |
Kandidatin – oder einen Kandidaten – präsentieren könnte, die der | |
Wählerschaft gut bekannt, wenn nicht gar vertraut ist. | |
Aber auch strategisch könnte der richtige Moment für Annegret | |
Kramp-Karrenbauer bald kommen. Je mehr Zeit sie verstreichen lässt, bevor | |
sie das Amt der Regierungschefin einfordert, desto mehr Zeit haben auch | |
ihre GegnerInnen, Merkels Wunsch-Nachfolgerin doch noch zu verhindern. | |
## Endlich Macht | |
Eine wichtige Rolle für Kramp-Karrenbauers Erfolg spielt deswegen das | |
Einhegen von Friedrich Merz und dessen Anhängerschaft. Bei einem | |
gemeinsamen Auftritt kürzlich im Sauerland überließ AKK dem | |
Gründungsmitglied des Fördervereins der neoliberalen Initiative Neue | |
Soziale Marktwirtschaft die große Bühne. Im März wurde bekannt, dass Merz | |
als Vizepräsident des CDU-Wirtschaftsrats, einem Unternehmerverband, | |
kandidieren will. Und gerade berichtete der Spiegel, Annegret | |
Kramp-Karrenbauer sei bereit, Merz in ein von ihr geführtes Kabinett | |
aufzunehmen, wenn er sich bis dahin ihr gegenüber wohl verhielte. | |
Überhaupt: das Regierungsamt. Bald Kanzlerin zu sein hätte gleich mehrere | |
Vorteile für Kramp-Karrenbauer. Sie, die über kein Mandat verfügt und kein | |
Amt außer dem der Parteivorsitzenden ausübt, würde endlich über eine | |
politische Machtbasis verfügen. Bislang sitzt sie nur dabei, etwa im | |
geschäftsführenden Fraktionsvorstand oder in der Morgenlage im Kanzleramt. | |
Als CDU-Vorsitzende nimmt sie an den Koalitionsausschüssen teil. Sie ist | |
das, was man ein lernendes System nennt. Ein machtpolitisches System. | |
Wohin die Reise mit ihr auch nach einer zu gewinnenden Bundestagswahl 2021 | |
gehen würde, könnte sie kraft ihres Amtes als Regierungschefin umreißen. | |
Bis auf Jens Spahn, der als Bundesgesundheitsminister seit seinem ersten | |
Arbeitstag Full Speed fährt, machen die Unionsminister keine gute Figur. | |
Kramp-Karrenbauer könnte, wenigstens personell, einlösen, was über dem | |
Koalitionsvertrag steht: „Eine neue Dynamik für Deutschland“. | |
25 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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