# taz.de -- Bundesweiter Bildungsprotest: Die Bildungskrise des Kanzlers | |
> Am Samstag demonstrieren in 29 Städten Menschen für ein besseres | |
> Bildungssystem. Sie fordern 100 Milliarden – und einen aktiveren Kanzler. | |
Bild: Ein Vorgeschmack auf den bundesweiten Bildungsstreik am Samstag | |
BERLIN taz | Einen Vorgeschmack auf den nationalen Bildungsprotest am | |
Samstag haben die Hessinnen und Hessen erhalten. Am Mittwoch, zum | |
Weltkindertag, demonstrierten mehrere Tausend Menschen in insgesamt fünf | |
hessischen Städten für ein besseres Bildungssystem. „Wir stehen heute hier, | |
weil das Bildungssystem von der Kita über die Schule und die | |
Erwachsenenbildung bis zur Hochschule in einer tiefen Krise steckt“, sagte | |
der Vorsitzende der GEW Hessen Thilo Hartmann bei der Abschlusskundgebung | |
in Frankfurt. | |
Die Bildungsgewerkschaft gehört zu dem breiten Bündnis, das zu dem Protest | |
in Hessen aufgerufen hat. Gut zwei Wochen vor der [1][Landtagswahl] wollen | |
die Initiator:innen ein Signal an die Politik senden. In der nächsten | |
Legislaturperiode müsse die Politik die Bildungskrise stärker in den Fokus | |
rücken. „In allen Bildungsbereichen ist es normal geworden, den Mangel zu | |
verwalten“, kritisierte Hartmann. Das müsse sich endlich ändern. | |
In den übrigen 15 Bundesländern findet der Protest am Samstag statt. [2][In | |
29 Städten sind Kundgebungen] angemeldet. Die Ziele sind die gleichen wie | |
in Hessen. Das bundesweite Bündnis „Bildungswende jetzt!“ fordert die | |
Bundesregierung und die Landesregierungen auf, die Weichen für ein | |
„gerechtes und inklusives“ Bildungssystem zu stellen. Mehr als 150 | |
Bildungsorganisationen, Gewerkschaften, Kitaverbände, Eltern- und | |
Schüler:innenvertretungen unterstützen den Protest. | |
„Das Ausmaß der Bildungskrise ist mittlerweile so groß, dass die | |
politischen Entscheidungsträger:innen es jetzt endlich mit Priorität | |
anpacken müssen“, sagt der Mitinitiator des Bildungsprotestes Philipp Dehne | |
zur taz. Wenn nicht, würde die Gesellschaft immer mehr Kinder verlieren, um | |
die sich Erzieher:innen und Lehrkräfte wegen der schlechten | |
Arbeitsbedingungen nicht mehr ausreichend kümmern könnten. | |
## Vier Forderungen gegen Bildungskrise | |
Im Kern stellt das Bündnis vier Forderungen auf. Erstens ein Sondervermögen | |
für Bildung über mindestens 100 Milliarden Euro für die notwendigen | |
Investitionen in Kitas und Schulen sowie eine Anhebung der Bildungsausgaben | |
auf 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zweitens ein Staatsvertrag, der | |
alle Bundesländer dazu verpflichtet, genügend Lehrkräfte auszubilden sowie | |
mehr Praxisbezug im Lehramtsstudium. | |
Drittens eine Neuorientierung von Lehrplänen hin zu einer Bildung für | |
nachhaltige Entwicklung (BNE), die Schüler:innen mehr auf die | |
Herausforderungen der Zukunft vorbereitet. Und viertens einen | |
Bildungsgipfel mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), bei dem Lehrkräfte und | |
Schüler:innen auf Augenhöhe über die Lösungen für die Bildungskrise | |
sprechen können. | |
Tatsächlich sind die Probleme im Bildungssystem gewaltig. Aktuell fehlen | |
bundesweit fast 400.000 Kitaplätze. Jedes vierte Grundschulkind kann [3][am | |
Ende der vierten Klasse nicht richtig lesen.] Rund 50.000 Jugendliche | |
verlassen jedes Jahr die Schule ohne Abschluss. Die Chancen für Kinder aus | |
sozial benachteiligten Familien, es aufs Gymnasium zu schaffen, sind immer | |
noch sehr gering. Und von denen, die ein Studium beginnen, ist ein Drittel | |
von Armut gefährdet. Dazu ist der Personmangel an Kitas und Schulen | |
gewaltig. | |
Erst in dieser Woche haben zwei Studien gezeigt, wie vielschichtig die | |
Krise ist. Eine Umfrage der Robert Bosch-Stiftung unter Lehrkräften hat | |
ergeben, dass die [4][Kinderarmut an Schulen] deutlich zugenommen hat und | |
Kinder von der sozialen Teilhabe ausschließt. Und dann warnt eine | |
Hochrechnung der GEW, dass im Jahr 2035 sogar mehr als 500.000 Lehrkräfte | |
fehlen werden. | |
„Die subjektiven Erfahrungen von uns Fachkräften, dass es nicht mehr geht, | |
wird gefühlt alle paar Wochen von einer Studie bestätigt“, sagt Dehne vom | |
Bündnis „Bildungswende Jetzt!“ Das Eklatante sei, dass die Politik nicht | |
radikal umsteuert, um dieser Krise zu begegnen. Aus diesem Grund fordern | |
Dehne und seine Mitstreiter:innen, dass Kanzler Scholz die Bildungskrise | |
zur Chefsache mache. | |
Bereits im Juni hat das Bündnis den Ministerpräsident:innen der | |
Länder ihre Forderungen überreicht. Niedersachsens Stephan Weil und Hendrik | |
Wüst aus Nordrhein-Westfalen nahmen damals den Brief im Namen der SPD- und | |
der unionsgeführten Länder entgegen. Eine Übergabe des Appells an den | |
Kanzler hat damals nicht geklappt. | |
Am Mittwoch gab sich Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) | |
durchaus selbstkritisch. Die Menschen und Familien warteten darauf, dass | |
auch die Politik Signale setze, dass Bildung wirklich ernst genommen wird | |
und Priorität hat, sagte sie im RBB-Inforadio. Sie äußerte aber die | |
Hoffnung, dass ärmere Schulkinder ab dem Schuljahr 2024/25 durch das | |
geplante Startchancen-Programm stärker unterstützt würden. Am Donnerstag | |
gab Stark-Watzinger bekannt, dass sich Bund und Länder auf die Eckpunkte | |
des Programms verständigt haben. | |
22 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Landtagswahl-in-Hessen/!t5544216 | |
[2] https://schule-muss-anders.de/bildungsprotest-2023/ | |
[3] /Studie-zu-Lesekompetenz/!5931959 | |
[4] /Deutsches-Schulbarometer/!5961472 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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