| # taz.de -- Bundeskanzlerin in Chemnitz: Merkel rät Chemnitzern zur Lockerheit | |
| > Den Besuch mit ausgewählten Gesprächspartnern meistert die | |
| > Bundeskanzlerin souverän. Sie äußert Verständnis und verteilt Sachsenlob. | |
| Bild: Fand den Tag „sehr wertvoll“: Angela Merkel in Chemnitz | |
| Chemnitz taz | Knapp drei Monate nach den [1][Krawallen von Chemnitz] | |
| besuchte am Freitag nun auch Kanzlerin Angela Merkel die Stadt. Dem lange | |
| angekündigten Besuch gingen harte Auswahlprozesse voraus. Viele wollten das | |
| Wort an Merkel richten. Ausgerechnet der Basketballklub „Niners“ aus der | |
| zweiten Bundesliga hatte die Nase vorn beim Rennen um eine halbe Stunde | |
| Aufmerksamkeit der Kanzlerin. | |
| Anschließend begab sich Merkel zum Gespräch mit Verantwortungsträgern der | |
| Stadt, welches wie schon beim Besuch des Bundespräsidenten im Oktober, | |
| nicht presseöffentlich war. Am Schluss ihres knapp fünfstündigen Besuches | |
| diskutierte Merkel mit LeserInnen der Regionalzeitung Freie Presse. Diese | |
| hatte für die Debatte 120 Leser ausgewählt, 30 von ihnen hartnäckige | |
| LeserbriefschreiberInnen, die übrigen per Los aus der dreifachen Zahl von | |
| Bewerbern bestimmt. | |
| Ausgewählt wurden von der Redaktion auch die Journalisten, die live aus dem | |
| Saal der „Hartmannfabrik“ berichten durften. Die taz gehörte nicht zu ihnen | |
| und war auf den Livestream angewiesen. | |
| Wieviel Dialog ist in dieser abgeschirmten Atmosphäre möglich? | |
| Zwei lang aufgeschossene jugendliche Spieler der „Niners“ waren zufrieden | |
| mit dem Plausch mit der Kanzlerin. „Eine lockere Mischung aus Informationen | |
| über den Kanzlerinnen-Alltag und einem Austausch über die Unruhen Ende | |
| August“, berichteten sie anschließend. Überhaupt habe Angela Merkel ihr | |
| Geheimrezept den Chemnitzern empfohlen: Lockerbleiben – auch unter | |
| politischem Druck. | |
| ## 20 Gewalttaten an Ausländern seit August | |
| Beide Spieler nahmen weniger die ausfälligen rechten Demonstrationen nach | |
| dem Tod eines Deutschkubaners zum Maßstab für das Klima in Chemnitz, als | |
| das von 60.000 Gästen besuchte [2][„Wir sind mehr“-Konzert] eine Woche | |
| später. Nach einer „gewissen Lähmung“ habe sich die Angst gelegt, in der | |
| Stadt herumzulaufen, sagten die Jugendlichen. Verallgemeinerungen seien | |
| nicht angebracht. „Wir stehen heute hier, um auch positive Bilder zu | |
| bringen“, bekräftigten die jungen Männer, und es klang nicht, als seien | |
| ihnen solche Worte souffliert worden. | |
| In den knapp drei Monaten seit der bis heute nicht aufgeklärten Bluttat am | |
| Rande des Stadtfestes kehrt Chemnitz in der Tat überwiegend zum Image einer | |
| aufholenden „Stadt der Moderne“ zurück. Die Kulturhauptstadtbewerbung 2025 | |
| läuft weiter, die Kulturszene regt sich, die Universität mit dem | |
| dritthöchsten Ausländeranteil an Studierenden erlebt einen regelrechten | |
| Ansturm. | |
| Auch die Wirtschaftslage ist gut, objektiv sinkt die Kriminalität, was an | |
| der gefühlten Unsicherheit wenig ändert. Andererseits gab es den Anschlag | |
| auf ein jüdisches Restaurant, wurde die erst seit September gebildete | |
| rechte Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“ ausgehoben, bevor sie Schaden | |
| anrichten konnte, wurden frisch verlegte Stolpersteine beschädigt. Die | |
| Opferberatung Sachsen zählte seit Ende August 20 Gewalttaten gegen | |
| Ausländer in Chemnitz, mehr als im gesamten Vorjahr. | |
| ## Merkel sieht keine Rechtfertigung für rechte Demos | |
| Beim Leserforum der „Freien Presse“ spielte das Image von Chemnitz eine | |
| wesentliche Rolle. „Sie müssen sich diesen Schuh doch nicht anziehen“, | |
| ermunterte die Kanzlerin die anwesenden ChemnitzerInnen. Sie sei auch nach | |
| Chemnitz gekommen, damit die Stadt nicht immer in ein völlig falsches Licht | |
| gerückt werde. | |
| Angela Merkel sprach aber auch klar von „rechtsradikalen Demonstrationen, | |
| für die es keine Rechtfertigung gibt“. Und sie mahnte, „niemanden zu | |
| verurteilen, weil er anders aussieht“. | |
| ZuschauerInnen, die Angst vor Überfremdung äußerten, verwies sie auf | |
| bereits eingeleitete Maßnahmen europäischer Abschottung im Mittelmeer und | |
| verteidigte den Flüchtlingspakt mit der Türkei. Es bleibe Ziel, die Zahl | |
| der Flüchtlinge weiter zu reduzieren, sagte Merkel. Beim Abschluss des | |
| UN-Migrationspaktes werde man sich aber nicht „von Verbreitern von Hetze | |
| und Hass die Tagesordnung vorschreiben lassen“. | |
| ## 1.000 Anti-Merkel Demonstranten | |
| Neben dem zentralen Thema erschienen Fragen etwa nach schmalen Renten oder | |
| der Kommunikationsstrategie der Bundesregierung beinahe orchideenhaft. Dem | |
| gekränkten Ost-Stolz begegnete die Kanzlerin mit reichlichem Sachsenlob. | |
| Zeitweise drangen Sprechchöre von Gegendemonstranten bis in die ehemalige | |
| Fabrikhalle. Etwa tausend Menschen waren den Aufrufen von „Pro Chemnitz“, | |
| Pegida oder des Hallenser Neonazis Sven Liebich gefolt. | |
| Nach zwei Stunden Diskussion verließ die Kanzlerin mit einem Chemnitzer | |
| Bildband unter dem Arm das Gelände. „Sehr wertvoll“ sei der Tag in Chemnitz | |
| gewesen. | |
| 16 Nov 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Bartsch | |
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