# taz.de -- Buch über Corona-Strategie: Schwedens einsamer Weg | |
> Eine schwedischer Journalist versucht in seinem Buch die Coronastrategie | |
> des Landes zu erklären und eine Bilanz zu ziehen. | |
Bild: Menschen vor einem Restaurant: Schweden im März 2020 | |
Stockholm taz | Schweden sei doch ein Land gewesen, das, gleich ob Cholera, | |
Pocken oder Aids, eine „eisenharte Linie bei der Infektionsbekämpfung“ | |
hatte, wunderte sich Peter Baldwin, Historiker an der University of | |
California kürzlich in einem schwedischen Zeitungsinterview: Warum habe das | |
Land dann bei Corona „alles vergessen, was es aus der Geschichte gelernt | |
hat?“ Und einen Weg gewählt, den der Verfasser von [1][„Fighting the first | |
wave“] für grundfalsch hält. | |
Vielleicht genau wegen der Erfahrungen mit „eisenharter“ | |
Infektionsbekämpfung, lautet die These eines Sachbuchs des Journalisten | |
Johan Anderberg über den „Weg, den Schweden in der Pandemie wählte“. | |
Der Umgang mit Aids, bei der man HIV-Infizierte wie Aussätzige behandelte, | |
gilt mittlerweile als eines der dunkelsten Kapitel der Sozialpolitik des | |
Landes. Und 2009 richtete die Panik um die für Menschen relativ harmlose | |
Schweinegrippe aufgrund der [2][Narkolepsie-Nebenwirkungen einer | |
Massenimpfkampagne] in Schweden mehr gesundheitliche Schäden an als das | |
Virus. | |
Virologen und Epidemiologen mit dieser Erfahrung standen 2020 bei der | |
staatlichen Gesundheitsbehörde dann vor der Aufgabe, eine Coronastrategie | |
zu entwickeln. Laut Anderberg, der viele Interviews führte und umfangreich | |
Dokumente auswertete, hätten sie sich schnell für das Modell entschieden, | |
über das vor Corona breite Einigkeit in der epidemiologischen Wissenschaft | |
bestanden habe: Der Infektion mit gezielten Maßnahmen zu begegnen, „von | |
denen man auch wissen muss, dass sie funktionieren“. Nicht die Methode | |
„Viel hilft viel“, sondern Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens | |
und der persönlichen Freiheit nur als Ultima Ratio. | |
Womit Schweden dann bald ziemlich alleine stand. Denn nahezu überall sei | |
die Politik von einer Panik erfasst worden, deren Fundament „eine Mischung | |
aus chinesischer Diktatur und einer schlampigen britischen Studie war“. | |
Womit Anderberg den Rapport des „Imperial College“ meint, der im März 2020 | |
für Großbritannien über eine halbe Million Coronatote binnen 3 Monaten | |
vorhergesagt hatte. | |
## Bunker- und Herdenmentalität | |
Unstreitig sei das Virus „enorm gefährlich, speziell für bestimmte | |
Menschen“, betont Anderberg. Er verstehe Politiker, die im Frühjahr 2020 | |
panisch reagierten: „Aber warum wurde die Lockdown-Politik dann nicht mehr | |
hinterfragt?“ Seine Vermutung unter Bezug auf die sozialwissenschaftliche | |
Diffusionstheorie: „Politiker schlittern oftmals in etwas hinein, nur um | |
Handlungskraft zu beweisen.“ Dabei würden oft Strategien, die sich am | |
lautesten Gehör verschafften, einfach ohne weitere Analyse übernommen. Vor | |
allem, wenn Entscheidungen unter großer Unsicherheit getroffen werden | |
müssten. Aufgrund einer „Bunker-“ und einer „Herdenmentalität“ besteh… | |
Gefahr, dass dieser Kurs nicht mehr hinterfragt werde. | |
Schweden sei von der „Herde“ – so auch der Titel seines Buchs – nur | |
deswegen relativ wenig angesteckt worden, weil hier der gesetzliche Auftrag | |
der Gesundheitsbehörde sowieso ein [3][ganzheitlicher und nicht auf bloßen | |
Gesundheitsschutz] ausgerichteter sei und sich Stockholm auf die eigenen | |
Experten verlassen habe. [4][Fehleinschätzungen habe es natürlich gegeben]. | |
Aber die Abwägung zwischen Gesundheitsschutz und Freiheit sei Schweden | |
bislang recht gut gelungen. Komme die Zeit für eine Bilanz, könne das Land | |
vielleicht eine ähnliche Rolle wie die „Kontrollgruppe“ bei | |
Arzneimitteltests spielen: Also einen Hinweis liefern, ob man einer solchen | |
Pandemie auch vorwiegend mit gezielten Empfehlungen begegnen und auf die | |
Akzeptanz in der Bevölkerung statt auf einen erzwungenen Lockdown setzen | |
könne. | |
Schwedens Zwischenbilanz sei gar nicht schlecht, konstatiert Anderberg: Die | |
Übersterblichkeit liegt im europäischen Vergleich im unteren Drittel, die | |
wirtschaftliche Entwicklung war 2020 mit einem BNP-Minus von 3,1 Prozent | |
die drittbeste in der EU und für die meisten Schweden sei „2020 wie 2019 | |
gewesen“. | |
Das Buch löste in Schweden ein breites Echo aus. Svenska Dagbladet lobt den | |
Verfasser, dieses „heiße Eisen aufzugreifen“. Aftonbladet spricht von einem | |
„nuancierten Bericht über eine merkwürdige Zeit“ und Expressen von einer | |
„Pionierarbeit“. Eine TV-Serie auf Grundlage des Buchs und [5][eine | |
englische Übersetzung unter dem Titel „The Herd“ sind in Arbeit.] | |
9 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.cambridge.org/core/books/fighting-the-first-wave/DFEA8CF02743D2… | |
[2] /Narkolepsie-duch-Pandemrix-Impfung/!5112434 | |
[3] /Neues-Coronagesetz-in-Schweden/!5742785 | |
[4] /Schwedens-Versaeumnisse-in-Coronapandemie/!5739500 | |
[5] http://ahlanderagency.com/books/the-herd/ | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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