# taz.de -- Corona in Schweden: Möglichst zu Hause bleiben | |
> In Schweden sind für vier Wochen Veranstaltungen auf acht Personen | |
> begrenzt, aber nur im öffentlichen Raum. Viele zweifeln, ob das etwas | |
> bringt. | |
Bild: Eine Aufforderung zum Abstandhalten in Stockholm | |
Tällang taz | „Beispiellos, aber absolut notwendig, um die Ausbreitung von | |
Corona-Infektionen begrenzen zu können“, so charakterisierte Schwedens | |
Ministerpräsident Stefan Löfven am Montag die Maßnahme, die am kommenden | |
Dienstag über eine Verordnungsänderung in Kraft treten soll:. „Zu Hause | |
bleiben ist angesagt“, so Löfven. | |
„Eine unerhörte Beschneidung der persönlichen Freiheit“, kommentierte das | |
schwedische Fernsehen. Bisher galt laut dieser gleich zum Beginn der | |
Pandemie im März erlassenen Verordnung eine Obergrenze von 300 und in | |
einigen Regionen maximal 50 Personen. Mit politischem Widerstand muss die | |
rot-grüne Minderheitsregierung angesichts dieser radikalen Senkung aber | |
wohl nicht rechnen. | |
Auch wenn [1][die Zahl neuer Coronatodesfälle pro 100.000 EinwohnerInnen] | |
beispielsweise seit September in Schweden deutlich unter der Deutschlands | |
liegt und das bis vor Kurzem auch für die relativen Werte bei | |
Neuinfektionen galt: Alle Parlamentsparteien sind sich einig, dass die | |
Entwicklung mit einem 14-Tage-Inzidenzwert von aktuell 511 in die falsche | |
Richtung geht. | |
Allerdings fragt man sich in Schweden nun, was die verschärften | |
Kontaktbeschränkungen wirklich bewirken können. Sie gelten im wesentlichen | |
nur für polizeilich genehmigungspflichtige Zusammenkünfte wie | |
Demonstrationen, Freilichtkonzerte oder Sportveranstaltungen, die nicht in | |
einem Stadion oder einer Halle stattfinden. | |
## Kein Lockdown | |
Für alle übrigen Kultur- und Sportveranstaltungen gilt laut | |
Verordnungsentwurf die bisherige Beschränkung auf teilweise 300, teilweise | |
50 ZuschauerInnen dann, wenn für diese ein Sitzplatz mit einem Meter | |
Abstand zu den Nachbarn vorhanden und auch im Übrigen eine Einhaltung der | |
Abstandsregeln möglich ist. Schulen, Kollektivverkehr, Handel, Gastgewerbe | |
und Fitnesseinrichtungen sind gar nicht betroffen. | |
Ein regelrechter Lockdown komme für Schweden nicht infrage, betonte der | |
Ministerpräsident. Ein solcher, etwa mit dem Verbot privater Feiern | |
einhergehender Einschnitt wäre aber schon aufgrund der geltenden | |
Gesetzeslage gar nicht möglich. Grundsätzlich will Löfven wohl bei der | |
[2][bisherigen Linie von Empfehlungen und Appellen] bleiben. Was Stockholm | |
offenbar erreichen möchte: dass die SchwedInnen diese Empfehlungen wieder | |
so ernst nehmen wie im Frühjahr. | |
Aber Symbolpolitik mit der Anordnung von Maßnahmen, deren Sinn die | |
Regierung selbst nicht wirklich erklären kann, könnte sich als | |
zweischneidiges Schwert erweisen. Einerseits ist es verständlich, dass man | |
die Infektionszahlen abbremsen und keinesfalls riskieren will, dass sich | |
die Todeszahlen vom Frühjahr wiederholen. | |
Andererseits weiß die Regierung spätestens seit dem [3][Bericht einer | |
Untersuchungskommission], dass die seinerzeitige Todesrate in den | |
privatisierten und kaputtgesparten Altenpflegeeinrichtungen so gut wie | |
nichts mit etwa unzureichenden Kontaktbeschränkungen zu tun hatte. In den | |
Heimen war die Mehrheit der über 5.000 bis zum Sommer gezählten Coronatoten | |
zu beklagen. | |
## Masken sind im Alltag unwirksam | |
Für die jetzige 8-Personen-Regelung hat die Regierung keine Rückendeckung | |
seitens der Gesundheitsbehörde. Dabei war es gerade die auf | |
wissenschaftlicher Grundlage von Gesundheitsbehörde und Regierung gemeinsam | |
festgelegte Coronalinie, die sich seit Beginn der Pandemie auf eine | |
gleichbleibend hohe Unterstützung durch 80 Prozent der SchwedInnen stützen | |
konnte. | |
Was die Frage einer Maskenpflicht oder auch nur -empfehlung angeht, besteht | |
allerdings offenbar weiterhin Einigkeit zwischen Gesundheitsbehörde und | |
Regierung. Die Anwendung von Mund- und Nasenschutz sei nicht wirklich | |
wirksam, wiederholte Staatsepidemiologe Anders Tegnell am Dienstag seinen | |
Standpunkt, den in Schweden die große Mehrheit seiner KollegInnen teilt. | |
Masken seien im Krankenhaus effektiv. Trage sie die Bevölkerung im Alltag, | |
sei ihr Effekt „praktisch nicht existent“, äußerte sich Kjell Torén, | |
Professor für Volksgesundheit in einem Interview: „Mundschutz ist eine | |
Symbolfrage.“ Einwegmasken, die man länger als vier Stunden oder sogar an | |
mehreren Tagen trage, könnten das Infektionsrisiko sogar erhöhen. | |
17 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ecdc.europa.eu/en/cases-2019-ncov-eueea | |
[2] /Massnahmen-gegen-Corona/!5712250 | |
[3] /Schwedens-Umgang-mit-Corona/!5686514 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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