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# taz.de -- Schwedens Umgang mit Corona: Selbstkritik am Sonderweg
> Schwedens Staatsepidemiologe stellt erstmals die Strategie des Landes
> infrage. Es seien zu viele Menschen zu früh gestorben, vor allem Ältere.
Bild: Frühe Lockerung jetzt in der Kritik. Vasaparken in Stockholm im April
TÄLLÄNG taz | Würde Schweden mit den heutigen Erkenntnissen mit dem
Coronavirus konfrontiert werden, dann hätte das Land wohl eine andere
Strategie gewählt. Am Mittwoch stellte der [1][schwedische
Staatsepidemiologe Anders Tegnell] erstmals die von Schweden gewählte
[2][Linie bei der Bekämpfung der Coronapandemie] deutlich infrage.
Er glaube, dass man nach heutigem Kenntnisstand „irgendwo zwischen dem
gelandet wäre, was Schweden gemacht hat und was der Rest der Welt
unternommen hat“, sagte Tegnell in einem Interview mit dem schwedischen
Rundfunk. Bislang hatte Tegnell die Strategie immer verteidigt:
Letztendlich werde sie sich als richtig erweisen.
„Ganz klar, da gibt es ein Verbesserungspotenzial“, erklärte der
Epidemiologe nun und machte auch klar, dass es die hohe Coronatodesrate
sei, die ihn zum Umdenken veranlasst habe. Die Frage, ob zu viele zu früh
sterben mussten, beantwortete Tegnell mit: „Ja, absolut.“
Mit 438 Toten pro einer Million EinwohnerInnen liegt Schweden hinter
Belgien, Großbritannien, Spanien und Italien in Europa mit an der Spitze
der offiziellen Statistik. Vergleichsweise hat das Land mehr als viermal so
viele Coronatote zu beklagen als Deutschland oder Dänemark. Auch sinkt
diese Zahl nur sehr langsam und liegt im Schnitt der letzten Tage immer
noch bei fast 50 Menschen.
## Dramatische Lage im Pflegesektor
Problematisch, so Tegnell, sei allerdings, dass man nach wie vor nicht
wirklich wisse, was man genau hätte anders machen sollen. Während
[3][Schweden schrittweise vorgegangen sei] und nach und nach seine
Maßnahmen verschärft habe, hätten vergleichbare Länder „sofort alles auf
einmal hineingeworfen“. Man könne daher nicht sicher sagen, welche der
unterschiedlichen Maßnahmen eigentlich den besten Effekt gehabt und welche
relativ wenig zur Eindämmung der Pandemie beigetragen hätten.
Schweden hatte im Prinzip die Strategie verfolgt, durch gezielte Maßnahmen
die Verbreitung von Covid-19 so zu begrenzen, dass die Kapazität des
Gesundheitswesens nicht überfordert werden würde und gleichzeitig die
Risikogruppen besonders geschützt werden sollten. Dabei hatte das Land aber
deutlich weniger strenge Maßnahmen ergriffen als die meisten europäischen
Länder.
Während Ersteres gelang, scheiterte man beim Schutz der älteren
Bevölkerung. 90 Prozent der Coronatoten waren bislang älter als 70 Jahre,
nahezu die Hälfte älter als 85 Jahre. Drei Viertel der laut Statistik an
Corona verstorbenen über 70-Jährigen befanden sich in stationären
Altenpflegeeinrichtungen oder erhielten regelmäßige ambulante
Altenpflegeversorgung zu Hause. Im Altenpflegesektor gab es laut aktueller
Zahlen bei einem langjährigen Vergleich in den vergangenen Monaten eine
Übersterblichkeit von rund 30 Prozent.
Stockholm fällt dabei mit einer erhöhten Sterblichkeitsrate von sogar 100
Prozent im Altenpflegesektor aus dem Rahmen. Erste Analysen machen hierfür
neben der Tatsache, dass Stockholm sich sofort zum ersten Corona-Hotspot
entwickelt hatte, die dramatische Lage im dortigen Pflegesektor
verantwortlich. Die in Schweden in kommunaler Verantwortung stehende und
landesweit immer mehr [4][kaputtgesparte Altenpflege] war gerade im
Großraum Stockholm zuletzt auf ein zum großen Teil auf private
Gewinnmaximierung ausgerichtetes System umgebaut worden.
3 Jun 2020
## LINKS
[1] /Schwedens-Staatsepidemiologe-Tegnell/!5673457
[2] /Corona-Eindaemmung-in-Schweden/!5679762
[3] /Kampf-gegen-die-Pandemie/!5673705
[4] /Altenheime-nach-Corona/!5681235
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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